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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

bei den übrigen Oberfranken gleichsam in Verruf waren und Jedermann bei Gelegenheit auf sie schlug. Natürlich wehrten sie sich ihrer Haut wacker, ließen sich nicht ungestraft necken und setzten sich meist tüchtig in Respect. Kommen Sie! Es ist heute Viehmarkt auf dem Brandenburger. Da sehen Sie ein tüchtig Stück oberfränkisches Volksleben bunt durcheinander beisammen, namentlich können Sie sich die Hummeln und ihr prächtiges Rindvieh in nächster Nähe betrachten.“

Der Vorschlag gefiel mir; ich liebe das deutsche Bauernvolk in allen Gegenden des großen Vaterlandes. Es ist die reiche, große Pflanzschule der Zukunft, die ewige Verjüngungsquelle deutscher Tüchtigkeit. Auf die Hummeln war ich besonders neugierig. Wir gingen hinauf in die hochgelegene Marktstadt. „Der Brandenburger“ ist nämlich der volksthümliche Name der nordöstlich eine gute Viertelstunde von der Stadt Bayreuth isolirt auf einer Höhe gelegenen Vorstadt St. Georgen. Dort und in der drei kleine Stunden südlich von Bayreuth gelegenen kleinen Stadt Kreußen werden abwechselnd die wichtigen wöchentlichen Viehmärkte abgehalten.

Welch’ ein Volksgewimmel! Welch’ ein buntes, lebendiges Treiben! Die lange, breite Straße entlang standen zu beiden Seiten die kräftigen gescheckten Kühe und Ochsen, dazwischen und in der Straße das schreiende, feilschende Volk. Alle oberfränkische Bauerntracht ist malerisch. Am kleidsamsten ist die blaue Jacke der jungen Burschen mit der Doppelreihe runder, blanker Zinnknöpfe; im Verein mit den hohen Stiefeln gibt sie ihnen das Ansehen eines Reitervolks, das eben vom Pferde gesprungen ist. Der Menschenschlag ist meist klein und nicht von besonderm Ansehen. Man sieht ihm sogleich die slavische Abstammung am dunkeln, dünnen Haar, an dem breiten Gesicht mit den hervorstehenden Backenknochen, an der dunkeln, fast krankhaften Farbe und an der untersetzten, nicht eben schön gebauten Gestalt an. Es steht jetzt historisch urkundlich fest, was man früher bestreiten wollte, daß die Bevölkerung von ganz Oberfranken slavischen Ursprungs ist. Eine große Anzahl Ortsnamen, Sitten und Gebräuche hätten es schon beweisen können. Aber man wollte die Leute durchaus zu Nachkommen der alten Deutschen machen, als ob das Deutschthum nicht eben so viel Ehre davon habe, sie sich zu eigen gemacht zu haben!

Am meisten fielen mir zwei sehr verschiedene Menschenstämme auf, beide sehr stark vertreten und hier nächst dem lieben Rindvieh die Hauptfactoren: die Juden und die Hummelbauern. Der deutsche Schacherjude ist sich überall gleich. Man möchte in Wien im Salzgries schwören, diese selben Juden, die einem da massenweis begegnen, habe man in Berlin, in Hamburg, in Frankfurt gesehen. Gerade so sehen sie in Oberfranken aus, gerade so schachern sie mit dem ruhigen Bauer, gerade so vagiren sie mit den Händen, gerade so schwatzen sie, gerade so sind sie herausgeputzt und mit Zierrath behangen. Hat man Einen gesehen und gehört, kennt man sie Alle. Dieser uninteressanten Allgemeinheit gegenüber nimmt sich die streng abgeschlossene individuelle Besonderheit der Hummeln besonders gut aus. Und doch hat der Hummelbauer mit dem Juden die Eigenthümlichkeit gemein, daß man ihn sogleich an den Gesichtszügen, am Körperbau, an Gebehrde und Sprache erkennt, selbst wenn er das charakteristische Hummelröckchen nicht trägt und weder die ihm eigenthümliche Kopfbedeckung, das schwarze Hutungeheuer, noch die Bräme (gebrämte Pelzmütze) sein Haupt bedeckt. Aber freilich ist seine Individualität von der des Juden himmelweit verschieden und schwerlich werden sie sich jemals vermischen und ein neues Volksgepräge bilden. Der Hummelbauer ist meist kleiner, untersetzter Statur und noch weit schärfer, als bei seinen Nachbarn, tritt der slavische Typus in ihm hervor; die ihm eigenthümliche Volkstracht besteht bei dem männlichen Geschlechte aus einem dunkeln, kurzen Rocke mit merkwürdiger hoher Taille und ohne Knöpfe, der über der Brust zusammengehäkelt werden kann, meist aber offen steht und so das bunte, prächtige Brustfleck und den künstlich und geschmackvoll gesteppten schwarzledernen Hosenträger sehen läßt. Der Stoff des Rockes ist schwarzes und hellgrünes Tuch, jenes als Hauptbestandtheil, dieses als Unterfutter, beides Erzeugniß des Hauses. Die selbstgezüchtete Schafwolle kardäscht, färbt und spinnt die Bäuerin, webt der Bauer. Dieses kurze, knappe Kleidungsstück heißt das „Hummelröcklein.“ Doch hat jeder Bauer auch einen Rock von demselben Zeuge, von derselben Art. Der kurze ist für den Verkehr mit den Menschen, der lange für den Verkehr mit dem lieben Herrgott bestimmt: es ist der Kirchenrock. Der Brustfleck ist von grünem Tuch, mit bunten Blümchen reich bestickt und mit gelben Schnüren besetzt. Es ist das malerischste und eigenthümlichste Kleidungsstück der Hummeln. Darüber sieht man die breiten ledernen Hosenträger mit reicher Stepperei, vorn mehrfach verschlungen, an welchen die kurzen schwarzledernen Beinkleider mit messingnen, an den Hosen festgenähten Haken angehängt werden. Der Hals ist mit einem schwarzseidnen, meist rothberänderten Tuche umwunden; auf dem kurzgeschnittenen, nicht selten gescheitelten Haupthaare sitzt der ungewöhnlich breite Hut mit herabhängender, zuweilen einseitig aufgestülpter Krempe, an der innern Seite derselben, wie schon bemerkt, das sogenannte Hummelnest; oder die schöne, sehr kleidsame, hoch aufragende, grünsammetne, meist mit Marderpelz reich verbrämte Mütze.

Nicht minder eigenthümlich und pittoresk ist die Tracht des weiblichen Geschlechts. Der ebenfalls schwarze, aus demselben Wollenstoffe gefertigte, kurze und faltenreiche Rock ist am untern Rande mit breitem, halbwollenen Bande besetzt und wird oft von einem schwarzledernen, mit kleinen Metallplatten reich verzierten Gürtel zusammengehalten. Die Jacke ist kurz, bei Frauen meist schwarz, bei Mädchen meist dunkelgrün, von selbstbereitetem Tuch. Ueber eine mit Seide und Flittergold gestickte kleine Haube wird ein schwarzes oder rothes Kopftuch, hinten gebunden, getragen. Bei Festlichkeiten setzen die Mädchen auf den Zopfknoten am Hinterkopfe eine kleine, sternförmige Haube von dunkelrothen seidnen Bändern, welche künstlich zu dieser Form zusammengeflochten werden und von welcher breite, gezackte Bänder desselben Stoffs den Rücken hinabhängen.

Zum Kirchengang setzen viele Frauen ein weißes Tuch auf den Kopf und werfen ein zweites Tuch desselben Stoffes und derselben Farbe über die Schulter, dessen beide Zipfel sie vorn mit den Händen Zusammenhalten. Diese beiden weißen Schleiertücher und die Art, wie sie getragen werden, sind ein echter Rest ihres Slaventhums und finden sich gerade so bei den slovakischen Frauen in Oberungarn. Statt des Regenschirms führen sie, ebenfalls wie die Slovakinnen, große weiße Regentücher, welche in der Mitte einen drei Finger breiten rothen Streif haben (dieser ist deutsche Zugabe) und bei Gängen über Land über den Rücken gelegt und vorn zusammengebunden werden.

Begreiflicher Weise zog mich das Verlangen, das Völkchen und sein Land kennen zu lernen, am Ufer des Mistelbaches hinauf. Ich trat in den Mistelgau und überschaute von einer Anhöhe den reizenden, von einem Bergkranze umschlungenen Erdwinkel, den der Bach mit dem alten Namen durchströmt, mit seinen meist so malerisch an den Bergwänden hingelehnten Dörfern. Das Hummelland oder der Mistelgau, d. h. der ganz Grund des Mistelbaches mit den kleinern Nebengründen umfaßt vierundzwanzig Dörfer, nebst einer nicht geringen Anzahl einzelner Höfe und Mühlen. Die größten, reichsten und schönsten sind Mistelbach, Mistelgau, Gefres und Glashütten. Gefres liegt sehr reizend an der untern Stufe des Sophienbergs empor und seine hohe Kirche beherrscht weithin die ganze Gegend. Sie ist unstreitig der schönste Punkt des ganzen Gau’s und deshalb mit auf unser Bild aufgenommen.

Die Mistel entspringt aus einer Menge Quellen auf der nördlichen Seite zweier aneinander grenzenden, bewaldeten niedern Bergzüge, deren westlicher der Volsbacher und östlicher der Linderhardter Forst heißt. An der südlichen Seite des letztem entspringt der alte Main, in welchen sich die Mistel bei Bayreuth ergießt. An der Südseite des erstern beginnt die hochromantische fränkische Schweiz und die dort entspringenden Bäche fließen der Wisent zu. Aber auch aus dem Mistelgau selbst wenden sich die westlichen und nördlichen Bäche dorthin. Daraus erhellt schon, daß es ein anmuthiges Hügelland ist. Sonst gehörte es den brandenburger Markgrafen von Kulmbach und wurde von diesen reformirt; jetzt macht es einen Theil des oberfränkischen Kreises des Königreichs Baiern aus. Die nächsten Dörfer jenseits des Volsbacher Forstes, wo das Bisthum Bamberg begann, sind katholisch und unterscheiden sich durch Tracht und Sitte merklich von den Hummeldörfern. Die Bauart der Häuser und der Ortschaften in diesen ist echt slavisch. Dieselben steil abfallenden, nur auf Balken aufgelegten Strohdächer, dieselben auffallend kleinen Fenster, dieselbe Malerei an den Thoren und in den Fenstervertiefungen, dieselbe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_262.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)