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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sind die zwei großen Wasserbehälter oder Reservoirs, von denen der eine so groß ist, daß man eine gute Viertelstunde braucht, ihn zu umgehen, – Denkmäler der Baukunst, die sich mit jedem anderen messen können. Und Hunderte von Carossen und leichten Wägelchen fahren täglich nach der (etwa 10 Meilen von dem Rathhause in Newyork entfernten) Highbridge, d. i. der hohen Brücke, über welche die ganze Wassermasse in fünf Teicheln geführt ist, und weiden sich nicht blos an der Pracht der Aussicht von diesem hohen Standpunkte aus, sondern auch an der Kühnheit des Baumeisters, der den schiffbaren Harlemfluß mit einem Bogen von einem Ufer zum andern überspannte! Und Tausende wallfahrten zum großen Reservoir zwischen der 99. und 100. Straße und noch mehr zum kleinen Reservoir an der 44. und 45. Straße und staunen über diese Ringmauern, welche so stark sind, daß sie den Druck einer solchen immensen Wassermasse aushalten!

Doch, lieber Leser, ich will Dich nicht mit der Beschreibung der Newyorker Wasserleitung ermüden; ich will Dir nicht hererzählen, wie viele Millionen Quadersteine dazu verwendet worden sind und was jeder Quaderstein kostete; die Aeußerlichkeiten dieses großartigen Baues kannst Du in jeder Reisebeschreibung von Amerika und am Ende in jedem Conversationslexicon lesen. Ich will Dich aber mit etwas Anderem bekannt machen, was Du vielleicht sonst nirgends lesen kannst, mit den Wirkungen dieser Anstalt.

Kommt man in eine deutsche Stadt, so ist es gar lustig mit anzusehen, wie überall auf allen freien Plätzen, in den Hauptstraßen und vor allen öffentlichen Gebäuden die „laufenden“ Brunnen ihr süßes Wasser aussprudeln. Ja sogar in jedem Dorfe oder Dörflein findet man laufende oder „fließende“ Brunnen, denn Deutschland mit seinen Bergen und Thälern ist gar reich an Quellen, die tief unten in der Erde ihr Wasser sammeln, bis die geheimen unterirdischen Behälter so voll sind, daß sie einen Ausweg suchen und dem hellen Tageslicht zuströmen. Man setzt auch einen Stolz darein, in solche Quellen und Brunnen, und manche Stadt und manches Dorf erhielt seinen Namen von dem „Brunn“ oder „Born“, der innerhalb seiner Markung entsprang. Und unsere Vorväter haben sie hochgehalten, diese Brunnen mit dem nie versiechenden kühlen Trunke, und haben sie verziert auf kunstvolle Art und sie mit Denkmälern der Baukunst umgeben, die jetzt noch vielfach auf öffentlichen Märkten, hochbewundert vom Kenner und Laien, zu sehen sind. Man darf nur an die Brunnen in Nürnberg denken!

Auch die Neuzeit hat viel hierfür gethan; nur sind die Verzierungen jetzt selten mehr von Stein und Marmor, sondern von fein gegossenem Eisen. Aber eine Freude ist’s immer, vor einem solchen Brunnen zu stehen, und im Sommer stärkt schon der bloße Anblick des kühlen „Nasses.“ – Wie ganz anders in Amerika und besonders in Newyork! Gehe die Straßen auf und ab und links und rechts, betrachte Dir alle öffentlichen Plätze und alle die großen Prachthäuser, – von einem Brunnen, von einem laufenden Brunnen mit „fließendem Wasser“ kannst Du nirgends etwas erblicken. Man sollte meinen, die ganze große Stadt sei dazu verurtheilt, den Tod durch Verdursten zu sterben! – Wohl liegt sie zwischen zwei mächtigen Strömen, von denen jeder so tief und breit, daß er die größten Kriegsschiffe trägt; aber die Wasser dieser Ströme sind salzig, wie das Meer, in das sie sich bei Newyork münden. Ebbe und Fluth wechseln ja täglich zwei Mal und führen ihre Salzwasser viele Meilen weit den Strom hinauf. –

Wohl findet man auch hier und da in einer Seitenstraße einen alten hölzernen Pumpbrunnen, so plump und einfach aufgerichtet, wie er im ärmsten Neste Deutschlands nicht plumper und einfacher sein kann; aber das Wasser, das Du mit vieler Mühe heraufpumpst, schmeckt hart und scharf und läßt schon nach wenigen Minuten einen tiefen Satz in dem Gefäße zurück, in welches Du dasselbe gegossen. Und wie viel solcher trauriger Pumpen gibt es? Nicht so viel in der ganzen großen Stadt mit ihren 800,000 Einwohnern, um nur für wenige Tausende genügend Wasser zu liefern! Die „Manhattan-Insel“, auf die Newyork gebaut ist, und deren ganzer Flächenraum in wenigen Jahrzehnten von Häusern bedeckt sein wird, hat keine Quellen. Nirgends sprudelt das Wasser von der Tiefe herauf; die ganze Insel ist im obern Theile ein starrer blauer Fels und im untern ein vielleicht Hunderte von Fuß tiefes Lager des feinsten Meersandes. Der Sand sowohl als der Fels fangen das Regenwasser auf und halten es, bis es sich gesammelt, in künstlichen oder natürlichen Cisternen, um wieder durch Pumpen an’s Tageslicht gefördert zu werden; aber Meersand und blauer Fels theilen ihm von ihrem „Geschmacke“ mit und erzeugen die sandig-klebrigen Bestandtheile, die sich zwar nach kurzer Zeit in den Gefäßen niederschlagen, aber doch das Wasser hart, fast ungenießbar machen. Was sollte aus Newyork werden, wenn es von diesem Wasser leben müßte? – Und nirgends auf der Insel ist ein Berg oder ein Wald, daß man hoffen könnte, mit der Zeit doch noch Quellen zu entdecken. Nichts von alle dem! Je tiefer man gräbt, um so gewisser stößt man endlich auf – Salzwasser. – War’s da nicht nothwendig, die Wasserleitung anzulegen, die jetzt die große Stadt überflüssig mit Wasser versieht und noch versehen wird, auch wenn die Stadt später drei Mal so viel Einwohner zählen wird, als sie jetzt zählt?

„Mit all’ dem Wasser aber, das jetzt der Stadt zugeführt wird, konnte man doch der Brunnen eine Masse errichten?“

Vollkommen richtig; aber der Amerikaner ist praktischer; er will Alles bei der Hand haben, so auch das Wasser. – Sind Brunnen „händig“?

Sieh’ einmal nach, wie ist’s in Deutschland? Müssen da die Leute nicht an den Brunnen gehen, wenn sie Wasser wollen? Müssen nicht besondere Dienstboten gehalten werden, nur um das Wasser herbeizuschleppen? Und stehen nicht diese Dienstboten oft viertelstundenweise und noch länger am Brunnen und warten, bis wieder eine Gelte oder ein Gefäß gefüllt ist, damit dann für sie Raum ist? Stehen sie nicht viertel- und halbestundenweise, um sich köstlich miteinander zu unterhalten? Ja, hat nicht diese Brunnenunterhaltung zu einer eigenen Art Literatur geführt, der Magd- und Marktbrunnenliteratur? – Sollte man diesen Schlendrian in Amerika auch einreißen lassen? Ja, war es überhaupt nur möglich, das Ding auf dieselbe Art zu betreiben? Wo sollte man nur die Dienstboten herbekommen? – Von hundertundfünfzigtausend Familien, die in Newyork wohnen, haben es noch bei weitem nicht dreißigtausend so weit gebracht, für sich einen Dienstboten ernähren und besolden zu können; und wenn auch vielleicht viertausend Familien – die Reicheren und Vornehmeren – nicht mit einem Dienstboten zufrieden sind, sondern deren fünf und sechs halten, so müssen die anderen hundertundzwanzigtausend um so mehr sich so einrichten, daß sie auch eines einzelnen Dienstboten entbehren können. – Und dafür ist gesorgt! Durch die Wasserleitung gesorgt!

Jedes Haus in Newyork, es mag einstöckig oder zehn Stock hoch sein; es mag in der obern oder untern Stadt liegen, in der Mitte der Stadt oder am Wasser, – jedes Haus hat das Trinkwasser im Hause. In der Yard, d. h. im Hofe, ist das Crotonwasser (das durch Röhren herbeigeleitete Wasser); im Basement, d. h. in der Kellerwohnung, ist es; im Parterre, in der ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften und sechsten Etage ist’s ebenfalls. Durch die Mitte der Straßen, bergauf und bergab, kreuz und quer und links und rechts führen große Röhren, und von den großen Röhren kleinere in jedes Haus, in jede Etage, in jedes Zimmer, wie man’s haben will. Oft sind dreißig, vierzig, ja fünfzig Wohnungen in einem Hause; das sind die Tenanthäuser, die Häuser, worin die Arbeiter wohnen, die Häuser für die, so sich mit einem Wohn- und Schlafzimmer zufriedengeben müssen, weil sie keine größeren Räumlichkeiten bezahlen können, ohne sich wehe zu thun; – aber von all’ den fünfzig Wohnungen hat jedes das Wasser im Wohnzimmer. Man braucht nur den Hahn zu drehen, so sprudelt’s fast armdick und sprudelt fort, Stunden, Tage und Wochen lang, bis man den Hahn wieder zudreht. –

Ohne diese Einrichtung, – glaubst Du, die hundertundzwanzig- bis dreißigtausend Familien, die keine Dienstboten halten können, würden auskommen, fertig werden? – Gott bewahre; rein unmöglich! – Auf der Hausfrau ruht Alles, denn der Mann ist im Geschäft. Sie hat zu waschen und zu bügeln; sie hat zu nähen und zu kochen; sie hat die Kinder anzuziehen und zu erziehen; sie hat zu scheuern und zu putzen, – wie will sie das Alles thun, und noch dazu nebenher vielleicht Mantillen sticken und Westen nähen oder sonst ein Geld einbringendes Geschäft treiben, wenn sie an den Brunnen muß, um Wasser zu holen? Wie viel Zeit würde da nur Morgens verloren, weil sie sich doch vorher correct anziehen müßte, ehe sie an den Brunnen ginge? Ja, wie oft wäre es ihr geradezu unmöglich, zugleich ihre kleinen Kinder zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_107.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)