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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Wohnorts und das Verweilen in der reizenden Berggegend für mich wünschenswerth; denn ich kränkelte, seit ich mit einem jungen Bergbeamten, Sohn eines Collegen des Großvaters, auf den Wunsch des Letztern verlobt war. Die Aerzte sagten, ich habe, noch zu jung, zu viel gesungen. Mein Verlobter war ein angenehmer junger Mann, den ich nicht ungern sah und dessen Aufmerksamkeiten ich mir gefallen ließ; aber mein Blut gerieth weder wenn er kam, noch wenn er ging, in schnellere Wallung, und ich fühlte nur in so fern Befriedigung, als ich durch diese Verbindung den heißesten Wunsch des alten Herrn, dem ich Alles verdankte, erfüllte. Sobald wir das Erbe gefaßt, sollte unsere kirchliche.Einsegnung erfolgen und wir wollten dann alle drei in die steyerschen Berge ziehen, wo mein Verlobter bei einem bedeutenden Bergwerke angestellt war.

„So standen meine Angelegenheiten, als das Osterfest herannahte, dessen Nacht Alles verändern sollte. Meine Zofe hatte mir schon lange vorgeredet, ich könne nur dann eine glückliche Gattin werden, wenn ich ganz gesund sei, und ich könne nur dann ganz gesund werden, wenn ich mich mit Osterwasser wasche. Dieses müsse ich aber in der Osternacht selbst schweigend schöpfen. Der letztere Umstand bot gerade keine Schwierigkeiten; denn wir wohnten in einem schönen Landhause vor dem Thore unfern dem Donauufer. In der bezeichneten Nacht führte mich mein Mädchen hinaus, gab mir das Gefäß in die Hand und blieb zurück. Ich ging furchtsam mit ungewissem Schritt auf das Ufer zu, da wo einige Bäume und niederes Strauchwerk ein kleines Gebüsch bildeten und ein paar Stufen zum Strome hinabführten. Die Stelle dort ist als tief bekannt und der Strom ist reißend. Dies wird schon dadurch bewiesen, daß wenige Schritte aufwärts eine Schiffmühle liegt. Als ich im Begriff war, zum Wasser hinabzusteigen, hörte ich in der Nähe schwere Schritte und sah im Ungewissen Scheine der Nacht zwei Männer von der Seite herkommen, wo die Mühle mit Ketten an das Ufer befestigt ist. Offenbar hatten sie die Absicht, an derselben Zugangsstelle, die ich zu betreten in Begriff stand, zum Wasser zu gelangen, und ich flüchtete mich scheu und zagend rasch in das Gebüsch hinter einen Baum. Ohne Zweifel hatte mich Keiner von ihnen bemerkt. Sie stiegen wirklich die Stufen hinab und der Eine begann sich zu entkleiden, wobei ihm der Andere behülflich war. Beide sprachen kein Wort. Mir schlug das Herz vor Beklommenheit wie ein Hammer.

„Plötzlich gab der hinten stehende Mann dem vordern, welcher eben den Oberkörper entblößt hatte, einen furchtbaren Stoß, so daß dieser im Nu unter dem Wasser verschwand. Der beginnende Schrei wurde schon von der Fluth erstickt, so daß ich in der That nichts weiter vernahm, als das Geräusch, welches der vom fallenden Körper gewaltig berührte und zertheilte Wasserspiegel und die über ihm zusammenschlagende Welle hervorbrachte. Ich selbst aber stieß unwillkürlich einen Schrei aus nur war einer Ohnmacht nahe, jedenfalls würde ich aber in diesem Zustande des Schreckens und der Bestürzung, der mir nicht erlaubt hatte, mich auf den Beinen zu erhalten, eine zweite Beute des Mörders geworden sein, wenn meine Zofe, von meinem Schrei gerufen, nicht herbeigestürzt wäre; denn schon hatte der Mann mich erfaßt, um mich seinem ersten Opfer nachzuschleudern, als er von der Stimme des Mädchens von seinem Vorhaben abgebracht und in die Flucht getrieben wurde. Er hatte nur noch Zeit mir zuzuraunen: „Wenn Du ein einziges Wort von dem, was Du gesehen, sagst, so wird Dich der Tod von meiner Hand schnell und sicher ereilen.“ – Er verschwand in der Nacht und im nächsten Augenblicke gaben mir die Gegenwart und der Beistand der Zofe meine Geistes- und Körperkraft[WS 1] zurück. Wir riefen um Hülfe, ermunterten die Nachbarschaft und veranlaßten Müller, Fischer und Andere, am Ufer und auf Kähnen nach dem, wie wir sagten, verunglückten Mann im Wasser zu forschen. Das war aber vergebens, und erst eine Woche später wurde seine Leiche unterhalb der Stadt gelandet.

„Es war die des Musikus Liebheld, an welchem man schon seit einiger Zeit Geistesstörungen wahrgenommen haben wollte. Man nahm an, daß er beim Geschäft, sich mit Osterwasser zu waschen, ausgeglitten und in den Fluß gestürzt sei, und die Entkleidung seines Oberkörpers gab einer solchen Annahme Halt, welchen ich durch meine Aussage bestätigte. Denn ich fürchtete mich allen Ernstes, der Rache des Mörders zu verfallen, wenn ich die Wahrheit des Vorfalls kund gäbe.“

Kahlert war wieder sehr unruhig geworden, und auf seinem mit Todtenblässe überzogenen Gesichte zeigten sich abermals große Schweißtropfen. Fast mit Mühe fragte er:

„Und kannten Sie den Mörder nicht?“

„Wie wäre das in der Nacht und in meinem Zustande möglich gewesen und zumal mir, der Fremden? Mir waren ja schier alle Sinne vergangen, und ich sah nichts, als eine dunkle Gestalt und hörte eine dumpfe Stimme.

„Der Sohn des Ertrunkenen kam mir zu danken, und fand mich vor meinem Flügel. Bald saß er mit davor. Als er sich entfernt hatte, war mein Herz voll süßer Unruhe. Nie hatte ich ein solches Gefühl nach der Abreise meines Verlobten empfunden. Liebheld, damals Gehülfe eines Rechtsanwalts, kam wieder und bald täglich; er wurde mein Musiklehrer, und unsere Herzen, die vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an sich angehört, zitterten bald in hoher Wonne aneinander. Zu spät widersetzte sich mein Großvater und verbannte den jungen Rechts- und Musikkundigen aus dem Hause; vergebens ließ er meinen Verlobten kommen, der die Sache durch ein ungezogenes Toben und Rasen nur verschlimmerte: ich verfiel in ein hitziges Fieber, der alte Herr zitterte für mein Leben und führte den Geliebten selbst an mein Lager. Kaum war ich genesen und selig im Besitz des Herzens, an das ich mit allen Seelenbanden gefesselt war, als die blinde, rachgierige Leidenschaft meines früheren Verlobten ein Duell herbeiführte, in welchem mein Geliebter lebensgefährlich verwundet wurde. Nun wachte ich an seinem Lager, wie er erst an dem meinigen gewacht hatte. Aber die Musik, dieser Engel des Lebens, half uns über alles Böse hinweg, und ein Jahr später hatte Liebheld seine eigne Praxis, und ich wurde sein glückliches Weib.“

Kahlert dankte für die Mittheilung und trat stumm an’s Fenster, um der Frau seine Züge zu verbergen, denn er fühlte, daß er nöthig habe, nach Fassung zu ringen.

Doctor Liebheld trat in’s Zimmer, eine kräftige Gestalt mit offnen, gewinnenden Zügen, eilte auf Kahlert zu, und bot ihm mit den Worten die Hand: „Ich habe bereits den Commentar zur Schmerzenskunde, die in Deinem Gesicht steht, erhalten. Ich weiß, was Dich betroffen hat.“

Kahlert machte mit der Hand eine bezeichnende Bewegung, indem er dem Freunde zuflüsterte: „Noch lange nicht Alles und das Schlimmste.“ Und laut sagte er: „Der Tod meines führt Vaters führt mich in Rechtsverwicklungen, in welchen ich Deines Beistandes bedarf.“

„Begleite mich auf mein Zimmer, damit ich mir gleich die nöthigen Notizen mache.“

Kahlert verabschiedete sich von der Hausfrau. Die schmerzlichste Wehmuth zuckte um seinen Mund, und eine Thräne träufte aus seinem Auge, als er ihr die Hand küßte.

Die hübsche Frau war selbst unruhig und nachdenkend geworden; sie setzte sich nieder zu den Kindern an den Flügel, aber sie war zerstreut, und es dauerte lange, eh’ die Musik ihre siegende Macht über das bewegte Gemüth ihrer Priesterin geltend machte.

Nach einer halben Stunde trat Liebheld wieder allein in’s Zimmer. Auch seine Züge waren auffallend verwandelt.

„Um Gotteswillen, Bernhard, was ist Dir begegnet?“

„Ruhig, liebe Aurelie! Höchst eigenthümliche Verhältnisse, die ich so eben von Eduard Kahlert erfahren habe, die er mir aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat, machen es nöthig, daß ich in Kurzem eine Reise nach Ungarn antrete. Wenn Du Dich entschließen könntest, Dich für die Dauer einiger Monate von unsern Kindern zu trennen, so würdest Du mich beglücken, wenn ich Dich in das Land Deiner Geburt und Sehnsucht führen könnte.“

Die Frau schnellte freudig empor. Doch in demselben Augenblick rief sie auch:

„Und die Kinder? Was sollte aus ihnen werden?“

„Sie würden bis zu unserer Rückkehr im „Grünen Baum“ wohnen, und die Pflege der Frau Kahlert und ihrer Töchter genießen; Eduard aber würde Vaterstelle an ihnen versehen.“

„Ich reise mit Dir, Bernhard!“

„In diesem Falle werden wir höchst wahrscheinlich ein junges Mädchen als Deine Zofe oder Begleiterin, je nachdem sie sich bildet, mitnehmen. Wir werden sie in den nächsten Tagen kennen lernen. Sie dient bei der verwittweten Kanzleiinspectorin Voß am Markt.“

Verwundert sah Aurelie ihren Gatten an.

  1. Vorlage: Körkraft
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_132.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)