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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Herrn. Es war eine hohe, sich sehr gerade, aber nichts weniger als steif haltende Figur, ohne Embonpoint; die Gesichtszüge fein, zugleich etwas frivol, wie es schien, das Auge außerordentlich klug. Das Benehmen des Mannes glich ganz seiner eleganten und sorgfältigen Kleidung. Er war sehr höflich. Ich hatte einen Mann vor mir, der unzweifelhaft der höheren Gesellschaft angehörte. Seine Worte bestätigten mir das sofort.

„Ich bin der Graf Alexander Ruthenberg, russischer Gesandter zu –“

„Was steht Ihnen zu Diensten, Herr Graf?“

„Ich komme in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu Ihnen. Aber darf ich auf Ihre vollständige Verschwiegenheit rechnen? Auf die vollständigste, unbedingteste?“

„Sie können; in so weit meine Amtspflicht nicht etwas Anderes von mir fordert.“

„Gerade in einer amtlichen Angelegenheit komme ich zu Ihnen, und – was ich Ihnen zu sagen habe, bestätigt sich entweder, oder bestätigt sich nicht. Für beide Fälle ist alsdann meine Person gleichgültig. Doch erlauben Sie, daß ich zur Sache komme.“

„Ich bitte darum.“

„Die Gräfin Ruthenberg zu Turellen ist meine Schwägerin.“

„Ah!“

„Ich bin seit drei Tagen zum Besuch bei ihr. Vor einigen Wochen hatte sie den Besuch unseres beiderseitigen Neffen, des Grafen Paul Ruthenberg.“

„Ich habe davon gehört.“

„Er war nach einem Aufenthalte von vierzehn Tagen plötzlich verschwunden.“

„Ich weiß auch das.“

„Hatten Sie schon Verdacht?“

„Das Gerücht hatte ihn ausgesprochen, aber nicht bestätigt.“

„Ich fürchte, ich bringe Ihnen Bestätigung. Meine Schwägerin zwar glaubt nur an einen tollen Streich des jungen Mannes. Aber meine Schwägerin ist eben eine Dame, die gern Alles leicht nimmt. Es ist Gewohnheit bei ihr.“

Ein flüchtiges, spöttisches Lächeln glitt über das feine Gesicht des Diplomaten. Er fuhr fort, und sein Ton wurde nach und nach beinahe so leicht, wie er die Gemüthsart seiner Schwägerin schilderte.

„Ein toller Streich des jungen Menschen mag allerdings vorliegen. Aber ich fürchte, er hat ihm das Leben gekostet.“

„Sie glauben an ein Verbrechen?“

„Darf ich bitten, genau folgende Umstände zu erwägen: Meine Schwägerin war im vorigen Jahre in Bad Ems. Sie hat von dort eine Gesellschafterin mitgebracht, eine junge, sehr schöne Dame. Wenige Tage, nachdem sie die Gesellschafterin genommen hatte, fand ein junger Mann sich ein, und bot ihr seine Dienste als Jäger an. Sie nahm ihn. Sie hat ihn gleichfalls mit hierher gebracht. Er ist ebenfalls ein schöner, junger Mann. Zwischen der jungen Dame und dem jungen Mann besteht irgend ein geheimnißvolles, wenigstens heimliches Verhältniß. Sie scheinen sich vorher schon gekannt zu haben. Sie fragen mich, was das Alles mit meinem Neffen zu schaffen habe?

„In der That, Herr Graf –“

„Haben Sie die Güte, mich weiter anzuhören. Vor etwa acht Wochen kommt mein Neffe in Turellen an. Er war – ich wünschte, er wäre es noch, aber es wird leider nicht der Fall sein – er war ein leichtsinniger Bursch. Dabei sehr ungenirt und, lassen Sie mich es gerade heraus sagen, roh, sehr roh. Meiner Schwägerin gefiel er so. Auch seinem Vater hat er so gefallen. Er hatte in Allem seinen freien Willen.“

In Rußland kann ein junger Edelmann mit ungebundenem Willen viel wagen. Auch ich hatte darüber schon manche Erfahrung an der russischen Grenze gemacht. Ich mußte zu den Worten des Grafen unwillkürlich nicken. Er bemerkte es. Sein feines Gesicht lächelte wieder.

„Zuletzt hat er auf einigen deutschen Universitäten studirt.“

„Und wahrscheinlich die Vollendung seiner Ausbildung in Paris erhalten?“

„Ah, mein Herr, Sie biegen mir ein Paroli.“

Ich verbeugte mich.

„Aber Sie haben in der That Recht. Er war den letzten Winter über in Paris und von dort war er nach dem mardi gras direct zu seiner Tante gereist. Er sah hier die junge, wie gesagt, sehr schöne Gesellschafterin. Die Schönheit der Dame entzündete seine Leidenschaft. Er war nicht gewöhnt, seinen Leidenschaften Zügel anzulegen, und verfolgte die Dame mit Liebesanträgen. Sie wies ihn zurück. Er wurde dringender. Sie wandte sich um Schutz an meine Schwägerin.

„Meine Schwägerin nimmt, wie gesagt, gern die Sachen leicht, besonders dergleichen Sachen. Sie kennt sie aus alter Zeit und, mein Herr – ach, ich bin ja Ihrer Verschwiegenheit gewiß – meine Schwägerin ist in ihren alten Tagen keine Betschwester geworden, die Frau von Krüdener hat sie nicht bekehrt. Sie wies die junge Dame zurück; in fremde Herzensangelegenheiten mischte sie sich nicht.

„Aber das Herz habe mit dieser Angelegenheit nichts zu schaffen, meinte die Gesellschafterin. Um fremde Liebeleien kümmere sie sich noch weniger, erwiderte meine Schwägerin. Die Tante erzählte das scherzend dem Neffen wieder. Der Neffe wurde darauf noch dringender, sehr dringend. Und wenn ein junger, kurländischer Edelmann, der einen ungebundenen Willen hat und seine Studien auf deutschen Universitäten und seine Bildung in Paris vollendete, wenn der sehr dringend wird, so gibt es für ihn keine Rücksichten, selbst keinen Dehors mehr.

„Die junge Dame verschloß sich in ihrem Zimmer. Sie verließ es nur auf den ausdrücklichen Befehl ihrer Gebieterin. Sie scheint zugleich Anstalten getroffen zu haben, das Schloß zu verlassen. Sie hat wenigstens ungewöhnlich viel Briefe geschrieben. Ihre Verhältnisse scheinen überhaupt etwas mysteriös zu sein. Doch gehört das nicht hierher.

„Je mehr sie sich nun den Augen meines Neffen zu entziehen suchte, desto mehr verfolgte diesen mit seinen Augen der Jäger meiner Schwägerin, jener schöne, junge Mann, den sie schon in Deutschland gekannt hatte. Er verfolgte meinen Neffen mit drohendem Blick; war es die Drohung der Eifersucht, war es etwas Anderes, ich weiß es nicht.

„Da kam die Nacht, in der mein Neffe verschwand. Er war erst vierzehn Tage da. Solch’ ein junger Mann marschirt im Geschwindschritt. Die Gesellschafterin hatte des Abends beim Thee erscheinen müssen und hatte sich um zehn Uhr in ihr Zimmer zurückgezogen. Einige Minuten später hatte auch der Neffe der Tante eine gute Nacht gewünscht. Man hat ihn seitdem nicht wieder gesehen. Aber diese Umstände sind Ihnen wohl schon bekannt, Herr Kreisjustizrath?“

Sie waren mir bekannt.

Allein nicht folgende:

„Die Gesellschafterin logirt – sie ist noch in Turellen – Parterre. Ihre Zimmer liegen nach dem Garten hin. Sie bewohnt zwei Zimmer, ein Wohnzimmer und eine Schlafstube; beide sind durch eine Thür miteinander verbunden. An die Schlafstube stößt noch ein drittes Zimmer; es liegt ganz am Ende des Gebäudes. Seine Fenster gehen ebenfalls in den Garten und es ist gleichfalls durch eine Thür mit der Schlafstube der Gesellschafterin verbunden.

„Das Zimmer ist nicht bewohnt; es befindet sich eine alte Bibliothek darin. Nicht meine Schwägerin, aber die Gesellschafterin benutzt diese zuweilen. Sie hat sich daher den Schlüssel zu dem Zimmer geben lassen, so daß sie unmittelbar aus ihrer Wohnstube hinein gelangen kann. Den Schlüssel läßt sie, ließ sie wenigstens früher in der Thür stecken. Sie pflegte ihn auch nicht im Schlosse umzudrehen, so daß man auch, ohne daß sie aufschließen mußte, aus dem Bibliothekzimmer in ihre Schlafstube gelangen konnte. Die Fenster des Wohn- und Schlafzimmers der Gesellschafterin sind inwendig mit starken Läden versehen, die des Bibliothekzimmers nur mit Jalousien.

„Das Parterre ist übrigens hoch. Auf dem Hofe laufen des Nachts wachsame Hunde frei herum. Läden und Jalousien pflegen deshalb nur im Winter verschlossen zu werden.

„In der Nacht, als mein Neffe verschwand, – es war zu Ende April – waren wenigstens alle Jalousien des Bibliothekzimmers nicht verschlossen. Mein Neffe ging nur zum Schein in sein Zimmer. Er löschte dort nach einiger Zeit sein Licht aus; dann verließ er es leise, die Thür zuschließend, als wenn er sich zu Bette gelegt habe; man sollte dies glauben. Leise ging er die Treppe hinunter, schlich durch den Gang, öffnete eine in den Garten führende Thür und begab sich in denselben. Kein Mensch sah ihn. Er wandte sich nach dem Flügel des Schlosses, in welchem sich die Zimmer der Gesellschafterin befinden.

„In den Fenstern der Dame sah er kein Licht mehr. Er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_258.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)