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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

inmitten dieses Dreizacks befindliche Theil Egyptens, das Nildelta genannt, ist zum Ackerbau geeignet. Rechts und links jenseits der Stromgabeln dehnen sich öde Sandwüsten aus. Die periodischen Ueberschwemmungen des Nils befruchten den Boden des Delta und machen diese Gegend zu einer reichen Kornkammer. Wohin die Fluthen des Stromes nicht reichen, hat Menschenfleiß künstliche Leitungen gezogen, zur Bewässerung und zugleich zur Schifffahrt bestimmt. Das einst von blühenden Colonien besäete, jetzt unbewohnte Wadi-Tumilat verdankte seinen Flor dem ptolemäischen Canal. Das Vorproject stellt, wie wir wissen, die Erneuerung der alten Wasserlinie vor. Indeß, so namhaft die Vortheile sein mögen, welche aus der Wiederherstellung der Verbindungslinie mit dem arabischen Golf für Egypten erwachsen müssen: für den Weltverkehr liegt nur in einer directen Verbindung des mittelländischen mit dem rothen Meere Heil.

Der maritime Canal soll dem durch die internationale Commission festgesetzten Plane gemäß vom Hafen von Suez auslaufen und der zwischen Arabien und Egypten bestehenden Senkung entlang durch die Becken der bitteren Seen in den Timsah, aus diesem aber in und durch den See Manzaleh in den Golf von Pelusium führen. Die Gleichheit des Terrains macht alle Schleußen überflüssig. Eine Erweiterung des Hafens von Suez ist jedoch in Anbetracht des zu erwartenden Verkehrs unvermeidlich; es soll überdies ein zweiter im Timsah-See erbaut und zur Aufnahme von 500 Fahrzeugen eingerichtet werden. Am nördlichen Ende des Canals, im Meerbusen von Pelusium, muß die Kunst den Mangel eines natürlichen Hafens ersetzen. Zwei beiläufig parallel laufende Steindämme (jetées), deren einer an seiner nördlichen Spitze eine leichte Krümmung erhält, werden den Schiffen Schutz und Ankergrund gewähren. Die Länge dieser Bauten beträgt nach dem Voranschlage 2500 Meter für den einen und 3500 für den zweiten Damm. Aehnliche Werke von 1800 bis 2000 Meter Länge sollen das Ein- und Auslaufen in Suez erleichtern.

Rücksichten für die unmittelbaren Interessen Egyptens, so wie die Nothwendigkeit, die Arbeiter und später die Ansiedler an dem maritimen Canal mit Süßwasser zu versehen, gebieten außerdem das Graben eines Nilcanals. Dieser soll unterhalb Kairo seinen Anfang nehmen, das Wadi-Tumilat durchziehen und in dem Timsah-See enden. Vor seiner Mündung wird derselbe zwei Arme, den einen nach Nord in den pelusischen Nilarm, den anderen nach Süd in den arabischen Golf entsenden.

Die Dauer der Arbeit bis zur Eröffnung des maritimen Canals ist auf fünf Jahre berechnet. Man soll mit der Süßwasserleitung den Anfang machen. Saïd-Pascha verspricht in der Concessionsurkunde, die nöthigen Arbeitskräfte gegen einen den Localverhältnissen angemessenen Lohn (1 Fr. per Tag) zu stellen. Die Fellah’s oder Landbewohner Egyptens sind fleißige Leute und zu ähnlichen Arbeiten überaus geschickt. Die zahlreichen hydraulischen Bauten der Vorzeit sowohl als der Gegenwart legen hierfür ein sprechendes Zeugniß ab.

Betreffend die Kosten des Gesammtbaues finden wir diese auf 162 Millionen und mit Einschluß der Zinsen während der Ausführung in runder Zahl auf 200 Millionen Franken angesetzt.

Für die Einträglichkeit des Unternehmens stellt das Project nachstehende Schätzung an: der Gesammtverkehr Europa’s und Amerika’s mit den jenseit des Vorgebirges der guten Hoffnung und des Cap Horn gelegenen Ländern kann auf 2½ Milliarden Fr. oder, zu 600 Fr. die Tonne, auf 6,000,000 Tonnen geschätzt werden. Nimmt man an, daß von dieser Quantität nur die Hälfte den kürzeren Weg über den Isthmus wählen wird – und man könnte zuversichtlich ein größeres Verhältniß voraussetzen – so erhält man

an Passagegeld per 10 Fr. die Tonne 30,000,000 Fr.
an Ankergeld zu 1 Fr. die Tonne im Timsah-Hafen, blos von der Hälfte der Durchfuhr gerechnet (1,500,000 Tonnen) 1,500,000 Fr.
an Passagegeld auf dem Nilcanal 1,560,000 Fr.
an Ertrag des Culturlandes, Eigenthum der Gesellschaft 6,996,000 Fr.
Zusammen       40,056,000 Fr.

Schlägt man die Verwaltungskosten auch noch so hoch an, so bleibt für die Unternehmer immer eine höchst einladende Dividende zurück. Der Gewinn wird indeß die Voraussicht eher übersteigen, als unter derselben bleiben. Die bei allen Schienenwegen gemachte Erfahrung lehrt, daß die Anlage eines kürzeren und wohlfeileren Communicationsmittels den Verkehr auf überraschende Weise vermehrt.

Der Weg zwischen den westeuropäischen und amerikanischen Häfen und den indisch-oceanischen Küsten um’s Cap der guten Hoffnung beträgt durchschnittlich 6000 Lieues oder 3800 deutsche Meilen, während die Straße über’s rothe Meer nur 3000 Lieues oder 1900 deutsche Meilen, somit die Hälfte ausmachen würde. Die beigefügte Tabelle vergegenwärtigt diese Aufstellung in genauerer Weise:

Zwischen Bombay und      deutsche Meilen
über Suez. um’s Cap.
Constantinopel 1080 3660
Malta 1237 3480
Triest 1404 3576
Marseille 1424 3390
Cadiz 1378 3120
Lissabon 1500 3210
Bordeaux 1680 3390
Havre 1694 3480
London 1860 3570
Liverpool 1830 3540
Amsterdam 1860 3570
Petersburg 2220 3930
New-York 2257 3720
New-Orleans 2234 3870

Die mittleren Fahrten gewöhnlicher Segelschiffe um’s Vorgebirge der guten Hoffnung erfordern für die Hinreise nach Indien 110 bis 120, für die Rückkunft 130 Tage. Eine volle Reise dauert hiernach im Durchschnitt acht, und mit dem Frachtsuchen, Laden u. s. w. zehn Monate. Die Fahrt durch den Isthmus wird hingegen nur sechzig Tage, also für Hin- und Herreise vier und mit dem Aufenthalte sechs Monate verlangen.

Die Frachtkosten auf der Caproute, das Schiff zu 500 Tonnen (also 1000 Tonnen hin und zurück) genommen, steigen auf 120,000 Fr., also 120 Fr. für die Tonne. Ueber Suez werden diese Kosten nur 72,000 oder per Tonne nur 72 Fr. ausmachen. Die Differenz zu Gunsten letzteren Weges beträgt mithin 48 Fr. für die Tonne.

Die Vortheile, welche die Benutzung des Canals verspricht, sind somit auf das Unzweideutigste erwiesen. Gegen die Ausführbarkeit lassen sich ebenfalls keine stichhaltigen Argumente anführen.

Die Spiegel der beiden zu verbindenden Gewässer weichen nur ganz unbedeutend von einander ab. Das Niveau des rothen Meeres steht nur 68 Centimeter höher, als jenes des mittelländischen. Die Ueberfluthung gehört somit in das Reich der Chimären. – Der Boden des Isthmus ist eben, besteht aus Kies und Sand, und bietet folglich dem Spaten kein Hinderniß dar. – Eine Verschüttung des Canals durch Flugsand steht nicht zu besorgen. Die Becken der Seen und theilweise das Bett der seit vielen Jahrhunderten, ja Tausenden von Jahren bestehenden Canäle müßten sonst längst versandet und spurlos verschwunden sein. Die Sandhügel sind größtentheils durch Wüstenvegetation fixirt, und sollen durch Anbau von Wäldern völlig unschädlich, ja fruchtbringend gemacht werden, so wie auch jene beweglichen Dünen, welche eine Strecke des Canals von El-Guisr aufwärts begleiten. Nicht besser begründet ist die Furcht vor den Stürmen und Klippen des rothen Meeres. Eine langjährige Bekanntschaft vieler und ausgezeichneter Seeleute mit diesen Gewässern hat das aus der Vorzeit überlieferte Vorurtheil vollkommen entkräftet. Selbst die in dem indischen Ocean und im arabischen Golf herrschenden periodischen Winde (Monsun) verlieren ihre Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die Dampfkraft von Jahr zu Jahr eine größere Anwendung findet, und daß die im rothen Meere aufzustellenden Remorqueurs im Nothfall die Segelschiffe in’s Schlepptau nehmen können.

Da nun die Möglichkeit einer Canalisirung erwiesen, die Vortheile aber so mannichfaltig, allgemein und einleuchtend sind, so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_165.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)