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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die Warnung war keine überflüssige. Eine Secunde später und der Inhalt der Plinsenschüssel war ebenfalls unterwegs nach dem Walde. Ich hielt sie hoch über meinen Kopf hinaus und begann mich nach meinem Landsmanns umzuschauen. Aber so wohlfeilen Kaufes kam ich doch nicht davon. Die heißhungrigen Hunde mochten mir den Neuling angewittert haben, die momentane Abwesenheit ihres Gebieters flößte ihnen auch noch mehr Muth ein und sie begannen daher, andere Saiten aufzuziehen. Ich kann nicht leugnen, daß mir etwas ungemüthlich zu Muthe ward, als mir die Bestien ihre langen, spitzen Zähne wiesen und mir mit heiserem Knurren auf den Leib rückten. Als ehemaliger Militair wußte ich glücklicherweise, daß man immer das Ganze im Auge haben muß und daß man, um dieses zu retten, unter gewissen Umständen weise handelt, einen Theil zu opfern. Ich warf ihnen also die oberste Plinse freiwillig an die Köpfe, und – heiß, wie sie war – die Canaillen hätten sie in einem Momente verschlungen, wenn es ihnen nicht zweckmäßiger erschienen wäre, sich erst eine Weile um den ungetheilten Besitz derselben herumzubeißen. Meine Taktik wurde selbst von meinem unterdessen zurückgekehrten Landsmanne gebilligt, so sehr er auch diesen abermaligen Verlust beklagte. Er wies mit zorniger Gebehrde nach dem Aste hin, auf dem die Katze ihr Mittagsmahl hielt, warf den Hunden, die jetzt wieder herangewedelt kamen, ein brennendes Scheit Holz zwischen die Beine und setzte sich niedergeschlagen neben mich auf den Boden.

„Sie haben gut lachen,“ meinte er, als er sah, wie mir die Thränen über die Backen liefen. „Aber wie soll ich jetzt Plinsen backen! Die Speckschwarte war keine vier Wochen alt und hätte noch ein ganzes Vierteljahr gelangt, – jetzt kann ich alle Tage Mehl und Wasser fressen!“

Tempora mutantur! –

Mir verging das Lachen überdies auch hinterher, denn da ich einige Zeit bei ihm blieb, um mich zuvörderst etwas in der Gegend zu orientiren, so traf mich der Schlag selbst mit und gar manches Mal noch gedachte ich mit Bedauern der jungen Speckschwarte.

Den folgenden Tag regnete es in Strömen und wir waren gezwungen, uns im Shanty aufzuhalten. Glücklicherweise besaß mein Landsmann, als ehemaliges Mitglied des Jockei-Clubs, aus besseren Zeiten her noch eine französische Spielkarte, mit der wir uns die Zeit vertreiben konnten. Er gewann in wenig Stunden 10,000 Thaler von mir, da es aber seine besonderen Schwierigkeiten hatte, auf seiner Karte das Pique vom Coeur etc. zu unterscheiden, so behielt ich mir die Regelung der Angelegenheit noch bis auf Weiteres vor.

Nach dem Spiele hatte er einen andern Zeitvertreib in Vorschlag. Er verstand nicht viel Englisch und ich sollte deshalb in dieser Sprache einen Brief für ihn aufsetzen, zu dem er mir nur die allgemeine Idee angab, die Ausführung aber mir ganz anheimstellte. Der Brief wäre höchst wichtig, wie er meinte, und ich mußte ihm darin Recht geben, denn es handelte sich um nichts Geringeres, als um den wichtigsten Schritt, den wir Menschenkinder hienieden zu thun vermögen – um eine Heirath nämlich. Ich sollte für ihn anhalten. Das Mädchen war die Tochter eines wohlhabenden Farmers in Indiana, bei dem er eine Zeitlang gearbeitet hatte. Er war zwar schon damals seiner Sache völlig sicher, er hatte aber doch erst eine Verbesserung der eigenen Umstände abwarten wollen, ehe er mit der Sprache herausrückte. Meine Aufgabe bestand nun darin, diese „Verbesserung“ in möglichst schlagender Weise einleuchtend zu machen, und da er mir in Bezug hierauf den unbestrittenen Besitz von 160 Ackern Waldlandes als bestimmtes Factum angab, so hatte ich vor Allem diesen Umstand gehörig hervorzuheben, das Areal dabei im Allgemeinen zu schildern und nur in Bezug auf dessen specielle Beschaffenheit die nöthige Rückhaltung zu beobachten. Eine ähnliche Discretion rieth er mir auch in Hinsicht auf die weiteren Angaben seines beweglichen Vermögens, namentlich der Wäsche an. Diese letztere bestand nämlich noch aus einem Hemde, welches mein Landsmann schon seit zwei Jahren auf dem Leibe trug. Indessen dasselbe stammte noch von der Mohrenstraße in Berlin her und hieraus ließ sich schon allenfalls etwas machen. In Bezug auf die Garderobe gewährte mir nur ein Stück einen festen Anhaltspunkt; es war dies ein noch immer eleganter, wenn auch vom langen Liegen etwas zerknitterter – Ballfrack. – Der Brief verursachte mir einiges Kopfzerbrechen, indeß erklärte sich mein Landsmann beim Vorlesen mit dessen Fassung völlig einverstanden. Wir loosten noch darum, wer von uns Beiden den Brief die 25 Meilen weit nach Lexington, der nächsten Ortschaft, tragen und dabei gleichzeitig eine frische Speckschwarte einhandeln sollte, und er gewann richtig wieder.

Es regnete die ganze Nacht durch und am andern Tage brauchten wir nicht für Beschäftigung zu sorgen, wir hatten mehr wie genug. Die Hunde weckten uns noch vor Tagesanbruch durch ein ununterbrochenes Klagegeheul und wir gewahrten, daß sie bereits bis an den Bauch im Wasser standen. Es regnete nämlich nicht mehr blos durch das Dach hindurch, sondern das ablaufende Wasser hatte auch den Keller gefüllt, stand jetzt bereits 3/4 Elle hoch in unserem Shanty und verrieth noch immer steigende Tendenzen. Wir mußten bis zum Abend ununterbrochen mittelst Wassereimer und Plinsenschüssel mit dem feindseligen Elemente kämpfen, das fast eben so schnell wieder zulief, als wir es auszuschöpfen vermochten. Es war gut, daß der Regen gegen Abend nachließ, sonst ist es mehr als zweifelhaft, ob ich meinen Lesern jemals die ganze Geschichte hätte erzählen können.

Am andern Morgen kam die liebe Sonne endlich wieder zum Vorschein und mein Landsmann schlug eine Promenade nach dem See vor, wo wir Aussicht hätten, ein paar Schildkröten zu finden, die uns doch einigen Ersatz für die verlorene Schwarte gewähren könnten. Ich war wirklich so glücklich, nach einigem Suchen zwei große Thiere, jedes über eine Elle lang, anzutreffen und wir gingen sogleich daran, sie zu schlachten. Die Fabrikation der Suppe behielt ich mir jedoch allein vor, da mein Landsmann in der neuen Welt ein Anhänger der Verdünnungstheorie geworden war und ich befürchtete, er möchte aus purer Sparsamkeit die Suppe nicht schmackhaft und kräftig genug herstellen. Um namentlich in letzterer Beziehung meiner Sache völlig gewiß zu sein, schüttete ich in seiner Abwesenheit den ganzen Inhalt eines alten Pfeffersackes mit einem Male in den Topf und setzte diesen sodann seelenvergnügt an’s Feuer. Mein Landsmann kam bald nachher mit einigen großen Salatstauden zum Vorschein, deren Wachsthum der Regen wunderbar beschleunigt hatte, und während er nach dem Walde ging, um einige wilde Zwiebeln zu suchen, machte ich einen entschlossenen Angriff auf eine große Oelflasche, die ich herzhaft über den Salat ausgoß.

Wir warteten noch auf das Garwerden unserer beiden Amphibien, von deren Genuß wir uns nicht wenig versprachen, als plötzlich die beiden Wolfshunde anschlugen und ihren Posten am Feuerheerd verließen. Kurz darauf sahen wir drei Männer über die Fenz steigen und auf unser Shanty zukommen. Dieselben waren auf dem Wege nach Lessueur zur Land-Office und hatten während der letzten Sündfluth im Walde bivouakiren müssen, da sie weit und breit keine Spur einer menschlichen Wohnung vorfanden. Man kann sich denken, wie diese armen Teufel aussahen; mein Landsmann mit seinem zweijährigen Hemde machte förmlich Staat neben ihnen. Die Männer waren Irländer und erklärten uns in ihrem Kauderwelsch, daß sie etwas zu essen haben müßten, gleichviel, was sie auch dafür zu bezahlen hätten.

In Betracht unseres diesmal ausnehmend luxuriösen Diners schien es uns vollkommen gerechtfertigt, den doppelten Satz des in Lessueur-County in solchen Fällen üblichen Preises für eine Mahlzeit anzusetzen, da wir ohnehin den erlittenen Verlust der Speckschwarte etc. wieder zu ersetzen suchen mußten, und wir erklärten ihnen deshalb, daß sie jeder für einen halben Dollar einen Teller Schildkrötensuppe nebst etwas Salat haben könnten, womit sie sich nicht nur einverstanden erklärten, sondern auch in die verlangte Vorausbezahlung willigten, die mein Landsmann noch überdies vorschlug. Er verschloß das Geld sogleich in die nämliche Kiste, worin auch sein Frack lag, und setzte die Plinsenschüssel darauf, in welcher sich noch Ueberbleibsel unseres letzten Gerichtes befanden und welche die beiden Hunde fortan nie mehr aus den Augen ließen.

Die Suppe war endlich fertig geworden und da ich mich hartnäckig sträubte, auf den Vorschlag meines Landsmannes einzugehen, der durchaus ihre Quantität auf Kosten ihrer Qualität durch Hinzuthat eines halben Eimers Regenwasser zu erhöhen wünschte, so wurde sie ganz und ungetheilt aufgetragen. – Die Irländer fielen wie Wölfe darüber her, aber sie hatten kaum den ersten Löffel im Munde, als sie denselben fast à tempo wieder ausspuckten und mit solcher Energie zu husten begannen, daß ich glaubte, sie mußten sich die Luftröhren zersprengen. Mein Landsmann war ahnungsschwer sogleich aufgesprungen und nach dem Pfeffersacke gelaufen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_399.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)