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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 11. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Schachtgespenst.
Von Ludwig Storch.
(Fortsetzung.)


III.
Der gesuchte Mann.

Ein schöner Frühlingstag hat in den Nachmittagsstunden eine Menge Wiener lustige Welt im Prater versammelt. Man vergnügt sich auf dem grünen Rasen, unter den frisch ausgeschlagenen Bäumen, in den Zelten und Theatern auf die harmloseste Weise. Es ist ein ungemein lebendiges und freundliches Bild, dieses wechselnde Volksgetümmel voll Scherz und Heiterkeit.

Ein Herr und zwei Damen, welche zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, führen, alle fünf elegant und gewählt gekleidet, winden sich hindurch und fragen zuweilen einen Mann oder ein Weib aus den niedern Ständen nach dem Zelte „zu den drei Mohrenfürsten“ und sie werden stets mit der allen Wienern eigenthümlichen Dienstfertigkeit zurechtgewiesen. Endlich gelangen sie zu dem etwas abgelegenen Zelte, das sie erfragt haben, im sogenannten Wurstelprater, und der Herr zählt von der rechten Seite des eben nicht glänzenden Gebäudes die im Boden befestigten Tische.

„Hier, der sechste!“ sagt er zu den Damen. „Wir sind zur Stelle, wohin wir auf so eigenthümliche und geheimnißvolle Weise bestellt sind. Es ist auch gleich fünf Uhr,“ fährt er, seine goldene Taschenuhr ziehend, fort, indem er mit den Damen am bezeichneten Tische Platz nimmt. „Also naht der Augenblick, wo wir erfahren sollen, ob ich wirklich funfzehn Monate vergebens alle erdenklichen Nachforschungen angestellt und ob wir unverrichteter Sache heimkehren und Freund Eduard keinen Trost, ja keine Hoffnung mitbringen sollen, oder ob mein rastloses Bemühen im weiten Ungarland endlich in Wien noch mit Erfolg gekrönt werden soll.“

Der Sprecher und seine beiden Zuhörerinnen sind uns bekannte Personen. Er ist der Rechtsanwalt Dr. Liebheld; die hohe stattliche Dame ist seine Gattin, die Kinder sind die seinigen, welche er hat nachkommen lassen, und das schlanke, holde Mädchenbild mit den sanft gerötheten Wangen und den treuen, herrlichen blauen Augen ist Lieschen, das liebe Kind, das ehemalige hübsche Dienstmädchen. Mit ihr ist eine merkwürdige Veränderung vorgegangen; in die Augen springend ist die ihrer äußern Gestalt, denn sie ist eben so modern, eben so fein gekleidet, wie Frau Liebheld. Es scheint aber auch, daß die innere der äußern entsprechend ist: sie drückt sich in der Unterhaltung mit ihrer Begleitung gewandt, fein und mit dem Tone aus, welcher nur den Gliedern der höhern Gesellschaft eigen zu sein pflegt. Sie wird auch von Doctor Liebheld und dessen Frau als Ebenbürtige und nichts weniger als Dienende oder Untergeordnete behandelt.

„Der Himmel wäre Ihnen eine solche Genugthuung schuldig,“ sagte Lieschen scherzend. „Sie haben sich wahrlich die vollgültigsten Ansprüche darauf erworben.“

„Der Himmel erkennt nur solche Ansprüche nicht an,“ versetzte Liebheld.

„Aber er ist gerecht und ich übertrage ihm täglich zwei Mal im Morgen- und im Abendgebet, Ihnen zu vergelten, was Sie seit Jahr und Tag für mich gethan haben und noch zu thun gedenken. Womit aber könnt’ er Ihnen besser vergelten, als wenn er Sie endlich die so sehnlich gesuchten Leute auffinden läßt?“

„Wenn es wahr ist,“ sagte Frau Liebheld, „daß Gott und die Heiligen die Bittgebete unschuldiger und guter Kinder mehr berücksichtigen, als die anderer Menschen, so werden wir doch zuletzt kurz vor dem zu unserer Abreise festgesetzten Termin zum Ziele unserer Wünsche gelangen.“

„Jubelt nur nicht zu früh!“ sagte der Advocat. „Wir sind schon gar zu oft getäuscht worden. Die ganze Geschichte mit der geheimnißvollen Bestellung hierher und diesem Abzeichen, an welchem ich erkannt werden soll“ – er deutete leicht auf ein kleines schmales ponceaufarbiges Band im untersten Knopfloche seines Rockes – „ist am Ende wieder eine läppische Komödie, die sich ein Wiener Spaßvogel mit uns macht.“

Die drei sich also unterhaltenden Leute hatten jetzt eben so wenig bemerkt, daß sich ihnen ein fein gekleideter Herr in den höhern dreißiger Jahren genähert, wie sie vorhin wahrgenommen, daß ihnen zu beiden Seiten zwei Männer gefolgt waren, bald der eine näher, bald der andere, und endlich der eine rechts, der andere links an den nächsten Tischen Platz genommen hatten. Ihrem Aeußern nach schienen die Letzteren dem mittleren Bürgerstande anzugehören, während der zuletzt Hinzugetretene ein bei weitem vornehmeres Ansehen hatte. Als Doctor Liebheld, von seiner Frau auf diesen Herrn aufmerksam gemacht, die Augen zu ihm aufschlug, deutete derselbe stumm auf ein ganz gleiches Bändchen, welches auch er in demselben Knopfloche trug.

„Mein werther Freund,“ sagte der Fremde mit ostensibel lauter Betonung und mit der ungarischen Aussprache des Deutschen, „wenn es Ihnen und den geehrten Damen gefällig ist, so machen wir noch einen kleinen Spaziergang.“

Während er sprach, deutete er mit seinen großen schwarzen Augen sehr bezeichnend auf die beiden schlichten Männer an den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_141.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)