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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 18. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Iffland.
Biographische Novelle von A. v. Sternberg.
(Schluß.)

„Ohne Ihre Schuld, Kind – gänzlich ohne Ihre Schuld – beruhigen Sie sich.“

„Halten Sie mich nicht, Beste; lassen Sie mich eilen –“

„Ohne mich keinen Schritt auf die Straße! Die Bösewichter, die Sie hierher gelockt, könnten noch in der Nähe sein. Ich selbst bringe Sie zur Präsidentin, und von dort, wenn es sein muß, in’s Schauspielhaus, obgleich ich einen heiligen Eid geschworen, nie die Schwelle eines Theaters zu überschreiten, auch nicht als Zuschauerin! Ja, mein Kind, diesen Schwur hab’ ich gethan; allein hier findet natürlich eine Ausnahme statt. Wollen wir uns bereit machen, zu gehen.“

„Wirklich, liebe Frau, es ist keine Minute zu verlieren.“

„Nennen Sie mich nicht Frau; ich bin unverheirathet. Ach, ich war einst jung und schön, wie Sie! Nicht so schön, nein, nicht so schön. Da können Sie mein Bild betrachten –“

„Ach – lassen Sie uns eilen. Der Boden brennt unter meinen Füßen.“

„Sie haben Recht, liebes Mädchen! Alles Andere hat Zeit, vor allen Dingen müssen wir in’s Schauspielhaus!“

Und Fräulein Erland legte ein altes Umschlagetuch um, ertheilte in der Eile dem kleinen Mädchen, das sich unterdessen eingefunden, einige häusliche Verhaltungsbefehle, und machte sich dann mit ihrem Schützling auf den Weg. Auf der Straße angelangt, sah sie sich überall um, ob keine Lauscher und Verfolger zu entdecken, als sie Niemand Verdächtiges gewahrte, bog sie mit Sophien rasch in ein Seitengäßchen. Das junge Mädchen war noch wie betäubt, und bei jedem starken Geräusch zusammenfahrend, mußte sie häufig den hülfreich dargebotenen Arm ihrer Begleiterin erfassen. Beide langten im Hause der Präsidentin an und erfuhren, daß die Frau des Hauses so wie die Dienerschaft in der größten Unruhe über das Verschwinden Sophien’s sich hierhin und dorthin vertheilt habe, um sie zu suchen. Sofort setzte man den Weg zum Schauspielhause fort. Unterwegs kam den Beiden die Präsidentin im Wagen entgegen. Schon von Weitem bog sich die freudig überraschte Frau aus dem Fenster hinaus und befahl, zu halten. Die Begrüßung war herzlich, nur wenige Worte wurden in der Eile gewechselt, Fräulein Erland wurde gebeten, mit im Wagen Platz zu nehmen, und rasch fuhr man zum Theater. Das Stück hatte schon begonnen, nachdem Iffland so lange als nur irgend möglich den Beginn hinausgeschoben hatte. Eine Schauspielerin, die die Friederike öfters schon gespielt, war an die Stelle der Vermißten getreten.

Ehe wir jedoch die drei Frauen in das Garderobezimmer Iffland’s einführen, müssen wir dem Leser die Lage des vergeblich Wartenden schildern, der in einer namenlosen Aufregung sich befand, und doch gezwungen war, mit einer solchen Centnerlast auf dem Herzen, seine Rolle vor dem zahlreich versammelten Publicum zu spielen, eine Rolle, die er sich als Festgenuß ausgedacht, und die ihm jetzt zu einer wahren Höllenmarter wurde. Schon zur Mittagstunde hatte die Präsidentin hinübergeschickt und fragen lassen, ob Sophie bei ihm sei; Iffland hatte dies verneint, zugleich aber bitten lassen, das junge Mädchen möchte rasch kommen. Sie kam nicht. Die Zeit war da, um sich in’s Costüm zu werfen – sie kam nicht. Boten auf Boten wurden ausgesendet, sie brachten die Nachricht, man wüßte nicht, wo sie sei. Die Stunde des Beginnes der Vorstellung rückte heran; die Lampen wurden angezündet, Iffland saß in peinlicher Angst und ließ sich pudern und frisiren. Jetzt kam Laura – ihr auf dem Fuße Anton. Iffland mußte gegenüber diesen Beiden, die außer sich waren, den Ruhigen, den Besonnenen spielen. Er zog die Uhr hervor, und sagte begütigend:

„Sie wird sich bei der Putzmacherin verspätet haben; es ist halb sechs Uhr, um sechs muß sie hier sein. In den ersten Scenen hat sie nicht zu spielen; es ist demnach noch Zeit, wenn sie um sechs hier ist. Freilich hatte ich sie gebeten, schon um vier Uhr bei mir zu sein.“ – Anton wirft sich leichenblaß auf einen Sessel. „Was ist Dir, mein Junge?“ fragt Iffland und versucht, sich insoweit von den Lockeneisen des Friseurs frei zu machen, daß er den Kopf wenden und zu dem jungen Soldaten hinüberschauen kann. „Was ist Dir?“

Er will mit der Sprache nicht heraus, aber ein nervöses Zittern hat ihn überfallen. Die Präsidentin verläßt das Zimmer, sie will zurück nach Hause, um dort von Neuem Nachforschungen anzustellen; kaum ist sie fort, so wirft sich Anton an die Brust seines väterlichen Freundes, und während heiße Thränen die geschminkten Wangen des Oberförsters netzen, stammelt er:

„Sophie ist entführt! Sie ist auf immer verloren. Ein Camerad hat gestern etwas erlauscht, er war Ordonnanz bei dem General Xavier; er hörte flüstern, ein verdächtiger Mensch sprach den Namen Sophie Seelfeld – ich wollte Alles nicht glauben. Ach August – August – wenn es wahr wäre!“

„Sei ruhig, Anton! Es ist, es kann nicht wahr sein!“

„Du sagst es, aber woher weißt Du es? Kann es nicht eben so gut wahr sein?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_241.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)