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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Woher ist Ihnen dies bekannt?“ fragte ich ihn.

„Ich habe oft davon sprechen hören.“

„Von wem?“

„Wir Fleischer sprechen oft davon. Sie wissen, man mengt dem Vieh Arsenik unter das Futter; es wird fetter davon, bekommt ein besseres Aussehen.“

Ich schwieg.

Er machte eine Pause. Dann fuhr er fort:

„Sie fragten mich vorhin nach der Nichte meiner Frau.“

Ich schwieg wieder, konnte aber noch immer nicht errathen, wohin er wollte.

„Das hat mich auf sonderbare Gedanken gebracht. Das Mädchen wohnt dicht an der hannoverschen Grenze und ist oft über diese gegangen; sie hat auch drüben eine Bekanntschaft.“

Ich ließ ihn immer sprechen, ohne ihm zu antworten. Was er mir auch zu sagen hatte, er sollte es einzig und allein aus sich selbst heraussagen; um so objectiver konnte ich meinerseits seine Angaben würdigen.

Er sprach immer pausenweise und schien eine Bemerkung, eine Frage von mir zu erwarten; aber um so mehr beobachtete ich jenes Schweigen.

Er sprach weiter:

„Sie hat eine Bekanntschaft mit einem schlechten Menschen, der nicht nach Preußen zurückdarf. Der Mensch ist ein Verbrecher. Er hat auch das Mädchen auf schlechte Wege gebracht; schon hier, als sie bei mir im Hause war.“

Er machte eine längere Pause.

Ich sah ihn fragend an. Er schien mit sich zu berathen, ob er weiter sprechen solle.

„Weiter!“ sagte ich kurz.

Und nun fuhr er rascher und ohne sich wieder zu unterbrechen, fort:

„Das Mädchen zeigte leider keinen guten Charakter; sie war hart, roh gegen meine Frau, die ihre Tante und Wohlthäterin war; darum mußte sie auch aus dem Hause. Sie schied damals in Haß und Zorn und mit der Drohung von uns, wir sollten noch an sie denken. Meine Frau behielt sie dennoch lieb. Sie hatte ihr in ihrem Testamente fünfhundert Thaler vermacht; sie hat dies nicht zurückgenommen.“

Noch einmal machte er eine Pause. Dann sagte er langsam und die Worte betonend:

„Das Mädchen wußte von dem Vermächtniß; meine Frau hatte es ihr selbst gesagt.“

Er schwieg und sah jetzt seinerseits mich fragend an. Ich mußte sprechen.

„Haben Sie mir noch mehr mitzutheilen?“

„Ich wüßte für den Augenblick nichts.“

„Sie halten nach dem, was Sie mir sagten, Ihre Nichte der Vergiftung verdächtig?“

„Ich habe von keinem Verdachte gesprochen, Herr Director; aber ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen mitzutheilen, was ich wußte.“

„Warum haben Sie das Mädchen in Ihr Haus zurückgebracht?“

„Meine Frau hatte mich darum gebeten, und dann erfuhr ich auch, als ich in der Gegend war, wo sie diente, daß sie mit dem schlechten Menschen dort in einem fast täglichen Verkehr stehe.“

„Warum duldete ihre Herrschaft diesen Verkehr?“

„Sie mußte wohl, aus Furcht vor dem Menschen, der in der Gegend berüchtigt genug ist. An der Grenze ist solch’ Gesindel zu Allem fähig.“

„War das Mädchen bereit, Ihnen zu folgen?“

„Sogleich. Es ist mir hinterher aufgefallen.“

„Wie heißt jener Mensch?“

„Friedrich Beck. Er ist von hier.“

„Weiter haben Sie mir für jetzt nichts zu sagen?“

„Nein.“

Ich ließ ihn zurückführen.

Seine Angaben hatten doch Eindruck auf mich gemacht. Waren die Thatsachen, die er mittheilte, richtig, so berechtigten sie zu einem Argwohne gegen das Mädchen mindestens eben so sehr, als das Wenige, was gegen ihn vorlag, zu einem Verdachte gegen ihn.

Die Art und Weise, wie alle jene Verdachtsmomente vorgebracht waren, war zwar nicht geeignet. Vertrauen zu erwecken; aber das konnte überhaupt die Art und Weise dieses kalten, besonnenen, vorsichtigen Mannes sein.

Dazu kam: eine falsche Denunciation, nur eine falsche Insinuation gegen das Mädchen mußte sich leicht herausstellen und bildete dann sofort ein nicht unerhebliches Anzeichen gegen ihn. Als verständiger, sogar kluger und berechnender Mann, wie ich ihn nach Allem schon jetzt auffaßte, mußte er Beides sich selbst sagen.

Und dennoch, jenes frische, fröhliche Kind eine Giftmörderin? Es wollte und wollte mir nicht in den Sinn.

War ich aber in meinem vielbewegten Inquirentenleben nicht schon mehrfach in noch schlimmerer Weise ge- und enttäuscht worden? Ferner, mußte nicht der Mensch, der wider besseres Wissen das völlig unschuldige Kind als Mörderin anklagen konnte, ein so vollendeter Bösewicht sein, wie sie mir, was ich freilich auch schon davon gehört haben mochte, in jenem vielbewegten Leben noch nicht vorgekommen waren? Ich hatte wohl falsche Denunciationen erlebt, aber bis dahin nur entweder von sehr stupiden Verbrechern, oder von solchen, die durch die Kraft der gegen sie vorhandenen Verdachtsgründe und durch ihre eigenen Lügen und Widersprüche momentan völlig den Kopf verloren hatten. Ein Fall so vollendeter Bosheit, wie er hier vorliegen müßte, war mir bis jetzt fremd geblieben.

Ich mußte über das Mädchen nähere Auskunft haben, ehe ich zu ihrer Vernehmung schritt. Ich ließ ihren leiblichen Onkel, den Fleischer Kopp, wieder hereinkommen. Er war ein ordentlicher, einsichtiger Mann, von dem ich die Wahrheit erwarten konnte.

„Ihr Schwager Mahler hat bei seiner Rückkehr vorgestern Abend eine Nichte mitgebracht?“

„Ich habe es gehört.“

„Kennen Sie das Mädchen näher?“

Der Mann hatte die ersten Worte kurz, kalt gesprochen. Jetzt antwortete er mit einer gewissen scheuen Zurückhaltung.

„Ich habe das Mädchen wenig gesehen.“

„Sie ist doch auch Ihre Nichte?“

„Die Tochter meines verstorbenen Bruders. Aber mein Bruder führte kein gutes Leben; ich hatte deshalb keinen Umgang mit ihm; und nach seinem Tode nahm meine Schwester, die Mahler, das Mädchen zu sich.“

„Und wie betrug sie sich gegen Ihre Schwester?“

Es kostete dem Manne Ueberwindung, zu antworten.

„Es kommt mir sehr viel, Alles auf die vollständige Wahrheit an,“ bemerkte ich ihm.

Er überwand seine Bedenken.

„Wenn ich es Ihnen denn sagen muß – ich fürchte, auch das Mädchen ist aus der Art geschlagen, wie ihr Vater. Meine Schwester hat sich oft mit Thränen in den Augen über sie beklagt. Sie war ungehorsam, widerspenstig, wollte immer nur ihrem eigenen Willen folgen; dabei war sie heftig, jähzornig.“

„Sie mußte das Haus Ihrer Schwester verlassen?“

„Vor ungefähr einem halben Jahre. Es war nöthig, wenn endlich Friede im Hause sein sollte.“

„Das Mädchen hatte Bekanntschaft mit einem jungen Menschen gemacht?“

„Muß ich auch das sagen?“

„Es kommt mir auch gerade viel darauf an.“

Man sah es dem Manne an, wie er nur mit großem Widerstreben zu seinen weiteren Mittheilungen sich entschließen konnte.

„Ja, sie hatte eine Bekanntschaft. Hier lebte ein Bursch, der zu nichts Lust hatte, als zu unnützen Streichen; sein Vater war Executor beim Landrathsamte, darum ging dem Burschen auch Manches hin. Dieser fing mit meiner Nichte eine Liebschaft an, als er kaum neunzehn und sie noch nicht einmal vierzehn Jahre alt war. Das Mädchen war ganz vernarrt in den Jungen und nichts konnte sie von ihm abhalten; so wie sie ohne Aufsicht war, lief sie zu ihm, da er nicht zu ihr kommen durfte. Das war ein Hauptgrund mit ihres Ungehorsams gegen meine Schwester. Um Beide zu trennen, mußte sie fort. Der Zweck wurde aber nicht erreicht. Kaum war sie weg, so folgte er ihr. Hier machte er nichts, als dumme Streiche, und lebte aus seines Vaters Tasche. An der Grenze ist er ein berüchtigter Schleichhändler geworden.“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_416.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)