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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Mannis’ Warft bemerkbar. Die drei Männer setzten ihre Südwester auf, warfen die Busseruntjen über, fuhren in schwere, weite Schifferstiefeln, beluden sich mit zusammengerollten Tauen und stecken kurzhalmige, handlige Beile zu sich. Dann winkten sie Mutter und Schwester einen flüchtigen Gruß zu und stiegen die Warft hinab.

Obwohl über diesen Zurüstungen kaum eine Viertelstunde vergangen war, hatte doch jetzt die ganze Scenerie eine veränderte Gestalt angenommen. Auf allen Warften sah man belebte Gruppen. Männer, vollständig zu einer Seefahrt gerüstet, eilten dem nahen Strande zu, wo die schweren Boote losgekettet, unter monotonem, unharmonischem Johlen in’s Wasser geschoben und sodann eiligst bemannt wurden. Aber auch auf der Binnensee ward es lebendig. Von Langeneß und Nordmarsch, von Gröde und Apelland, von den Deichrändern Pellworms her stießen Fahrzeuge in See, die offenbar einem und demselben Ziele zuzusteuern beabsichtigten. Die scharfen Augen fast aller Halligbewohner hatten zu gleicher Zeit das gestrandete Fahrzeug entdeckt und alle schickten sich an, die auf demselben etwa noch befindlichen Güter dem gierigen Meere zu entreißen.

Die große Eile, die sich überall kund gab, war übrigens unnöthig. Noch lief die Fluth auf, der Wind, obwohl schwach, wehte landwärts, und gegen Fluth und Wind anzusegeln, war auch dem trefflichsten Fahrzeuge und der geschicktesten Führung desselben nicht möglich.

Nichtsdestoweniger gingen die Halligmänner mit wenigen Ausnahmen ungesäumt an Bord ihrer stark gebauten seehaltigen Sloops. Durch geschicktes Laviren gewann man doch einen kleinen Vorsprung, und trat dann die Zeit der Ebbe ein, wo nicht selten auch der Wind kentert, so konnte mit Benutzung des Ebbestromes, der Segel und Ruder ein Fahrzeug das andere überholen.

Geike Woegens, der Verlobte Karen’s, gesellte sich seinem künftigen Schwiegervater zu und bestieg mit diesem und seinen Söhnen ein und dasselbe Boot.

„Ich vermuthete schon gestern Abend eine Strandung,“ sprach der junge Mann, mit Hülfe Taken’s und Jens’ die Segel richtend. „Es wehte hart gegen Mitternacht und die Böen waren ungewöhnlich heftig. Wahrscheinlich ist’s ein Neapolitaner oder ein Schiffer aus Smyrna, der zum ersten Male nach der Elbe steuert. Solche Schiffer trügt die doppelte Fluthströmung bei heftigem Winde und treibt sie östlich ab nach unsern Watten.“

Der alte Mannis pflichtete kopfnickend bei. Er saß am Steuer und beobachtete mit großer Seelenruhe jede Bewegung des Meeres, wie den Lauf der vielen andern Segelboote, die von Süd und Nord dem Orte zustrebten, wo das gestrandete Schiff fest im Sande saß.

„Die Pellwormer kommen uns zuvor,“ sagte Nicol nach einer Weile. „Die sind des Schiffes wohl etwas früher ansichtig geworden, auch begünstigt sie die Richtung des Windes.“

Auf diese Bemerkung machte Geike eine beistimmende Bewegung. Inzwischen erreichten die Segelnden tieferes Fahrwasser und bei der nächsten Wendung des Bootes zeigte sich der Rumpf des Wrackes bereits in größerer Deutlichkeit.

Nun entspann sich ein eigenthümlicher Wettkampf zwischen den verschiedenen Segelbooten, die einander mit jeder Minute näher kamen. Alle Führer derselben benutzten jeden kleinsten Vortheil, der sich ihnen darbot, und griffen nicht selten zu gewagter Segelstellung, um ein paar Fuß Wasser mehr zu gewinnen und wo möglich einen kleinen Vorsprung zu erlangen. Gesprochen ward während dieses Wettsegelns kein Wort, nur einzelne gurgelnde Kehltöne hörte man, die bald ein Commando vorstellten, bald als Zeichen der Anfeuerung gebraucht wurden.

Das Wrack zeigte sich jetzt schon deutlich. Die See brandete wild um den dunkeln Rumpf und überschüttete diesen bisweilen mit weißem Gischt. In den heransegelnden Booten war das Rauschen und donnernde Anprallen der breiten Wogen, die sich zerstörend am Schiffsrumpfe brachen, deutlich zu hören. Hunderte von schreienden Seevögeln umflatterten den Strandungsort und schwebten bald als breite Wolke in ziemlicher Höhe über demselben, bald fielen sie nieder auf die Wellenkämme, die weißhäuptig über den Sand rollten und an den Planken des Wrackes zum Bord hinaufstrebten.

Noch wenige Minuten vergingen und alle Boote zogen ihre Segel ein. Auf dem seichter werdenden Wasser konnte man sich nur noch der Ruder bedienen.

Nun galt es abermals, die Hände zu rühren und mit nicht ermüdender Ausdauer zu arbeiten, was denn auch redlich geschah.

Die Sloop des alten Mannis war die sechste, welche das Wrack erreichte, dessen Deck sich nunmehr schnell mit Menschen füllte. Das Schiff war verlassen und allem Anscheine nach hatte sich die ganze Mannschaft in den Booten gerettet. Die Schiffspapiere und Sachen von Werth hatten die Schiffbrüchigen mitgenommen. Im untern Raume, der schon zur Hälfte mit Wasser gefüllt war, rollte die nicht bedeutende Ladung hin und wieder, je nachdem eine hohe Woge den Rumpf umspülte, hob und ihn heftig stampfend wieder auf den sandigen Grund fallen ließ.

Nicol und seine Begleiter sahen ein, daß die zu machende Beute ihren Erwartungen nicht entsprach. Es war in der That ein von Smyrna kommendes Schiff, mit Südseefrüchten und etwas Wein beladen. Erstere, in Kisten verpackt, mußte man bereits verloren geben, da sie ganz von Salzwasser überfluthet waren. Die Weinfässer trieben im Schiffsraume auf und ab, und manches war durch die starken Schwankungen schon zertrümmert worden.

Um nicht mit den immer zahlreicher sich einfindenden Insulanern, unter denen manche überaus beutegierig waren, und bereits unter drohend klingenden Worten das Deck erklommen, in nutzlosen Streit zu gerathen, begnügten sich die Halligmänner von Hooge mit zwei kleinen Fäßchen, die Wein zu enthalten schienen. Vielleicht hätten sie auch diese nicht unbehindert in ihr Boot bringen können, wäre nicht gerade über einige andere auf Deck befindliche Gegenstände zwischen Mehreren, welche gleichzeitig ihre Hände darnach ausstreckten, ein heftiger Streit ausgebrochen, der durch das Bemühen derer, die ihn schlichten wollten, schnell in Thätlichkeiten ausartete.

Nicol Mannis und seine Begleiter, wohl wissend, daß auch ihr Wort ungehört verhallen würde, benutzten gleich manchen Andern diesen Moment, verließen das Wrack und stiegen ab. Der Lärm des Kampfes, an dem sich jetzt alle am Bord Zurückgebliebenen betheiligten, hallte weithin über das Meer, und ward von den heimwärts Steuernden noch vernommen, als sie das Watt von Engelssand bereits glücklich passirt hatten, und die Ruder wieder mit den Segeln vertauschen konnten. Auch die Rückfahrt dauerte lange. Wie vorher gegen die Fluth, mußten sie jetzt gegen die Ebbe kämpfen, d. h. sie waren gezwungen, fortwährend zu kreuzen, um sich langsam der Hallig zu nähern. So ward es beinahe Abend, ehe die Schiffer das Ziel erreichten.

Nicol blieb auch während dieser Rückfahrt sehr einsylbig. Sein Aussehen war ernst, ja düster, und als er endlich bei dicht aufbrodelndem Nebel das Boot in das Schlütt steuerte, sagte er, mit scharfem Auge rückwärts nach dem Meere blickend, das wie eine graue Wüste sich unter dem Nebel ausbreitete:

„Hab’ Acht, Geike, wenn Du in See stichst! Lichte die Anker an keinem Freitage! Der Leichenzug, den ich vorhin von der Reutertiefe über Backsand nach dem Jungejap mitten durch den Nebel streichen sah, verkündigt uns Halligleuten nichts Gutes! Mich dünkt, es waren viele Bekannte unter den Trägern.“[1]

Die Brüder wechselten sprechende Blicke mit einander, Geike aber reichte dem Alten die Hand und sagte:

„Werd’ Deiner gedenken, Vater Mannis, und an keinem Freitage lichten. Sollst selbst dabei sein, wenn ich ausclarire.“

Nicol schien beruhigt. Er befestigte die Sloop mit eigener Hand, während jeder seiner Söhne eins der geborgenen Fäßchen an’s Land trug, und Geike den kleinen Anker des Fahrzeuges mit kräftigem Druck in die Erde der Hallig bohrte.




V.
Die Nacht auf der Holmer Fähre.

Anderthalb Wochen später treffen wir den alten Halligmann mit Jens und Karen am Hafen von Tönningen. Es ist Nachmittags in der dritten Stunde. Graue Wolken bedecken den Himmel, und lassen nur selten die Sonne auf kurze Zeit durchbrechen. Die Wogen der Eider kräuseln sich unter der Einwirkung einer frischen Bries. Mehrere Schiffe, deren Raaen sich schnell mit Segeln bedecken, steuern hinaus nach der offenen See. Ihre Flaggen und


  1. Nach dem friesischen Volksglauben wird der Tod naher Angehöriger den Ueberlebenden oft dadurch angezeigt, daß sie bei Abenddämmerung im Nebel einen vollständigen Leichenzug der Gegend zugleiten sehen, wo die Leiche später der Erde übergeben werden soll. Die Friesen nennen sclche Erscheinungen Vorspuk oder Vorgesicht.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_347.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)