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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

nähert sich, hier ein Kleeblättchen, dort ein anderes saftiges Kräutlein naschend, der unglückliche Lampe. Ein leises Heben der weißen Spitze an der Standarte[1] Reinecke’s läßt erkennen, daß er sich fertig zu machen anfängt. Das Hintertheil kaum merklich emporrichtend, rüstet er sich zum Sprunge, und genau hat er es abgepaßt, bis der Hase für ihn erreichbar ist; – ein einziger langer Satz, und er hat sein Schlachtopfer gefaßt, das er jetzt unbarmherzig niederwürgt. Nach echter Wilddiebsart verschwindet er augenblicklich mit seiner Beute vom Orte seiner That, um unberufener Neugier, die den Klageruf des Unbescholtenen etwa gehört, aus dem Wege zu gehen, und seinen Braten zu verschmausen, der nach Reinecke’s Kochbuch durchaus keiner Zuthat bedarf. Vorkommenden Falles überhebt er sich auch wohl der Mühwaltung, irgend ein schmackhaftes Thier erst todt zu beißen, und zieht vor, es bei lebendigem Leibe „anzuschneiden.“[2]

Glaube man jedoch nicht, daß er sich mit der kleinen Jagd begnügt, obwohl er dieselbe gern betreibt; o nein, – sein Sinn steht höher! Auch die mittle und selbst hohe Jagd übt er aus, indem er nicht nur Rehkälbchen – im Winter sogar alte Rehe – sondern auch Wildkälbchen und Frischlinge erlegt, und gerade hierin der Wildbahn am gefährlichsten wird. Ebenso verhält es sich mit dem ihm vorzugsweise schmackhaften Federwildpret, dem er gleichfalls von Klein- bis Hochwild hinan nachjagt, wobei manche Birk- und Auerhenne in der Brutzeit ihm anheim fällt. Uebrigens hält er, wie bei einem so durchtriebenen Pfifficus vorauszusetzen, eine alte Klugheitsregel: „wer das Kleine verachtet, erhält das Große nicht,“ in Ehren, namentlich, wenn das Kleine werth ist, den Gaumen zu reizen. Darum sieht man den Gourmand, wenn der Morgen graut, öfter den Dohnensteg passiren und die Krammetsvögel, die sich etwa gefangen haben, aus den Schlingen nehmen, notabene, wenn sie nicht zu hoch hängen, und er sie noch im Sprunge erreichen kann.

Nichts ist, wie man sieht, seinem Cavaliermagen zu gut, wie er sich denn vollkommen für berechtigt hält, auch mitunter einen Fasan zu verzehren. Mit Recht sagt daher der französische Jagdschriftsteller Valmont de Bomare: „was der Wolf für den Bauer, ist der Fuchs für den Edelmann.“

Auf diese Weise treibt es der fahrende Ritter, so lange es geht. Bald lebt er im Wald, bald auf der Flur; heute bleibt er im Dickicht sitzen, morgen fährt er in einen Bau oder in eine Fluchtröhre ein, oder – liegt wohl auch im schützenden Kraut eines Kartoffelfeldes hinter den Furchen, wo freilich zuweilen für ihn die Gefahr eintritt, daß ihm auf der Hühnersuche[3] die Jäger und die Hunde auf den Pelz kommen und, falls ihm nicht, was oft genug geschieht, die Ueberraschung der Schützen durchhilft, sein improvisirtes Quartier das Leben kostet.

Je weiter die Jahreszeit vorrückt, desto schlimmer wird’s nun für den Musje, da sein Balg sich mit jedem Tage bessert; denn der logische Satz: „Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg“ läßt die Grünröcke allerdings Alles aufwenden, um dem zwar das ganze Jahr Vogelfreien jetzt ganz besonders Abbruch[4] zu thun. Kommt vollends der erste Schnee, wo Füchsleins Pfiffigkeit nicht mehr die gewohnte Wirkung hat, da die Fährte ihn auf Schritt und Tritt verräth, so fängt gar seine schlimme Zeit an. Denn abgesehen davon, daß Schmalhans Küchenmeister bei ihm wird, ist er auch noch ein unermüdlich verfolgter Märtyrer. Da wird er gekläppert,[5] wenn er im Dickicht steckt; mit seinem Erzfeind, dem Dachshund, aus dem Baue getrieben, wenn er eingefahren, oder, wenn’s nur eine Fluchtröhre ist, ausgeräuchert[6] oder sogar gekrätzert,[7] was die grausamste und menschenunwürdigste aller Arten ist, seiner sich zu bemächtigen. Auch kirrt man den durch Noth Verlockten an Aas, um ihn dann um so gewisser aus dem sichern Versteck zu tödten. Was gibt’s da nicht Alles für den Schlaukopf zu beobachten! Da gilt’s, den verführerischsten Brocken[8] von einer Katze oder einer andern Lieblingsspeise trotz heftigstem Hunger nicht eher anzurühren, bis die vollste Gewißheit erlangt ist, daß nicht Gefährliches dabei sei; und selbst dann noch nimmt der jetzt arme Proletarier seinen Fund mit äußerster Vorsicht auf. Doch diesmal war sie unnöthig, ebenso bei einem andern Brocken, der sich ihm darbietet – bei einem dritten, vierten u. s. w. Gefahrlos hat er sie alle verzehrt, da findet er noch einen letzten; auch ihn nimmt er – und hängt am Eisen! Mancher hat sich so gefangen, und ist vom Jäger durch einen Schlag auf sein spitzfindiges Organ, die Nase, getödtet worden, wenn er nicht den Muth gehabt, das gefangene Glied abzubeißen und, war’s ein Lauft, wie einen ausgezogenen Stiefel hängen zu lassen, zum Wahrzeichen, daß sich ein alter Fuchs wohl einmal ertappen, aber nicht festhalten läßt. Ja, die Sage geht, der Stoicismus dieser Teufelsbestien sei bisweilen so weit gegangen, daß sie entweder vor dem ersten aufgefundenen Brocken oder wenigstens vor dem Stellbrocken, wenn das Eisen nicht gut verwittert gewesen, aus Mißtrauen verhungert seien.

Tritt bei Schnee Thauwetter ein, und friert es schnell darauf, so ist für unsern nichtsachtenden Räuber Festtag; denn wenn das Wild und namentlich die Rehe durch die Eiskruste brechen, und sich dabei die Läufte verwunden, wodurch sie an schneller Flucht gehindert werden, so jagt er als Cavalier par force und zwar dann oft in Gemeinschaft seines Gleichen.

Im Februar regt sich in ihm die Liebesgluth; da sagt man: „der Fuchs fängt an zu ranzen.“ Doch auch in dieser Periode bewahrt sich der Alles berechnende Schlaukopf seine volle Besinnung, ohne sich der Leidenschaft blind zu überlassen, wie mehr oder weniger alles Wild, und namentlich der Auerhahn, zu thun pflegt. Um Erhörung seiner heißesten Wünsche mit leisem Kekkern flehend, muß er sich dabei nach Hundeart gegen die Mitbewerber wehren, bis er sie abgebissen hat oder durch eine andere liebenswürdige Füchsin von den Unberufenen befreit wird, die ihr nun den Hof machen. Dann sieht man sie Nachts im Mondenschein, zu vier bis sechs, heiser bellend über die Blößen traben. Einsame Liebespaare treten schlau einander in die Fährten, so daß, wenn Schnee liegt, man weite Strecken nur einen Fuchs abspüren kann, bis plötzlich zwei Fährten sichtbar werden, sich wieder vereinigen und so in einem Dickicht oder Geröhricht, in einer Fuchsröhre oder einem Baue verschwinden. An solchen Orten werden die bräutlichen Feste gefeiert, die allerdings nach einem Spurschnee oft auf das Verderblichste enden, wenn Mensch und Hund als ungeladene Gäste vor dem Hochzeitshause erscheinen. Wie wird da die kurze Flitterzeit einer Nacht durch den krummbeinigen Dachshund so verhängnißvoll gestört! Mit tollem Ingrimm dringt er auf das neuvermählte Paar ein, und keift und beißt so lange, bis die poetisch Gestimmten der rohen Macht weichen, und durch die einzige ihnen offen gelassene Röhre zu entschlüpfen trachten, aber ach, aus dem Regen in die Traufe kommen. Denn kaum langt die junge Frau Reinecke im Freien an, als schon das tödtliche Blei des Jägers sie trifft. Gedrängt vom unverwüstlichen Dachs, folgt der verzweifelte Gatte, um dem gleichen Schicksal zu verfallen.

Erst wenn das Frühjahr kommt, hebt Fuchsens gute Zeit wieder an. Nicht nur, daß es allerhand zu leben gibt, wie verschiedenes junges, leicht zu fangendes Wild, ingleichen brütende Birk- und Auerhühner; auch das Selbstinteresse der Jäger läßt ihn ungeschorner, da der Balg nichts mehr gilt, was freilich, beiläufig gesagt, einen Jäger, der nicht in jedem Fuchs einen Speciesthaler herumlaufen sieht, gerade jetzt am wenigsten hindert, dem gefährlichen Räuber nachzustellen, dem in dieser Zeit der Raub am jungen Wild viel leichter wird, als sonst. Dazu kommt, daß Madame ihr Wochenbett bereitet, und was ein solcher Hausstand bedeutet, haben wir schon früher kennen gelernt.

So sind wir denn wieder beim Ausgang angelangt. Indem wir Reinecke’s Treiben ein Jahr hindurch verfolgten, haben wir uns vor Allem vor der Versuchung gehütet, märchenhafte Uebertreibungen aufzuschreiben, im Gegentheil nur das gewissenhaft erzählt, was wir selbst beobachtet. So viel auch schon Interessantes über den merkwürdigen Egoist geschrieben ist, so könnte man doch noch Bände

  1. Standarte: Schwanz des Fuchses.
  2. Ich selbst habe einmal einem Fuchs ein noch lebendiges Birkhuhn abgejagt, das er schon angeschnitten, d. h. angefressen hatte. D. V.
  3. Hühnersuche: Hühnerjagd.
  4. Abbruch thun: das Wild überlisten und erlegen.
  5. gekläppert: beim Treiben durch Dickichte mit Klappern, die die Treiber haben, das Wild herausjagen.
  6. ausräuchern: durch angemachtes Feuer vor den Röhren den Rauch in das Versteck ziehen lassen, und so den Fuchs veranlassen, Reißaus zu nehmen.
  7. Das Krätzern geschieht, indem man mit einem Instrument, das einem colossalen Korkzieher gleicht, den lebendigen Fuchs anbohrt, um ihn so heraus zu ziehen.
  8. Brocken: hingeworfener Bissen einer Lockspeise. Stellbrocken derjenige Bissen, der auf dem Eisen liegt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_335.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)