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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

die eigentliche Frische und Jugend, die gerade der Gefangenen eine so eigenthümliche Anmuth verlieh. Dann auch waren sowohl der Ausdruck ihres Gesichts, wie ihre Haltung stolzer, als die ihrer gewesenen Gesellschafterin. Ihr Gesicht hatte sogar den Ausdruck eines harten Hochmuths. Eine Coquetterie, deren sie sich vielleicht kaum noch bewußt war, die ihr also schon längst zur Gewohnheit geworden sein mußte, sprach sich in ihrem ganzen Wesen aus.

Die Dame der höchsten Gesellschaft der Residenz machte keinen angenehmen Eindruck auf mich. Sie trat mit einiger Heftigkeit in das Zimmer. So auch begann sie gleich zu sprechen, ohne eine Anrede und Frage meinerseits abzuwarten, und was sie sprach, war nicht geeignet, jenen unangenehmen Eindruck ihrer Erscheinung zu verwischen oder nur zu mildern.

„Die Person hat noch kein Geständniß abgelegt?“ fragte sie rasch und dringend.

„Nein,“ antwortete ich sehr kurz und kalt.

„Ich dachte es. O, mein Herr, sie wird Ihnen noch viel zu schaffen machen; sie ist eine sehr freche und verschmitzte Verbrecherin, die sich in mein Haus, in mein Vertrauen, in meine Liebe einzuschleichen gewußt hatte und die zum Danke nun mich bestiehlt. Aber sie wird hoffentlich ihrer Strafe nicht entgehen; sie wird überführt werden.“

Ich antwortete ihr nicht.

„Gnädige Frau,“ sagte ich, „nach dem vorschriftsmäßigen Gange der Untersuchung ist vor Allem Ihre Vernehmung über die erlittenen Diebstähle und dabei zugleich über das gesammte Verhältniß erforderlich, in welchem die Beschuldigte zu Ihnen und zu Ihrem Hause gestanden hat. Darf ich bitten, über die Fragen, die ich deshalb an Sie richten muß, mir vollständige Auskunft zu geben? Nach Vorschrift des Gesetzes habe ich Sie noch darauf aufmerksam zu machen, daß Sie Ihre Aussage mit einem Eide bekräftigen müssen.“

„Ich werde Ihnen nur die Wahrheit sagen, mein Herr.“

„Die Angeschuldigte war in Ihrem Hause als Gesellschafterin?“

„Ja, mein Herr.“

„Seit wann?“

„Sie war drei Monate bei mir. Seit drei Wochen hat sie den Dienst verlassen.“

Die Dame betonte das Wort Dienst.

„Auf welche Weise kam sie zu Ihnen?“

„Schon gleich durch einen Betrug. Sie stellte sich mir vor, als empfohlen durch den holländischen Gesandten. Sie sei hierher gekommen, um eine Stellung als Gesellschafterin oder Erzieherin in einem guten Hause zu suchen. Sie habe erfahren, daß ich einer Gesellschafterin bedürfe. Der holländische Gesandte, der ihr wohlwolle, habe auf ihre Anfrage ihr gestattet, bei ihrer Bewerbung um den Dienst bei mir sich auf ihn zu berufen.“

„Diese Angabe fand sich später unwahr?“

„Der Gesandte hat sie nicht gerade dementirt. Ich bin aber jetzt überzeugt, daß die Person gelogen hat.“

„Warum jetzt erst?“

„Ich hatte früher, ehe ich ihre Verbrechen kannte, keine Veranlassung, darüber nachzudenken. Dann habe ich auch jetzt erst erfahren, daß sie sogar ihren Paß gefälscht hatte.“

„Davon enthält der Bericht des Polizeibeamten nichts.“

„Der Beamte hat auch erst heute die Entdeckung gemacht. Er war vor einer Stunde bei mir; er ist noch mit Recherchen beschäftigt.“

„In welcher Art war der Paß gefälscht?“

„Sie hat sich darin als eine Adlige aufgeführt. Sie ist gar nicht von Adel.“

„Sie kennen ihre Herkunft?“

„Die kennt eben Niemand. Auch der verstorbene Gesandte wollte nie damit heraus. Er beobachtete ein eigenthümliches Stillschweigen darüber.“

„Sprach sich die Angeschuldigte selbst darüber aus?“

„Sie sprach oft davon, aber sie sprach sich nie darüber aus.“

„Das heißt?“

„Die Person liebte es, ihre Herkunft, ihre Heimath, ihr früheres Leben, Alles, was sie betraf, in ein geheimnißvolles Dunkel zu hüllen. Sie sprach oft davon, besonders wenn hohe Personen bei mir waren, deren Aufmerksamkeit sie auf sich lenken wollte. Eitelkeit und Coquetterie sind die Hauptzüge ihres Charakters. Sich in das Dunkel ihrer vornehmen Abkunft, eigenthümlicher Familienschicksale, einer künftigen glänzenden Lage einzuhüllen und dadurch besonders das Interesse der Männer zu erregen, das war bei ihr fast zur Leidenschaft geworden.“

„Können Sie mir Einzelnes aus ihren Erzählungen mittheilen?“

„Sie erzählte nicht, sie deutete nur dunkel an.“

„Aus ihren Andeutungen denn?“

„Sie hat viel gesprochen. Ich für meine Person habe ihr nie große Beachtung geschenkt.“

„Sie sprachen von Herren, denen sie besonders gern erzählt habe. Darf ich bitten, mir einige von ihnen zu nennen?“

Durch das Gesicht der Dame zog eine schnelle Röthe; sie wurde, wenn auch nur auf einen Augenblick, verlegen.

„Wäre es nothwendig?“ fragte sie.

„Gewiß. Die früheren Verhältnisse eines jeden Angeschuldigten müssen von Amtswegen erforscht werden. Bei dieser erscheint es mir doppelt nöthig.“

„Die Herren werden ihr noch weniger Aufmerksamkeit oder Gedächtniß geschenkt haben, als ich. Und mitgetheilt hat sie auch ihnen nicht mehr, als mir. Das Hauptsächliche davon könnte ich Ihnen wiederholen.“

„Ich bitte darum.“

„Sie wollte eine Holländerin oder wenigstens in Holland geboren sein. Zweifelhaft ließ sie dabei, ob in dem europäischen oder in dem amerikanischen Holland. Eben so konnte man aus ihren Mittheilungen völlig so gut entnehmen, daß ihr Vater entweder ein vornehmer Beamter oder ein reicher Pflanzer war. Ihre Mutter schilderte sie als einer sehr vornehmen Familie entsprossen; aber sie hatte von ihrem Gatten sich trennen müssen, einzelnen Andeutungen nach, um einer niedrigen Intrigantin willen, die ihren Vater umstrickt hielt. Wenn man diesen in Amerika suchen mußte, so war es gar eine Sclavin des Hauses. Sie, die diesen Roman erzählte, sie selbst war ihrer Mutter gefolgt, hatte mehrere Jahre lang Elend und Kummer mit ihr getragen und auch nach dem Tode der Armen nicht zu ihrem Vater und der gemeinen Person, die ihn noch immer beherrschte, zurückkehren wollen. Diesen Roman wußte die Betrügerin vielfach auszuschmücken, aber immer nur, um durch einen dichten Schleier eine hohe Geburt, eine frühere bessere, glänzende Lebensstellung und eine gewisse Rückkehr derselben hindurchschimmern, hindurch ahnen zu lassen.“

„Etwas Bestimmtes,“ fragte ich die Dame, „woran man weitere Nachforschungen nach ihrem früheren Leben anknüpfen könnte, hat sie also nie angegeben?“

„Nie. Sie hütete sich geflissentlich davor.“

„Und der holländische Gesandte? Haben Sie nie mit ihm über die Angeschuldigte näher gesprochen?“

„Nein. Er war ein wenig zugänglicher Mann. Das Personal seiner Gesandtschaft wußte nichts von ihr.“

„Warum hat die Angeschuldigte ihre Stellung bei Ihnen verlassen?“

Die Dame wurde über diese Frage wieder ein wenig verlegen.

„Mir wurde,“ antwortete sie dann, „ihr coquettes Wesen immer mehr unangenehm. Auch jenes prahlerische Geheimthun. So machte ich, daß ich von ihr loskam.“

„Sie entließen sie also?“

„Ja.“

„Welchen Grund der Entlassung gaben Sie ihr an?“

„Ich wolle mein Hauswesen einschränken.“

„Sie schieden also in Freundschaft von ihr?“

„Ohne einen Bruch, mein Herr,“ verbesserte vornehm die Dame.

„Blieben Sie später in Beziehung zu ihr?“

„Wie man zu einer Gesellschafterin bleibt, die man ohne einen Bruch entlassen hat.“

„Das heißt?“

„Ich hatte sie gebeten, mich dann und wann zu besuchen; dies hat sie gethan.“

„Sie haben sie wieder besucht?“

„In den letzten Tagen nur, und dann aus besonderer Veranlassung.“

„Aus welcher?“

„Ich hatte die Diebstähle entdeckt, die mich betroffen hatten, und Verdacht gegen sie geschöpft. Ich wollte mir mögliche Gewißheit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_098.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)