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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

er. Seine Frau sei krank und liege zu Bett, und er selbst habe keine Zeit gehabt, Brod zu backen; eine Kuh habe er seit gestern auch nicht mehr und Alles, was er uns geben könne, sei Mehl und Wasser. Das war freilich ein frugales Mahl nach solchem Marsche und wir bedauerten, unsere Tauben bereits unterwegs verzehrt zu haben. Indeß der Hunger macht zuletzt Alles möglich; – er hat mir später das nämliche Mahl elf Wochen lang gewürzt. Glücklicher Weise hatten wir Taback genug, und der Alte nahm mit Vergnügen den dargebotenen Beutel entgegen. Es schien ein lang ersehnter Genuß für ihn zu sein, denn er schmauchte seine kurze Thonpfeife mit offenbarem Behagen.

„Der mag auch mit dem Elend vertraut sein,“ dachte ich bei mir, als ich die gebeugte Gestalt, das magere Gesicht, die durchfurchte Stirn des alten Mannes betrachtete. Und doch hatte er bessere Tage gesehen. Er meinte, er sei nur erst ein paar Jahre hier, aber da er nur mit wenig Mitteln hergekommen sei und er das Geld zur Bezahlung seines „Claim’s“ in der Land-Office zu hohen Zinsen habe borgen müssen, so sei es immer rückwärts mit seiner Wirthschaft gegangen. Er habe schon vor einem Jahre die zweite Hypothek auf sein Grundstück aufgenommen, und sein Gläubiger – ein irischer Advocat – habe nur erst vor wenig Tagen gedroht, ihm die Farm wegzunehmen, wenn er nicht bezahle. Die Kuh habe er ihm bereits genommen, ohne sich um seine kranke Frau zu kümmern, der der Genuß der Milch gerade jetzt fast unentbehrlich sei.

„Elend und nichts als Elend,“ dachte ich. „Arme, geplagte Menschheit, wann wird deine Erlösungsstunde schlagen!“

Der Alte übertrieb nicht; ich sollte bald noch ganz andere Dinge zu sehen bekommen.

Mein Begleiter war nachdenklich geworden. Die Gesprächigkeit des alten Mannes ließ auch nach, und es ward bald so still in dem einsamen Blockhaus, daß wir deutlich die Athemzüge der alten Frau vernehmen konnten, die in einem mit rohen Bretern abgetheilten Raum des Hauses schlief. – Wir fühlten uns nach kurzer Zeit versucht, ihrem Beispiele zu folgen, streckten uns, in ein paar leichte wollene Decken gewickelt, auf das Lager nieder, das der Alte aus Stroh und Blättern für uns bereitet hatte, und waren bald genug fest eingeschlafen.

Ein lautes Klopfen an der Thür weckte uns erst ziemlich spät am andern Morgen.

„George Parker, George Parker! Aufgemacht!“ hörte ich draußen rufen. Ich rieb mir noch den Schlaf aus den Augen, als mein Begleiter schon aufgesprungen war. Er sah sehr blaß aus und zitterte heftig, große Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn.

Der alte Mann öffnete die Thür, und ließ die Männer herein, die uns aus dem Schlafe gepocht hatten, und deren Pferde draußen angebunden waren. Der eine, eine kleine, dürre Gestalt mit gemeinen, abstoßenden Gesichtszügen, war der Gläubiger, von dem der Alte uns gestern erzählt hatte. Er entfaltete ein Papier, und las dessen Inhalt dem alten Manne mit näselnder Stimme und unverkennbar irischem Accente vor. – Die Farm so und so, im Township 112, Range 16, im County Lessueur, Minnesota Territory gelegen, sollte, wie es hieß, am nächsten Mittag öffentlich an den Meistbietenden versteigert werden.

Der alte Mann hatte schweigend zugehört, dann und wann einen Blick nach dem Krankenbette seiner Frau werfend. Als jener mit Lesen zu Ende war, setzte er sich nieder und verhüllte sein gramvolles Gesicht mit beiden Händen.

„Guten Morgen, meine Herren,“ sagte der dürre Mann mit der näselnden Stimme, sich mit seinem Begleiter zum Weiterreiten anschickend.

„Halt!“ rief plötzlich mein Reisegefährte, auf den kleinen Mann zuschreitend, und seine mächtige Hand unsanft auf dessen Schulter legend, „wie viel beträgt die Schuld?“

„Sir?„

„Wie viel die Schuld beträgt, will ich wissen!“

„350 Thaler, Ihnen zu dienen!“ war die Antwort.

„Da sind sie!“

Eine Handvoll achteckiger californischer Funfzigthalerstücke flog mit hellem Klange auf den Tisch.

„Ihr seid der Gläubiger, quittirt den Empfang, gebt die Schuldverschreibung heraus, macht die Subhastation rückgängig; ich werde dafür bezahlen!“

Der alte Mann entblößte das Gesicht. Ich sah zum ersten Male die Frau aus der Kammerthür treten; sie sah sehr bleich aus und ihre Lippen bewegten sich zitternd; ihre Blicke waren gespannt auf die Züge meines Reisegefährten gerichtet.

Das Geschäft war bald zu Ende. Der kleine Mann, der einen solchen Ausgang gewiß am wenigsten erwartet haben mochte, und der anfangs ziemlich verdutzt aussah, kam durch den Anblick des Goldes schnell genug wieder zur Besinnung, Er zählte die Stücke, prüfte sie, schob mit einigem Widerstreben ein paar derselben zurück, die über den Betrag liefen, steckte die andern sieben in seine Tasche, und händigte dem jungen Manne die Schulddocumente mit sammt der verlangten Quittung aus.

„Was verlangt Ihr für die Kuh, die Ihr der kranken Frau weggenommen habt?“ fragte mein Reisefährte weiter, nur mit Mühe seine Aufregung verbergend.

„Die ist in meinem Stalle,“ sagte der andere der beiden Männer; „für 50 Thaler könnt Ihr sie jeden Augenblick haben.“

„Bringt sie her, ich kaufe sie,“ war die Antwort. „Und jetzt macht, daß Ihr fortkommt, oder bei Gott“ – er wies nach der Thüre mit so unzweideutiger Gebehrde, daß die beiden Morgengäste schleunig und ohne Widerrede den Rückzug antraten.

Was weiter geschah? – Ich sah die alte Frau hastig auf meinen Begleiter zuschreiten, dem große Thränen über das braune Gesicht liefen. Sie sah ihn ein paar Augenblicke mit unbeschreiblicher Spannung an, sie streifte dann mit den welken, zitternden Händen das rothe Hemd von seinem linken Arme; – dann fiel sie ihm laut schluchzend um den Hals: „Mein Kind, mein liebes, liebes Kind!“

Das Mutterauge war schärfer gewesen; der alte Mann erkannte erst jetzt seinen Sohn und lange, lange lagen sich die Drei still weinend in den Armen.

Das elende Blockhaus war zum heiligen Tempel der Freude geworden, in dem drei glückliche Menschen weilten.



Ich ging am andern Morgen allein nach Lessueur, da es für meinen Gefährten jetzt dort nichts mehr zu thun gab. Nach einer langen und beschwerlichen Wanderung machte ich die Farm ausfindig, die ich zu suchen hatte, aber meinen Bruder fand ich nicht mehr. Er sei seit einigen Wochen abgereist, hieß es; wohin, konnte ich nicht erfahren. Es fehlte mir damals an Mitteln, seine Spur aufzusuchen, und ein Aufruf in den öffentlichen Blättern des Territoriums, das einzige, was ich zur Zeit thun konnte, blieb ohne Erfolg. Einige Monate später erst, als ich das erworbene Land bereits wieder verkauft hatte, und mich auf dem Rückwege nach Osten befand, las ich in dem Fremdenbuche eines Gasthofes am Minnesota seinen Namen. – „Am 16. Juni nach Fort Snelling gereist“ – hatte der Wirth dazu geschrieben. Im Fort selbst war nur noch eine Invalidenbesatzung anwesend; die Garnison – mein Bruder mit ihr – war schon Ende Juni aufgebrochen und durch Kansas nach dem fernen Utah gegen die aufständischen Mormonen marschirt. –

Ich wußte jetzt, warum ich so seltsam ergriffen war, als ich an jenem heißen Junitage mit dem Dampfboot, an Fort Snelling vorüber, den Minnesotafluß hinauffuhr, und die hohen Wälle des Forts im Nebel hinter mir verschwanden.

v. Gstz.

Illustrirtes Jagdprachtwerk.
Soeben erschien bei Ernst Keil in Leipzig und ist durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Eine Gemsjagd in Tyrol
von Friedrich Gerstäcker.
Mit 34 Illustrationen in Holzschnitt und 12 Lithographien nach Originalzeichnungen von C. Trost.
Gr. 8. eleg. broch. 3 Thlr. 10 Ngr. – eleg. geb. in englische Preßdecken mit Goldschnitt 4 Thlr. 5 Ngr.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_088.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)