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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

fortwährend zwinkernden Augen, die er noch außerdem von Zeit zu Zeit ganz seltsam einzukneifen pflegte. Das Gesicht war gedunsen und hatte die wachsbleiche Färbung, die man bei Gewohnheitstrinkern zu finden pflegt. Ein hellblonder, fast rother Schnurrbart saß unter der gebogenen Nase, und verlieh ihm zugleich ein kühnes und doch wieder komisches Aussehen. Um die feinen Lippen spielte ein unheimliches Zucken, und seine Hände befanden sich in einer nervös zitternden Bewegung, wenn er sie aus seinen Hosentaschen hervorzog, wo er sie gewöhnlich zu verbergen pflegte. Der Stempel der Liederlichkeit und des Cynismus war ihm deutlich aufgeprägt; in seinen verwitterten Zügen konnte der aufmerksame Beobachter einen Lebenslauf voll Veruntreuung, Betrügereien und gemeiner Ausschweifung entdecken. Von den Bauern wurde er Herr Actuar genannt; er war ein entlassener Schreiber, der längere Zeit in den Diensten des Barons gestanden hatte, und von diesem wegen eines gemeinen Betrugs schimpflich fortgejagt worden war. Seine Beschäftigung bestand hauptsächlich darin, die ihm bekannten Bauern gegen ihre Gutsherrschaft aufzuhetzen, Processe zu verursachen, und eine unerlaubte juristische Praxis auf dem Lande auszuüben. So lebte er von den Sporteln und den Gaben seiner einfältigen Clienten, bei denen er in dem Rufe eines überaus gescheuten und listigen Advocaten stand.

In dieser Versammlung führte er das große Wort, und alle Anwesenden hörten ihn mit ungeheuchelter Bewunderung. Die Bauern beugten sich sichtbar vor der höheren Intelligenz.

„Nicht einen Tag länger,“ schrie er jetzt mit heiserer Stimme, „braucht Ihr zu arbeiten, nicht einen Pfennig mehr an den Herrn zu zahlen. So ist der Wille des Königs, den ich Euch gedruckt zeigen kann.“

Bei diesen Worten zog er ein schmutziges Papier aus der Tasche, welches er sorgfältig ausbreitete und mit dem fettig glänzenden Aermel seines Rockes glatt strich. Es war die bekannte Cabinetsordre, die er aus dem Deutschen in’s Polnische übersetzte, wobei er sich nach Gutdünken allerlei Zusätze und Auslassungen erlaubte, wie sie gerade für seine Pläne paßten. Seine beschränkten Zuhörer, welche eine unbeschreibliche Ehrfurcht für alles Gedruckte besaßen, verstanden von seinem Vortrage trotz ihrer Beschränktheit so viel, daß sie keinerlei Dienste und Abgaben mehr an den Gutsherrn zu leisten brauchten.

„So ist es,“ fuhr der Redner fort. „Die Erbunterthänigkeit hat aufgehört, die Robot ist abgeschafft. Esel seid Ihr, wenn Ihr noch für den Edelmann eine Hand rührt, eine Arbeit thut. Niemand hat Euch mehr was zu befehlen. Da steht’s in der Cabinetsordre, welche der gnädige König erlassen hat. Das wissen auch Eure Gutsherrn, aber sie verschweigen es Euch, damit Ihr noch länger ihre Knechte und Sclaven bleibt. Aber der Himmel hat Euch einen Freund geschickt, der Euch die Augen öffnet, der für Euch sorgt und denkt, der alle Kniffe und Pfiffe kennt, der Euch zu Eurem Recht verhelfen wird, wie er Euch schon oft geholfen hat, und dieser Freund bin ich.“

Hier unterbrach ein Beifallssturm den Actuar; er hatte den Gipfel der Popularität erreicht. Von allen Seiten drängten sich die Bauern an ihn heran; sie schüttelten ihm die Hände, umarmten ihn, und tranken auf seine Gesundheit, worauf er ihnen aus seinem vollen Glase Bescheid that, das er mit einem Zuge leerte.

„Aber was sollen wir thun?“ fragte der Veit oder Vorsteher des Dorfes, nachdem sich der enthusiastische Lärm wieder einigermaßen gelegt hatte.

„Das ist leichter gefragt als gesagt,“ erwiderte der Actuar, anscheinend in Nachdenken versunken. „Ihr habt die Cabinetsordre, den königlichen Willen doch verstanden? Sie besagt, daß der Baron Euch freigeben muß, ergo seid Ihr frei, wenn auch nur de jure und noch nicht de facto.“

Der Veit nickte, als ob er diese logische Schlußfolgerung vollkommen verstanden hätte, obgleich er auch nicht ein Sterbenswort davon begriff. Die lateinischen Redensarten, welche der Redner absichtlich hier und da einfließen ließ, imponirten den Bauern ganz besonders.

„Ihr müßt also,“ fuhr der Actuar fort, „Eure Freiheit von dem Gutsherrn als ein vorenthaltenes Eigenthum fordern. Will er sie nicht gutwillig herausgeben, so steht Euch das Recht zu, selbst Gewalt anzuwenden, was ja auch der Executor thut, wenn Ihr die Abgaben nicht bezahlen wollt.“

Der letzte Satz leuchtete den Zuhörern vollkommen ein, obgleich sie noch immer nicht wußten, was sie eigentlich anfangen sollten, um die gepriesene Freiheit, welche sie für eine Art lebenden Wesens hielten, sich zu verschaffen. Der Redner klärte sie indeß darüber auf.

„Am besten thut Ihr, wenn Ihr vor das Schloß zieht, und Euch von dem Herrn eine Urkunde ausstellen laßt, worin er freiwillig auf alle seine bisherigen Rechte verzichtet, und Euch von allen Frohnden und Lasten, die Ihr ihm zu leisten habt, entbindet. Das Actenstück muß er unterschreiben, und mit einem rothen, einem gelben und einem blauen Siegel besiegeln. Dann hat es seine Gültigkeit; dann seid Ihr für immer frei.“

Der Rath gefiel den Bauern, und ganz besonders schienen ihnen die drei verschiedenen Siegel von der größten Wichtigkeit. Die Mehrzahl der Versammlung wollte auf der Stelle aufbrechen, um den Gutsherrn noch diese Nacht zur Ausstellung der wichtigen Urkunde zu zwingen. Einmal aus seiner Indolenz aufgeschüttelt, ist das oberschlesische Landvolk zu raschen und gewaltsamen Entschlüssen sehr geneigt, zumal so lange die aufregende Wirkung des Branntweins noch vorhält. Es gleicht in gewisser Beziehung der Atmosphäre jener Tropengegenden, wo auf die tiefste Ruhe ein plötzlicher Sturm mit ungeheurer Gewalt erfolgt.

Schreiend und tobend verlangte jetzt die Menge, unter Anführung des Actuars vor das Schloß zu ziehen. Dieser war jedoch mit der ihm zugedachten Ehre keineswegs einverstanden; aus naheliegenden Gründen hielt er sich lieber bescheiden im Hintergrunde und überließ es Andern, die gebratenen Kastanien für ihn aus dem Feuer zu holen. Er wollte zugleich seine Rache an dem Baron üben, und dabei im Trüben fischen, aber ohne Gefahr für seine persönliche Sicherheit. Wie Viele seines Gleichen, war er von Haß gegen alles Bestehende erfüllt, und seine verlorene Existenz machte ihm jede Veränderung wünschenswerth, bei der er nur gewinnen, und nichts verlieren konnte. Aus diesem Grunde schürte er die vorhandene Gluth mit feiger Hinterlist, da ein offenes Hervortreten und kühnes Handeln nicht in seinem heimtückischen Charakter lag.

Seiner Ueberredung gelang es auch, die aufrührerischen Bauern wieder einigermaßen zu beruhigen, indem er ihnen die Nothwendigkeit vorstellte, im Einverständnisse mit den benachbarten Dorfschaften und der übrigen ländlichen Bevölkerung zu handeln, welche von dem gleichen Geiste der Empörung beseelt, und von ihm und seinen Gesinnungsgenossen hinlänglich bearbeitet worden war.

Es war auf nichts Geringeres, als auf einen allgemeinen Aufstand des oberschlesischen Landvolks abgesehen. Die Stimmung desselben war ihm bekannt, und aus den entferntesten Gegenden kamen Anzeichen des nahen Sturmes. Nur von einer gleichzeitigen und übereinstimmenden Erhebung ließ sich ein Erfolg erwarten. Es fehlte nur noch der Führer für eine solche Bauernrevolution, und auch für diesen hoffte der schlaue Actuar Rath zu finden.

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben,“ sagte er beschwichtigend. „Man muß die rechte Zeit abwarten. Wenn alle Bauern wie ein Mann aufstehen, dann hat die letzte Stunde für die Gutsherrn geschlagen. Zwei haben mehr Gewalt als Einer, Tausend mehr wie Hundert, und wenn gar Alle kommen, dann können sie Euch die Freiheit nicht mehr vorenthalten. Im Ratiborer und Rybniker Kreise denken die Bauern so wie Ihr. Wenn es losgehen soll, muß es zu gleicher Zeit, an allen Ecken und Enden losgehen. Bis dahin verhaltet Euch ruhig, und wartet auf den Boten, den ich Euch schicken werde.“

Damit erhob sich der Redner und leerte sein Glas, indem er auch die Uebrigen zum Aufbruch mahnte, da es bereits spät war. Die Bauern zerstreuten sich, und bald blieb nur der jüdische Wirth mit seiner Frau zurück.

„Morgen,“ sagte dieser, „gehe ich auf’s Schloß, und werde da dem gnädigen Herrn verzählen, was sich thut.“

„Was geht’s Dich an?“ fragte die furchtsame Gattin. „Wenn die Bauern hören, daß Du geredt hast, brechen sie Dir Hals, Leib und Leben.“

Diese Gründe schienen dem Manne einzuleuchten; er schwankte wenigstens zwischen der natürlichen Furcht und seiner Anhänglichkeit an das Haus des Barons. Vorläufig beschloß er, sich die Sache zu beschlafen. – Vorsichtig riegelte er die Hausthür zu und löschte die Lichter aus, worauf er sich zu Bette begab.

Bald war es still im ganzen Dorfe, nur hier und da bellte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_046.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)