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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Ich redete mit dem Arzte Folgendes ab:

Er sollte die Section der Leiche bis zum späten Nachmittage aufschieben. Ich wollte unterdeß nähere Erkundigung nach dem Gerüchte einziehen; das befahl mir die Criminalordnung, freilich auf dem für Mahler schonendsten Wege; ich fand den letzteren zunächst in einem Anfragen bei dem Schwager des Mahler selbst.

Lieferte diese Nachforschung mir einen Anhalt, so wurde am Abend ohne Weiteres die gerichtliche Section vorgenommen. Blieb sie ohne Resultat, so nahm der Kreisphysikus die Leichenöffnung ohne mich, aber unter Zuziehung des Kreischirurgus vor. Gegenüber dem Mahler verlangte er diese zur mehreren Beruhigung ihrer Beider. Wurde Gift in dem Körper ermittelt, so waren schon sofort bei dessen Auffinden die beiden vom Gesetze geforderten Medicinalpersonen zugegen gewesen. Um aber auch dem Erfordernisse der Anwesenheit der beiden Gerichtspersonen zu genügen, sollte in dem Momente, in welchem Gift gefunden wurde, mit jeder weiteren Operation eingehalten, Alles in dem Zustande des Augenblickes des Auffindens gelassen und nach mir geschickt werden. Ich wollte mit einem Actuarius des Criminalgerichts mich bereit halten, um sofort die gesetzliche Direction des Verfahrens von da an übernehmen zu können.

Dabei kamen wir noch über einen Umstand überein.

Nach der Criminalordnung gehörte zu den Erfordernissen der „Legalsection“ auch die Eröffnung aller drei „Haupthöhlen“ des menschlichen Körpers, der „Kopf-, Brust- und Bauchhöhle“. Dabei war zwar nicht vorgeschrieben, in welcher Reihenfolge die Oeffnung geschehen solle; ein alter Gerichtsgebrauch hielt aber jene genannte fest. Ich hatte mich schon früher an diese Ordnung nicht immer gebunden und ersuchte auch jetzt den Arzt, mit der Oeffnung der Bauchhöhle und zwar hier mit Untersuchung des Magens zu beginnen, da in diesem allem Vermuthen nach die ersten Spuren eines Giftes sich zeigen müßten.

So hatte ich in aller Weise dafür gesorgt, daß, wenn es nöthig sei, das Verfahren auf der Stelle möglichst vollständig in das gesetzliche umgewandelt werden könne.

Der Arzt ging.

Ich ließ den Schwager des Fleischers Mahler zu mir rufen. Er war gleichfalls Fleischermeister, ein stattlicher, besonnener, dem Anscheine nach etwas zurückhaltender Mann.

„Ihre Schwester, die Frau Mahler, ist gestorben?“

„Ja, Herr Director.“

„Unter verdächtigen Umständen?“

„Ich weiß das nicht, Herr Director. Weder ich, noch ein anderer Verwandter ist bei ihr gewesen.“

„Auch kein Arzt?“

„Nein.“

„Wären diese Umstände nicht schon verdächtig?“

„Ich kann das nicht sagen. Sie war nur kurze Zeit krank, und was den Arzt betrifft, so gab sie nicht gern unnützes Geld aus.“

„Mahler hat die Section der Leiche beantragt?“

„Er hat es mir selbst gesagt.“

„Was hat ihn dazu bewogen?“

„Er hat doch wohl Gewißheit über die Todesursache haben wollen.“

„Und warum dies? Zu solchen Sectionen schreitet die Familie ungern.“

Der Mann besann sich einen Augenblick.

„Herr Director,“ sagte er dann, „es war davon gesprochen, daß meine Schwester an Gift gestorben sein möge. Ich hörte das und theilte es meinem Schwager mit. Darauf entschloß er sich zu der Leichenöffnung.“

„Kam der Entschluß aus ihm selbst?“

„Ich hatte zuerst davon gesprochen.“

„Und Ihr Schwager war darauf sofort bereit?“

Der Mann besann sich erst wieder, was er sagen solle.

„Sogleich wohl nicht. Ich fand das aber auch natürlich. Es war seine Frau und Sie selbst sagten eben, man schreite nicht gern zu so etwas.“

„Sie redeten ihm also zu?“

„Ja.“

„Mußten Sie ihm viel zureden?“

„Das kann ich eben nicht sagen.“

„Wurde ein Grund jenes Gerüchtes der Vergiftung angegeben?“

„Die Frau sei so plötzlich gestorben und habe so sehr viel Erbrechen gehabt.“

„Kein anderer?“

„Kein anderer.“

„Von wem ist es Ihnen mitgetheilt?“

„Auf der Schranne heute früh, von meinen Freunden.“

„Wurde keine Person dabei als verdächtig genannt?“

„Kein Mensch.“

„Haben Sie Niemanden in Verdacht?“

„Keinen Menschen.“

„Lebte Ihre Schwester mit ihrem Manne glücklich?“

„Ich habe nie von einem Streite gehört.“

„Hatten sie Kinder?“

„Die Ehe war kinderlos.“

„Die Frau war oft kränklich?“

„Und älter, als er.“

Die paar Worte entfielen dem Manne rasch, wie unwillkürlich. Er wurde unruhig, als sie ihm entfallen waren.

„Meister,“ sagte ich zu ihm, „Sie haben noch etwas auf dem Herzen, was Sie sich scheuen, mir mitzutheilen.“

Er sah ein paar Secunden vor sich hin.

„Nein,“ sagte er dann entschlossen. „Ich weiß nichts Gewisses, und durch die Oeffnung muß sich ja finden, ob sie Gift hat.“

Ich sah ein, daß ferneres Fragen vergeblich sei, und entließ ihn deshalb.

Ich durfte auch jetzt nicht gerichtlich einschreiten.

Die Verstorbene war älter, als ihr Mann, die Ehe kinderlos. Der Schwager des Mannes hatte vielleicht nicht Alles gesagt, was er wußte; weitere Verdachtsgründe hatte ich nicht. Aber sie reichten nicht zum zehnten Theile aus, um auf sie und ein grundloses Gerücht hin gegen eine geachtete Familie das schwerste Verbrechen anzunehmen.

Es war an demselben Tage gegen sechs Uhr Abends, als der Kreisphysikus selbst wieder zu mir kam. Er war in großer Eile.

„Die Mitwirkung des Criminalgerichts wird nöthig.“

Ich begleitete ihn auf der Stelle unter Zuziehung eines Actuars und mehrerer Criminalboten. Wir gingen zu dem Hause des Fleischermeisters Mahler.

Unterwegs theilte der Arzt mir mit:

Er hatte mit dem Kreischirurgus die Besichtigung, dann die Oeffnung der Leiche begonnen. Der Verabredung gemäß hatte er zuerst den Magen untersucht. Aber schon gleich anfangs bei dessen äußerer Besichtigung hatte er an demselben solche röthliche, entzündete Stellen gefunden, daß ihm, nach Wissenschaft und Erfahrung, kein Zweifel einer metallischen Vergiftung mehr blieb. Er hatte darauf sofort eingehalten und sich entfernt, um mich herbeizurufen. Der Kreischirurgus war bei der Leiche zurückgeblieben, um darüber zu wachen, daß bis zu unserer Ankunft nichts verändert werde.

„Und Mahler?“ fragte ich.

Mahler war bei der Section ununterbrochen zugegen gewesen, und hatte den Aerzten die nothwendigen Handreichungen geleistet. Sein Benehmen war dabei ein unbefangenes gewesen.

„Aber,“ setzte der Arzt hinzu, „in dem Hintergrunde dieses Benehmens schien mir eine große Angst zu lauern. Der Blick seines Auges war nur unbefangen, wenn er sich beobachtet wußte. Glaubte er sich unbeachtet, so sprach sich jene Angst desto unverhohlener darin aus. Bei der Entdeckung des verdächtigen Zustandes des Magens verrieth ich nicht die geringste Ueberraschung und Bewegung und ich entfernte mich unter dem Vorwande, daß ich zu Hause etwas vergessen habe; gleichwohl sah er mich mit sichtlicher Unruhe gehen.“

„Sie halten den Mann also für verdächtig?“

„Nach diesem Allen, ja; aber Sie werden es ja schon selbst sehen.“

Eine Vergiftung war jetzt jedenfalls wenigstens angezeigt; eine gerichtliche Untersuchung und Feststellung des Thatbestandes war also nicht nur noch blos zulässig, sondern sogar unbedingt erforderlich, mochte der Thäter sein, wer er wollte.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_404.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)