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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Schwein im Gewirr von Schilf sehen konnten, und nur das Gebell des Hundes, so wie das Rascheln des dürren Schilfes, das, je nachdem die Sau den Hund annahm und dieser sich flüchtete, vom darauf liegenden Schnee frei wurde und deutlich die Stellen zeigte, wo Hund und Eber bereits aneinander gerathen waren. Mitunter sahen sie wohl das gereizte Thier einen Moment; trotzdem aber konnten sie nicht schießen, da man in demselben Augenblicke den Hund nicht sah und zu besorgen hatte, daß er in Schußlinie sein und mit getroffen werden könnte. Man merkte deutlich, daß er dem mächtigen Schwein, wie er auch immer unablässig auf dasselbe eindrang, nicht eben Furcht einjagte; es nahm nur Notiz von ihm, wenn er allzu anmaßend wurde. Dann fuhr es plötzlich auf ihn ein, aber mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit wußte sich das Dächsel jedes Mal, trotz dem ungünstigen Terrain, dem gefährlichen Gegner zu entziehen, um sofort auf einer anderen Stelle auf seinen Todfeind wieder einzustürmen.

Endlich bekam der eine von unseren Jägern, der Schwarze, einen Augenblick eine Lücke frei, um auf das Schwein schießen zu können, und gedämpft hallte der Schuß in die Winterluft hinaus. Aber kaum war dies geschehen, so fuhr das jedenfalls angeschossene, racheschnaubende Thier auf unsere Jäger zu, die rechts und links zur Seite sprangen und so, zum Theil durch die Kaupen geschützt, dem ersten Anprall entgingen. Ein zweiter Schuß von demselben Schützen blieb ohne andere Wirkung, als daß der borstige Feind nur noch wüthender wurde. Pirschmann hatte sich unthätig verhalten müssen, da ihm entweder der Hund, oder gar sein Freund in Schußlinie gewesen. Zum Glück konnten sich jetzt beide Jäger hinter die Kaupen flüchten. Dadurch kamen sie dem Eber aus dem Gesicht, der in seiner Wuth an ihnen vorüberschoß, den Dachshund unmittelbar hinter sich her, weiter hinein in den See ging, und prasselnd durch die zugefrorenen, wenn auch nicht tiefen Stellen brach, bis er sich abermals dem Hunde stellte. Sofort gingen die Jäger, nachdem Czesla wieder geladen hatte, auf der Schweißfährte[1] fort, aus der sie ersahen, daß das Schwein am Vorderlauft verwundet sein müsse. Es kostete Vorsicht, ehe sie einen Schuß anbringen konnten. Diesmal schoß Pirschmann zuerst; er kam aber zu hoch, und die Kugel ging nur durch den vor Wuth emporgesträubten Kamm. Ungeachtet der Gefahr nahm das Thier sogleich seine Feinde wieder an. In diesem Augenblick schoß der zweite Schütze und zwar mit Posten in ziemlicher Nähe, und als er sah, daß diese wirkungslos blieben, das Kugelrohr des Doppelzeuges auf den nun kaum zehn Schritte entfernten, eindringenden Keiler. Doch bei der Hast, mit der es geschehen mußte, mißlang auch dieser Schuß, und indem unser Jäger auf die Seite springen wollte, kam er auf dem Eise so unglücklich zu Falle, daß er dem sichern Untergange preisgegeben gewesen wäre, wenn nicht der Andere, da er seinen Cameraden in so augenscheinlicher Gefahr sah, mit verzweifelter Kühnheit die ungeladene Büchse weggeworfen und mit dem Hirschfänger, der hier fast wie ein Spielzeug war, sich todesmuthig zwischen das anbrausende Ungethüm und seinen Freund geworfen hätte. Kaum aber, daß sein Sprung ausgereicht hatte, den Freund zu decken, so war auch der schnaubende Eber schon heran, und ein einziger Schlag mit seinem haarscharfen Gewehr schlug den Unglücklichen nicht nur zu Boden, sondern brachte ihm auch eine Wunde in den Oberschenkel bei, die, vom Knie bis gegen das Hüftbein hin weitklaffend und blutend den blanken Knochen sehen ließ. Doch, immerhin noch glücklicher Weise, hielt sich das verderbliche Thier nicht bei seinem Opfer auf, sondern brach unaufhaltsam wie brausender Sturmwind, durch das Geröhricht, das Eis unter sich zerschlagend, so daß das niedrige Wasser des See’s hoch emporspritzte und seine Bahn durch den rothen Schweiß seiner mannichfachen Wunden, die es theils durch die Kugeln, theils durch die scharfen Eissplitter erhalten hatte, bezeichnete. Dabei hatte es seinen, obgleich schwachen, aber doch unermüdlichen Verfolger, den Dachshund, stets hinter sich. Matt und des ununterbrochenen Gekläffs überdrüssig, stellte es sich endlich nochmals, und drang mit höchster Erbitterung auf den kleinen tapfern Feind ein, der immer und immer auszuweichen verstand, ohne sich abschrecken zu lassen.

Inzwischen lag der todtenblasse junge Jäger auf dem von seinem Blute roth gefärbten Schnee; sein Camerad knieete neben ihm und versuchte, die Sau in aller Teufel Namen verwünschend, die Wunde mit dem herausgeschnittenen Unterfutter seiner Juppe und mit Werg aus seiner Schießtasche zu verbinden. Dann legte er weich geriebenes Schilf auf den Verband, um das durchdringende Blut zu hemmen, und band noch seine Fangleine darum. Mit stoischer Ruhe hatte der Verwundete der ganzen Operation zugeschaut, ohne sich vom Flecke rühren zu können. Behutsam nahm ihn nun sein Freund auf und lud ihn sich auf die Schultern, um ihn in ein nicht allzufernes Forsthaus vom Nachbarreviere zu tragen. Da fiel in kurzer Entfernung an der Grenze ein Schuß. Augenblicklich ließ Czesla den gellenden Jägerruf: „hupp, hupp!“ erschallen, um Hülfe herbeizuziehen. Sofort wurde der Ruf beantwortet. Ihn noch einmal freudig erwidernd und abermals Antwort vernehmend, ließ unser Waidmann seine Last sanft hernieder, breitete seine Juppe auf den Schnee, und legte den kranken Cameraden mit dem Rücken gegen eine Kaupe. Darauf sagte er:

„Jetzt, Brüderchen, kommt Hülfe! Nun lasse ich Dich einen Augenblick allein, und schieße erst das Mordvieh, den Teufel von einer Sau, todt. Der Hund stellt noch immer, und hörtest Du’s nicht, wie das Dächsel gaukste? Da mochte es wohl eins ausgewischt bekommen. Na warte, Satan, dich wollen wir schon kriegen!“

Dabei hatte er bereits sein Doppelzeug, welches Spitzblei schoß, geladen. Sein gellend wiederholtes „hupp, hupp!“ wurde schon viel näher, als das erste Mal, beantwortet, und jetzt eilte er der Gegend zu, wo der Hund noch immer, wenn auch schwächer, laut war. Bald war er auf Schußweite heran.

Auf einer kleinen ausgetrockneten Blöße mitten im Geröhricht auf zertretenem Schnee saß das schon todesmatte, aber noch immer wuthgierige Wildschwein. Aus ein paar Kugelwunden schweißend, den weißen Schaum vor dem Gebräche,[2] knirschte es mit den Zähnen, daß man es auf ziemliche Entfernung deutlich vernehmen konnte. Sein blutig unterlaufenes kleines Auge blitzte aus dem dunkelen Koloß todverheißend heraus, und war racheglühend auf den Dachs gerichtet, der sich in einer gemessenen Entfernung hielt und nur noch in Pausen den grimmen Feind ankläffte.

Dem abermals ertönenden Ruf des Herbeigelockten, der ganz in der Nähe erklang, antwortete unser Jäger mit einem Schuß auf das tapfere Wildschwein, und schon glaubte er wieder gefehlt zu haben, da es ruhig sitzen blieb; doch ehe er das zweite Rohr entlud, brach es zusammen. Stumm, wie es gekämpft, verendete das ritterliche Thier. Schnell sprang der Sieger, um nöthigen Falls den Fang zu geben, herzu. Auch der Dachshund versuchte es, seine Wuth an dem todten Recken auszulassen, doch ach! – kaum konnte sich der Schwerverwundete, was sein Herr erst jetzt schmerzlich und überrascht bemerkte, zu ihm heranschleppen. Aus einer klaffenden Wunde hing das Gescheide[3] heraus und schleppte auf dem Boden nach. Winselnd, halb vor Schmerz, halb vor Freude, seinen Herrn zu haben, legte er sich zu dessen Füßen nieder, und sah ihn mit einer Miene an, die unser eben nicht weicher Jäger, der für das Loos seines Cameraden nur eine Verwünschung für die Sau gehabt, nicht ertragen konnte, und die ihm die Thränen in’s Auge trieb. Liebkosend nahm er ihn auf, und suchte das Gescheide wieder in die Wunde zu stopfen. Den Herrn wehmüthig leckend, dankte das arme hülflose Thier dafür.

Unterdessen war der Förster vom Nachbarrevier – denn dieser war es gewesen, der, nachdem er einen Fuchs geschossen, den Ruf beantwortet hatte – herangekommen, da er natürlich dem Hundegebell und dem letzten Schuß nachgegangen. Rasch theilte unser Schwarzer dem weißbärtigen Alten alles Erlebte mit und bat um Hülfe. Mit einem herben Vorwurf, daß jener seinen schwer verwundeten Freund ohne Beistand liegen gelassen habe, beschleunigte er mit jugendlicher Kraft seine Schritte, den ungefähr fünfhundert Schritt vom hiesigen Wahlplatz entfernt Liegenden zu erreichen. Bei seiner Ankunft stärkte er zuvörderst durch einen Schluck Rum den Kranken, dem übrigens die Nachricht daß die Sau erlegt sei, sehr willkommen war, und der es seinem Freund durchaus nicht verargte, daß er ihn ein Weilchen verlassen, dagegen den armen winselnden Dachshund aufrichtig bedauerte.

Hierauf nahmen ihn der Förster und Czesla auf ihre kreuzweise verschlungenen Arme, um ihn nach dem nahgelegenen Grenzforsthause des Alten, der außerdem das Dächsel bis an den Kopf in seinen Büchsenranzen gesteckt hatte, zu tragen. Nicht weit von der Kampfstätte bekamen sie Hülfe, wie der Letztere wußte, durch Holzmacher im Walde. Dahin wurde der arme Pirschmann getragen,

  1. Schweißfährte: Blutspur.
  2. Gebräche: der Rüssel, überhaupt das ganze Maul.
  3. Gescheide: die Gedärme.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)