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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Ueber die Hausgenossen der Bestohlenen wußte er gleichfalls nichts Nachtheiliges. Er konnte auch sonst, wenn die Heisterberg nicht die Thäterin sei, auf keinen Menschen irgend einen Verdacht wegen der Diebstähle werfen.

Dagegen brachte er Nachrichten über die persönlichen Verhältnisse der Angeschuldigten, die, wenn sie auch ohne directe Beziehung auf die Diebstähle waren, doch jedenfalls auf ihren Charakter ein zweideutiges Licht werfen mußten.

Sie hatte sich bei der Frau von Waldheim als Fräulein von Heisterberg vorgestellt. Auch ihr Paß, den sie von dem holländischen Gesandten erhalten und gegen den Empfang einer Aufenthaltskarte bei der Polizei deponirt hatte, trug ihren Namen: Rosa von Heisterberg. Man hatte indeß auf der Polizei früher keine Veranlassung gehabt, näher oder gar mit mißtrauischen Augen den Paß zu prüfen, der ganz frisch von dem Gesandten ausgestellt und von der Gesellschafterin der in den höchsten Cirkeln lebenden Majorin von Waldheim überreicht war. Jetzt hatte er aufgesucht werden müssen, um zu den Untersuchungsacten gebracht zu werden, und als man ihn nun genauer betrachtete, entdeckte man bald, eine sehr fein ausgeführte, aber desto erheblichere Fälschung darin. Zwischen den Namen Rosa und Heisterberg war das Wörtchen von an die Stelle anderer, dort befindlich gewesener und ausradirter Buchstaben später hinzugeschrieben. Genau konnte man die ausradirten Buchstaben nicht erkennen. Wahrscheinlich hatte der Paß aber gelautet: Rosalie Heisterberg, und die drei letzten Buchstaben des Namens Rosalie hatten dem Wörtchen von Platz machen müssen.

Die Bürgerliche hatte also als eine Adlige erscheinen wollen. Es stimmte dies vollkommen zu jenen mysteriösen Erzählungen und Andeutungen über ihre Herkunft, ihren Stand, ihre künftigen glänzenden Verhältnisse. Es zeigte aber zugleich klar, selbst wenn es aus bloßer Eitelkeit geschehen war, einen Charakter an, der Intriguen, Ränke, selbst offenbare Gesetzübertretungen nicht scheute. Daß eine Paßverfälschung strafbar war, mußte sie wissen, selbst ohne jene genaue Gesetzkunde, die sie schon mir gegenüber geflissentlich dargelegt hatte. Dabei war die Fälschung sehr fein, mit großer Gewandtheit ausgeführt, zeigte also schon eine Leichtigkeit und Festigkeit der Angeschuldigten in solchen Dingen. Freilich das Alles vorausgesetzt, daß eine wirkliche Fälschung vorlag und diese von der Beschuldigten ausgegangen war. Daß das Wörtchen von durch eine andere Hand geschrieben worden, war keineswegs mit Sicherheit zu erkennen; unzweifelhaft erkennbar war nur ein späteres Zuschreiben an Stelle anderer ausradirter Buchstaben. Das konnte auch von dem Gesandten selbst geschehen sein, der anfänglich den Namen unrichtig geschrieben hatte.

Der Polizeibeamte hatte sich mit dem Passe schon sofort auf die holländische Gesandtschaft begeben; dort hatte man aber sogar von dem Passe selbst nichts gewußt. Er fand sich in keinem Register eingetragen; er war ganz und gar, allerdings unverkennbar, von der Hand des verstorbenen Gesandten allein geschrieben.

Indeß blieb der Paß immer ein an sich verdächtiges Document und war in diesem verdächtigen Zustande von der Angeschuldigten der Polizei überreicht worden. Dachte man an ihre geheimnißvollen Prahlereien zurück, so konnte man auch an einer Fälschung, und daß diese von ihr herrühren müsse, kaum zweifeln.

Außerdem theilte der Polizeicommissarius noch folgenden Umstand mit, der gleichfalls ein zweifelhaftes Licht auf die Angeschuldigte werfen mußte. Diese wohnte seit drei Wochen bei der Generalin. In den ersten acht Tagen war sie fast immer zu Hause gewesen; seitdem aber hatte sie beinahe täglich Ausgänge gemacht, immer allein, immer ohne vorher zu sagen, wohin, und ohne bei ihrer Rückkehr sich darüber auszulassen, wo sie gewesen sei. Sehr häufig war sie auch des Abends ausgegangen und mehrere Male erst nach acht Uhr – es war im Monat Februar, also schon vor sechs Uhr dunkel – zurückgekehrt. Einmal wollte das Mädchen der Generalin gesehen haben, wie eine Mannsperson sie bis an die Hausthür begleitet habe.

Der Polizeibeamte hatte diese Mittheilungen von der Generalin selbst, einer im höchsten Grade achtbaren Matrone, welche die Angeschuldigte bei der Majorin von Waldheim kennen gelernt und die junge Dame, als sie sich von der Letzteren getrennt, bis zu einem anderweiten Unterkommen gegen eine geringe Vergütung bei sich aufgenommen hatte. Die würdige Frau hatte sich über das späte Ausgehen und Ausbleiben ihrer Einwohnerin um so ungehaltener gezeigt, als diese über ihr Treiben außer dem Hause ein hartnäckiges, geheimnißvolles Schweigen beobachtet hatte.

Ich erkundigte mich bei dem Polizeibeamten nach dem jungen Manne, der gleich nach der Verhaftung der Heisterberg das Bett gebracht hatte.

Er wußte nichts von ihm; er hatte auch keine Ahnung, wer er sein könne. Gleichwohl schien die Ermittelung des jungen Menschen von Erheblichkeit zu sein. Woher hatte er sofort von der Verhaftung der Heisterberg Kunde erhalten? In deren Wohnung war er nicht gewesen, weder bei noch nach der Verhaftung; wenigstens hatte dem Beamten Niemand etwas von seiner Anwesenheit gesagt.

Der Beamte versprach, ihm nachzuforschen. Vielleicht, wahrscheinlich stand er in Verbindung mit jenen häufigen Entfernungen der Angeschuldigten aus ihrer Wohnung.

Ungeachtet des mangelnden Beweises durfte ich, bei dem großen Dunkel, das über der Sache noch schwebte, die Beschuldigte nicht sogleich entlassen. Zunächst mußte ich sie selbst jetzt ausführlich vernehmen.

Ich ließ sie noch denselben Abend zum Verhör vorführen. Als ich in die Verhörstube trat – sie war noch nicht da – fiel mein erster Blick auf ein ziemlich starkes versiegeltes Paquet, das auf dem Tische lag; es war an mich adressirt und enthielt Bücher. Oben auf lag ein von einer fremden Hand geschriebener und nicht unterzeichneter Zettel, der mich bat, dem verhafteten Fräulein von Heisterberg die beiliegenden Bücher zukommen zu lassen.

Ich kann nicht leugnen, ich erstaunte nicht wenig, als ich die Bücher öffnete. Es waren nur classische Schriften der Italiener, Engländer, Franzosen und Deutschen, sämmtlich in der Ursprache. Tasso’s befreites Jerusalem, Alfieri’s Tragödien, Milton’s verlorenes Paradies, der ganze Shakespeare, die Tragödien und die geschichtlichen Werke von Voltaire, die Tragödien von Racine und Corneille, Schiller’s und Goethe’s Werke, so wie die Schriften von Baco und neuere geschichtliche und philosophische Werke der Franzosen und Engländer.

Das war eine Lectüre für einen Gelehrten. Verstand die junge Dame nicht blos alle diese Sprachen, hatte sie auch Bildung und Kenntnisse genug, um namentlich die philosophischen und geschichtlichen Schriften zu verstehen?

Sie erschien im Verhörzimmer. Sie trat vollkommen so ruhig, unbefangen und heiter ein, wie am Morgen. Sie erschien beinahe wie in einem Salon, wo sie eine heitere Gesellschaft, eine angenehme Unterhaltung finden solle. Hatte noch so eben, bei dem Anblicke der für sie bestimmten Bücher, die ungewöhnliche Bildung, die ich bei ihr voraussetzte, mich zu ihren Gunsten eingenommen, diese Ruhe verdroß mich unwillkürlich wieder; ich konnte, gegenüber ihrer Lage, gegenüber den schweren, den im höchsten Grade verletzenden Beschuldigungen, die ihr gestern in doppelt verletzender Weise gemacht waren, nur entweder Mangel an allem Gefühl und an aller Ehre oder aber die gemachte Unempfindlichkeit des Schuldbewußtseins darin finden. Aber sie hatte heute Morgen bei der Erinnerung an den jungen Menschen, der ihr das Bette gebracht, Gefühl, Rührung gezeigt. Ich zweifelte nicht, daß auch von diesem die Bücher herrührten. Ich wollte, ich mußte sie studiren.

Ich hatte die Bücher vor ihrem Eintreten zugedeckt. Bevor ich zum Verhör schritt, deckte ich sie wieder auf. Sie fuhr bei ihrem Anblick zusammen. Sie kannte also schon die Einbände und verbarg das auch nicht. Ihre Gesicht zeigte eine stille, innige Freude.

„Er war wieder hier?“ fragte sie rasch.

Ueberraschung und Freude waren völlig natürlich gewesen, denn wie sie kaum die Worte gesprochen hatte, fiel es ihr schwer auf das Herz, daß sie sich verrathen habe. Sie forschte ängstlich in meinen Augen.

Waren das nicht wieder Zeichen eines Herzens, das unmöglich ganz verdorben sein konnte?

Ich zeigte ihr statt einer Antwort den Zettel, mit dem die Bücher gekommen waren. Sie athmete wieder freier, als sie ihn las.

„Haben Sie mir nichts zu sagen?“ fragte ich sie.

Auf einmal war sie wieder vollkommen ruhig.

„Ich hatte Sie, für den Fall, daß meine Haft längere Zeit dauern sollte, um Lectüre bitten wollen; ich brauche Sie jetzt nicht zu belästigen.“

Ich knüpfte das Verhör sofort an den Zwischenfall an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_111.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)