Seite:Die Gartenlaube (1858) 058.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

rühren vermochte. Die Wuth der Bauern kannte keine Grenzen mehr und laut verlangten sie das Leben des Barons. Schon stürmten die Wildesten mit Aexten, Dreschflegeln und zu Piken umgewandelten Sensen auf ihn los. Laut aufschreiend warf sich Veronika über den Körper ihres Vaters, um diesen vor den zugedachten Todesstreichen zu schützen.

„Reißt sie fort!“ schrie die tobende Meute, indem sie Anstalt machte, ihre Drohung auszuführen.

Nur noch fester klammerte sich Veronika an den Baron; sie hatte ihn mit ihren Armen umschlungen. Ihre blauen Augen leuchteten von einem überirdischen Glanze und ihre schlanke, ätherische Gestalt gab ihr das Ansehen eines Engels, der vom Himmel den Bedrängten zu Hülfe eilt.

So erschien sie wenigstens Pawel, der wie geblendet von ihrer Erscheinung stand und ihren halb vorwurfsvollen, halb flehenden Blick nicht zu tragen vermochte. Wie aus einem Traume fuhr er empor, als der freche Actuar sich vordrängte und seine Hände um ihren zarten Leib schlang, um sie gewaltsam fortzuzerren.

„Mach’ ein Ende und denk’ an Deine Rache!“ flüsterte ihm der Versucher zu.

Aber Pawel hatte bei dem Anblick des Mädchens Alles vergessen, nur nicht ihre himmlische Güte und Sanftmuth. Alle finsteren Gedanken und Rachegeister waren von ihm geschwunden; die Liebe hielt triumphirend ihren Einzug in sein verwildertes Herz, und zwar mit jener Gewalt, die sie nur noch auf derartige ungeschwächte Naturen ausübt. Statt dem Rathe des Actuars zu folgen, entriß er dem Nächststehenden den mit Eisen beschlagenen Dreschflegel, als er Veronika bedroht sah.

„Zurück, und wehe dem, der das Fräulein anrührt!“ rief er mit funkelnden Augen, indem er die gewaltige Waffe in seinen Händen schwang.

So stand er da mit gerötheten Wangen und fester Haltung, einem zürnenden Cherub gleich. Es lag eine solche Entschlossenheit in seinen Blicken, daß der feige Actuar erschrocken zurücktaumelte, Pawel hätte ihn sonst sicher niedergeschmettert; er war entschlossen, das Mädchen gegen eine Welt zu vertheidigen. Mit freudig dankbarem Staunen blickte Veronika, mit Verwunderung der Baron ihn an. Auch die Bauern standen betroffen von dieser unerwarteten Sinnesänderung ihres Führers. Er war sich selber und seiner Umgebung ein tiefes Räthsel geworden.

Unterdeß hatte sich der Actuar von seiner ersten Angst erholt.

„Zum Teufel!“ hetzte er die Verschworenen. „Sind wir denn dazu hergekommen? Schlagt den Verräther todt, der jetzt gemeinschaftliche Sache mit unsern Feinden macht.“

Aber Pawel besaß unter den Dorfleuten einen großen Anhang, der ihn nicht ungehört verdammen wollte.

„Rede!“ sagte der Veit. „Vertheidige Dich; was ist mit Dir geschehen?“

„Ich will es Euch sagen,“ sprach Pawel mit wunderbar leuchtenden Blicken. „Seht, meine Freunde, in dem Augenblick, wo ich meine Hand erhob, um den Baron zu strafen, der uns so oft und schwer bedrückt, da ist mir ein Engel Gottes erschienen, der mir zurief: Du sollst nicht tödten, nicht die gute Sache mit Blut beflecken und dadurch verunreinigen. Die Freiheit, welche wir Alle so sehnlich wünschen, ist das höchste Gut, aber wir dürfen es nicht stehlen, nicht mit Gewalt wie die Räuber auf der Heerstraße nehmen, sonst verwandelt sich sein Segen in den schwersten Fluch.“

„Hört nicht auf ihn!“ rief der Actuar dazwischen. „Er ist wahnsinnig geworden.“

„Still!“ geboten die Bauern, welche, in religiösen Vorurtheilen aufgewachsen, geneigt schienen, an die von dem Schmiedegesellen erwähnte Erscheinung eines Engels zu glauben.

„Und ferner,“ fuhr Pawel ermuthigt fort, „bat der Engel für den Schuldigen, er mahnte mich daran, daß man auch seinen Feinden vergeben soll.“

„Einfältiges Geschwätz!“ murrte der Actuar. „Ich glaube nicht an Deinen Engel.“

„So will ich ihn Euch zeigen,“ antwortete Pawel, wie von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt, indem er die holde Veronika bei der Hand nahm und zu den noch immer staunenden Bauern führte.

„Das ist der Engel,“ sagte er voll Begeisterung, „dessen Anblick mir das Alles offenbart hat. Das ist der Engel, der Jedem von Euch nur Gutes gethan; wenn Ihr krank waret, Euch gelabt, wenn Ihr elend, Euch getröstet, wenn Ihr unter Eurer Last geseufzt, Euch aufgerichtet hat. Hat sie nicht Eure Frauen beschenkt, mit Euren Kindern gespielt? Ist Einer von Euch hier, der ihr nicht eine Wohlthat, und sei es ein freundliches Wort, zu verdanken hat? Verdient sie nicht, ein Engel genannt und angebetet zu werden, wie eine Heilige?“

Unwillkürlich war Pawel vor der erröthenden Veronika hingesunken; so lag er auf seinen Knieen, ihre Hand ehrfurchtsvoll an seine Lippen drückend. Der gewaltige Eindruck seiner Worte ließ sich in der tiefen Stille erkennen, welche die wunderbare Scene hervorbrachte. Beifällig nickten die Bauern, während der Actuar nur still zu fluchen wagte. Der Anblick des frommen, lieblichen Mädchens, das durch seine Wohlthätigkeit im ganzen Dorfe bekannt war, verstärkte nur die Wirkung von Pawels Rede. Sie stand mit gesenkten Blicken und gefalteten Händen; die Bleiche ihrer Wangen war einer sanften Röthe gewichen und ihre blauen Augen leuchteten im milden Glanze, wie die Sterne des Himmels. Selbst diese rohen Gemüther konnten sich des sanften Zaubers nicht erwehren.

„Pawel hat Recht,“ sagte mehr als eine Stimme; „er hat wahr gesprochen.“

„Und dieser Engel,“ fügte er hinzu, „bittet für das Leben des Schuldigen.“

Bisher hatte Veronika, überrascht, wie alle Uebrigen, geschwiegen; jetzt öffnete sie die rosigen Lippen, um ferneres Unheil abzuwenden.

„Schont meinen Vater,“ flehte sie. „Er wird Euch gewiß alle billigen Wünsche erfüllen und von nun an mild und freundlich sein.“

„Das will ich,“ bekräftigte der Baron, tief ergriffen von dieser fast unerklärlichen Wendung. „Ich verpflichte mich, die königliche Cabinetsordre, deren Glaubwürdigkeit ich erst seit Kurzem kennen gelernt, getreulich zu erfüllen, darauf gebe ich mein Ehrenwort.“

Mit der Versicherung waren die meisten Bauern einverstanden, nur der Actuarius und sein Anhang entfernten sich unter wilden Drohungen. Der Baron gelobte außerdem seinen Unterthanen vollständige Vergebung für alle begangenen Gewaltthätigkeiten. Auch der Verwalter Hartmuth wurde am nächsten Tage noch am Leben gefunden. Seine Wunden waren, wie es sich herausstellte, nicht tödlich, obgleich er längere Zeit brauchte, um sich zu erholen. Die erlittenen Mißhandlungen hatten eine vortheilhafte Sinnesänderung hervorgebracht, indem er sich hütete, seine Untergebenen zu quälen. – Pawel jedoch, welchem der Baron und seine Tochter zu besonderem Danke sich verpflichtet fühlten, war nirgends zu finden. Noch in derselben Nacht hatte er das Dorf verlassen und blieb verschwunden. Trotz aller Nachforschungen wurde keine Spur von ihm entdeckt: selbst seine Schwester wußte nicht, wohin er sich gewendet. Es verbreitete sich das Gerücht, daß die Verschworenen ihn wegen seines Abfalles ermordet hätten, und Veronika weinte unbemerkt um den Verlorenen.

Unterdeß hatte der Bauernaufstand in Oberschlesien, der so glücklich an dem Baron vorübergegangen war, eine allgemeine Verbreitung erlangt. In den verschiedensten Kreisen empörte sich das Landvolk gegen die Gutsherrn und übte oft die empörendsten Gewaltthätigkeiten aus. Zuweilen begnügten sich die Verschwörer mit der gezwungenen Anerkennung ihrer Rechte, wobei sie nie verfehlten, sich die bewußte Urkunde mit den drei verschiedenen Siegeln ausstellen zu lassen; meist jedoch war dies Streben nach Freiheit nur ein Vorwand, um zu plündern und zu rauben. Immer drohender wurden diese Zustände; viele Gutsherrn mußten flüchten; ihre Schlösser wurden verwüstet, ihre Vorräthe zerstört; hier und da auch ein Edelsitz oder ein Vorwerk sogar angezündet. Auch an schweren Mißhandlungen ließen es die Verschworenen nicht fehlen und mancher verhaßte Herr oder Beamte büßte seine frühere Strenge selbst mit dem Leben. Die Maßregeln der Behörden erwiesen sich nicht ausreichend, da ihre Thätigkeit durch die französische Occupation des Landes in vielfacher Beziehung gelähmt war. Endlich hatte das Uebel einen Grad erreicht, daß die bisher bewiesene Schonung und Nachsicht gegen die Verirrten nicht länger beibehalten werden konnte. Die Regierung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_058.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)