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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Abkunft. Zwar ist ohnehin auf allen ganz südlichen Pflanzungen eine weit härtere Disciplin eingeführt, als auf den mehr „gemäßigt“ gelegenen, weil jene Plantagen viel großer sind, daher mehr Neger erfordern und eben deswegen, um alle Meuterei schon im Keime zu ersticken, eine größere Strenge nothwendig machen; allein dennoch findet auch auf solchen Pflanzungen ein großer Unterschied statt und die Sclaven ziehen die Abkömmlinge der angelsächsischen Race als „Herren“ den Creolen bei weitem vor. Das Non plus ultra der Disciplin haben französische Sclavenaufseher eingeführt. Deswegen hat man schon Beispiele erlebt, daß Sclaven sich nach stattgehabter Auction selbst zu entleiben versuchten, um auf diese Art der langsamen Tortur creolischer Plantagenbesitzer und ihrer französischen Aufseher zu entgehen!

Im Allgemeinen genommen aber geht der Nigger, wenn er verkauft ist, seinem Schicksale mit stoischem Gleichmache oder vielmehr mit thierisch stumpfer Ergebenheit entgegen. Er hat nicht gelernt, sich über sich und seine Zukunft Gedanken zu machen. Die Tage, so lange die Auction dauert, sind ihm die liebsten, denn während dieser Zeit hat er nichts zu arbeiten und bekommt Essen, sogar zu trinken im Vollauf. „Wenn diese Zeit nur ewig währte!“

Th. Grsgr.




Eine Luftschifffahrt.
Ausgeführt und beschrieben von August Silberstein.

Ich bin auf stürmischem Meere gefahren und auf leise hingleitendem Nachen im Strome; ich habe das Dampfroß benutzt in seinem rasendsten Ertrafluge und den schleichenden Bauernwagen im melancholisch murrenden Sande; ich habe auf elendem Klepper humpelnd mich fortgebracht und bin auf weitausholendem Rosse, dem Sturme gleich, über Haiden gejagt.

Nur Eins war mir neu und wie ein süßes Geheimniß räthselhaft, wie ein verschlossener Gral zu entsiegeln und den zauberischen Kelchduft in mich zu saugen – das war eine Fahrt in den Lüften, eine Reise hoch über allen Häuptern der Menschheit, allen Giebeln und Thurmzinnen, allen Bergspitzen und horizontumschließenden Nebeln dieser Erde!

Eine Verbindung mit dem eben in Wien anwesenden Luftschiffer ‘‘Berg‘‘ ermöglichte mir die Erfüllung dieser pulserregenden Sehnsucht, und am 19. Mai trug mich endlich und wirklich sein Ballon mit ihm in die Lüfte, in den großen Gotteshimmel hinein, dorthin, wo noch äußerst wenige Menschen waren!

Frage mich Keiner erst, wie so ein Ballon aussieht, wie er eingerichtet ist und ob er, wohl nicht für „Balken im Wasser“, aber in der Luft sorgt. Das sind Dinge, die man in einem technischen oder andern Lexikon nachsehen möge. Auch erlasse mir Jeder die Beschreibung der Vorbereitungen. – Da stand der fast ovalrunde, in seiner Form eigenthümlich elegante „Sack voll Luft“ in mächtigem Umfange, heute nicht weniger als 18,000 Kubikfuß Gas fassend und von strotzender Fülle zeugend. Bei dem leisesten Luftstoße schüttelte und rüttelte er die Arbeiter, die ihn bändigend zur Erde halten.

Es war in der Arena an der Schönbrunner Straße. Die Menge guckte ihn neugierig an und da ich mich bis zur Abfahrt von ihm entfernt hielt, thaten mir Freunde und Bekannte im Hintergründe den Gefallen, fortwährend zu fragen: „Haben Sie keine Angst?“ – „Haben Sie für Ihr Testament gesorgt?“ – „Wenn Sie fallen?“ und derlei liebliche Fragen mehr, die äußerst geeignet sind, den Muth zu erhöhen, auf mich aber glücklicherweise den Eindruck machten, wie der Schaum einer Welle auf den Matrosen.

Die losgelassenen kleinen Probeballons zeigten eine nordöstliche Richtung, nach dem Gewirre der Stadt zu, und ging der große Ballon ihnen nach, so war unsere Fahrt voraussichtlich eine – wie ich sie nur träumerischst ersehnt – über dem Babel, in dessen wirrem Gewinde mein Fuß bereits eine Reihe von Jahren herumgeirrt.

Freund Berg tummelte sich wacker um die Peripherie des Ballons, regulirte die Gasröhre, legte und hob die Ballastsäcke, prüfte und knüpfte die Taue, schalt und ermunterte die Arbeiter, ließ das Ungethüm endlich um mehr als eine Klafter heben, um das Fahrzeug daran zu binden – ich sah einen runden Korb von circa drei Fuß Durchmesser, bis zur Hüfte reichend und aus Tauen so durchsichtig und so luftig gefügt, wie etwa die Stahlkugeln, in denen die Damen ihre Strickwolle tragen. Das war das Nest der neuesten Frühlingsvögel, und es sah in der That luftiger aus, als irgend ein Vogelnest.

„Jetzt!“ rief Berg mir zu. „Kommen Sie!“

Es war die bestimmte Stunde – halb sieben Uhr Abends – ich sprang rasch ein – wir zogen die Taue an uns – ein Klingeln der Signalglocke – ein Schuß - und „Hurrah!“ schrie die Menge, denn, wie ein Pfeil in die Höhe geschossen, waren wir schon über ihr in den Lüften!

Ob ich zitterte? Ob ich Angst hatte? fragt gewiß Einer oder der Andere. Heute ist es vorüber und ich könnte, wie der junge Soldat nach der Schlacht, gestehen: „anfangs ist’s mir schlimm gegangen.“ Aber nein, meine Brust schwellte nur Sehnsucht, den großen Anblick zu genießen, und die Menge, der ich zum Abschied zugrüßte, ja Freunde, denen ich mich noch in der ersten Sehweite zuneigte und mit dem weißen Tuche ein besonderes Valet zuwinkte, werden mir bezeugen, daß nur die Freude mich bewegte.

Klingeln, Schuß, Hurrahgeschrei und Hochschweben in der Luft waren gleichzeitig das Werk eines Augenblickes. Wir stiegen wie die Flamme eines ruhig brennenden Lichtes gerade in die Höhe und das entzückte die Menge so sehr, daß sie in gewaltiges Schreien ausbrach. Im ersten Augenblicke suchend, wohin ich über all’ diese Weite mein Auge wenden sollte, fiel der Blick unwillkürlich auf die schreiende Menge; sie umstand uns nach einer Seite in weitem Halbkreise, bis über die breite Straße und tief hinein in die Felder. Als ich aus dem schwarzen Kreise diese emporgereckten weißgelben Gesichter, eins an dem andern, und die Totalität der tausend offenen Mäuler, aus denen das Schreien kam, das mir in der Höhe vielleicht zehn Mal stärker und sonderlicher klang, als unten, durch meine scharfen, eigens für den Zweck vorgesehenen Augengläser sah, mußte ich unwillkürlich in Lachen ausbrechen.

Und nun nahm ich einen vollen Athemzug der reinen Luft und sah weit, weit hinaus!

Mein schönstes Hoffen war erfüllt, der Zufall, der mir hätte hundert Mal ungünstig sein können, begünstigte uns diesmal, denn wir trieben nicht in's Feld, sondern nach Wien zu.

Die Luft war ruhig, majestätisch schwammen mir dahin, wie ein Schwan, der nur unsichtbar leise rudernd durch die klaren Fluthen langsam vorwärts kommt. Wir versuchten vorerst die Schnelligkeit; die ausgeworfenen Papierstreifen entfernten sich verhältnißmäßig nur langsam von uns; wir begannen, den Ballastsand auszuwerfen, und höher, immer höher stiegen wir dem Himmel zu, der sich immer weiter über uns breitete.

Was mich zuerst oben überraschte, war das Tosen, Sausen, Surren, Schnurren, Klappern, Brummen und Rollen unter uns. Sie haben sicherlich schon aus geringer Entfernung zwei aneinander vorbeifahrende Eisenbahnzüge gehört; denken Sie sich dieses schauerliche Lärmgewirre fortgesetzt, immer fort und fort von unten herauftönend, und Sie haben die Sprache der Menschheit, das Thun einer großen Menge, die Harmonie einer Groß- und Culturstadt genau in den Ohren.

Es gewinnt an Verständniß, wie da unten Einer den Andern nicht versteht, nicht erhören mag und nur sich selbst gehorchen will.

Es ist ferner ein schlechter Witz, wenn ich sage, daß die Allmacht Gottes da unendlich gewinnen muß, im Bedenken, daß er aus all’ diesem schauerlichen Lärm nicht nur Wiens, sondern aller Städte und Dörfer – auch Leipzig – den Einzelnen heraushören soll!

Freund Berg wollte haushälterischer mit den Sandsäcken umgehen, als ich; aber ich benutzte die volle Gelegenheit, dieser Gleiches gewohnten Menge einmal Sand in die Augen zu streuen und dadurch emporzukommen – und herab mußte eine Portion nach der andern – wir stiegen und stiegen!

Es war ein über alle Beschreibung entzückender, erhabener Anblick! – Es war ein zweifelhafter Tag gewesen und die Abendsonne zerstreute die Nebel, die heute nicht so dicht stiegen, weil eben der Tag nicht heiß war. Dies ließ uns Alles klarer erscheinen. Die ganze große Stadt mit ihrer meilenweiten Umgebung lag vor und unter mir, wie ein aufgeschlagenes Buch, dessen Zeilen ich mit einem Blicke übersah. Eine auslaufende Straße war mir

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