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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Versuchen wir irgendwo aus unserer Höhe herabzuklettern. Nach Ost und West scheint es am allerwenigsten möglich; nach allen diesen Seiten hat der Huygens das wildeste Ansehen. Er zeigt rabenschwarzen Abgrund, aber fast keinen Felsvorsprung, keine sanftere Biegung, auf die unser Fuß sich stützen könnte. Wenigstens sind jene zu sehr von einander entfernt. Wir versuchen deshalb ein Herabsteigen nach dem Norden. Doch die Frucht dieser unserer mühsamen Wanderung ist, daß wir das weitere Vordringen auch nach dieser Seite hin gleichfalls aufgeben müssen. Denn bald bemerken wir, daß, je weiter wir herabzusteigen versuchen, desto mehr die Felsmasse des Huygens sich verengt, bis wir zuletzt auf einem bedeutend in die nördliche Ebene hinausragenden Felsvorsprung angelangt sind. Es ist dies das sogenannte „Cap Huygens“, das zwar viel niedriger, als der Rücken des Felscomplexes ist, aber dafür so schnell und schroff endigt, daß uns der Muth vergeht, noch ferner Versuche zum Herabsteigen zu unternehmen. Gezwungen treten wir also den Rückweg an. Wieder angelangt bei den Partien, die die höchsten Theile des Huygens sind, entdecken wir da oben nebenbei eine ringförmige Einsenkung. Jene kraterförmige auf Vulcanismus hindeutende Bildung ist überhaupt der Typus aller Mondflächen, besonders des Südens, der ganz davon übersäet ist. Selbst die Ebenen, namentlich ihre Grenzen, selbst die wenigen Längengebirge haben diesen Charakter, so daß der ganze Mond von unzählig vielen Kratern, meist dicht aneinander gereiht, nach allen Richtungen hin völlig bedeckt erscheint, ähnlich einer Menschenhaut voll Blattergruben. Dies letztere Ansehen hat die Mondfläche dann besonders, wenn die Sonne gerade über ihr steht, so daß die Lichtstrahlen ziemlich senkrecht auf die Flächengebilde des Mondes fallen, mithin in letztere fast gar keinen Schatten werfen, und so nicht die Größe ihrer Erhebungen zeigen können. – Häuften sich diese Gebilde an einer Stelle sehr, so ward ein Gebirg daraus, also so, wie eine Stadt entsteht, wenn viele einzelne Häuser neben einander erbaut werden. Auch unser Apenninen-Gebirge ist in der That nichts anderes, als eine starke Menge von einzelnen, isolirt neben einander stehenden Bergcomplexen.

Wir wenden uns nach dem Süden des Huygens, mit dem festen Vorsatz, um jeden Preis unser Herabsteigen auszuführen. Wir klimmen von Felszack zu Felszack, von einen, Vorsprung zum andern. Wir sehen, wie sich die Bergmassen des Huygens bald rechts, bald links biegen und dadurch weite, großartige Thaleinschnitte bilden. Oft droht uns die Gefahr, in die schauerlichsten Tiefen hinabzustürzen, und zu beiden Seiten gähnen uns Schlünde entgegen, als lägen zu unsern Füßen furchtbare Ungeheuer, die hungrig ihren Höllenrachen heraufstreckten. Aber regungslos liegen sie da; ganz so, als wollten sie ruhig unsere verzweifelte Anstrengung abwarten, als wären sie gewiß, daß wir ihnen nicht entrinnen könnten, als wären wir ihre sichere Beute. Wir sehen, eine zu starke Bewegung unseres Körpers, vielleicht schon ein Zucken der Glieder, wie es oft vom Erschrecken hervorgerufen wird, reicht hin zum Uebergewicht, reicht hin, uns rettungslos in den finstern Abgrund zu werfen! Würde unser Fuß nicht wie rankender Epheu mit den geringsten Anhaltepunkten vorlieb nehmen, er glitte – um wohl nie mehr uns zu tragen. Denn, wenn wir auch krampfhaft den Boden erfaßten, um uns noch etwa im Halmengewirre festzuklammern, vergebens wär’ es. Unser ängstlich spähender Blick sagt uns ja: keinen Baumstamm, keinen zähen Strauch, selbst keinen morschen Ast, keine schwache Wurzel, nicht einmal das dünnste Gestrüpp würden wir im Fallen finden, um daran als letztes Wrack zur Rettung uns etwa festzuhalten; – wir würden nur scharfen Kanten und Felsecken begegnen. Ja nicht einmal merken würden wir, daß einer unserer Reisegefährten eben an unserer Seite auf immer verschwand, denn nicht würde ein Getöse seines Sturzes sein Unglück uns verrathen, nicht ein Hülferuf könnte uns darauf aufmerksam machen, was neben uns vorgeht, – es ist ja ewig stumm Alles in der Natur des Mondes, und lautlos geschieht ja jede Bewegung darin!– Also plötzlich, ohne auch nur das geringste Geräusch verschwindet der gleitende Gefährte; vergebens lauschen wir, ob der Unglückliche irgendwo hängen bleibt, – wir hören ihn weder, noch sehen wir ihn; denn die Schwärze des Abgrundes verwehrt unserm Blicke, dem Fallenden hinab zu folgen! Kein Wunder also, wenn die Freude, die beim Eintritt in die interessante, fremde Gegend unsere Gesichtszüge belebte, bei dem Anblick dieser Umgebung zu todesbleichem Schrecken erstarrt, wie winterlicher Nordwind das muntere Wellengekräusel eines Baches zu steifem Eis erstarren läßt. „Wie!“ rufen wir aus, „ist’s unter solchen Verhältnissen möglich, vom Huygens herabzusteigen? Sollen wir unser Vorhaben wirklich durchführen?“ Doch auf, laßt Bangen, laßt Zagen! Wir wollen keck und rastlos abwärts klettern. Gilt’s, über die Treppe einer Reihe schroffer und scharfkantiger Felsecken zu steigen, – muthig schreiten wir darüber hinab; gilt’s, eine große, schiefe Felsebene zu passiren, blitzschnell rutschen wir auf ihr herunter.

Freilich, mancher kühne Sprung muß gewagt werden! Ein Glück ist’s, daß wir diese Wanderungen nicht mit unserem irdischen Leibe auszuführen haben; nicht blos, daß unsere Hände und Füße zerrissen und mit Blut bedeckt sein würden, – denn die Felsränder des Mondes sind gar nicht sehr sanft, oft wohl scharf wie Glas, – nein, es dürften auch die nothwendigen Sprünge, die wir nur zu oft von thurmhohen Felswänden herab riskiren müßten, – ich sage, diese Sprünge dürften wohl selbst dem hartnäckigst kranken Unterleibe eines stubensitzenden Gelehrten doch zu arge Erschütterungen bringen.

Auch abgesehen von allen diesen doch wohl ein wenig zu beschwerlichen Reiseabenteuern würden wir nicht sobald vom Huygens herabgelangen, denn dieser Felscomplex hat eine so große Ausdehnung, wie der Thüringerwald. Nach Schröter’s Ausmessung ist der Huygens 10 Meilen lang. Gut ist’s, daß auf der südlichen Seite der Fuß dieses Gesteinriesens nicht ganz so tief liegt, wie nach den andern Himmelsgegenden hin.

Endlich sind wir am ersehnten Ziele angelangt. Reiche Erholung finden wir nach diesen überwundenen Schwierigkeiten. Eine schöne, hellgraue, ebene Landschaft nimmt uns auf.[1] Indem wir nun zunächst Rast hier machen, wird unsere Ruhe, die unsere ermatteten Glieder jetzt genießen, von dem prächtigen Anblicke dieser romantischen Gegend gewürzt. Zwar ist auch diese von himmelhohen Felsbergen umgürtet, aber sie trägt doch im Ganzen weit mehr den Charakter des Milden, Sanfteren. Um so wohlthuender, einladender muß sie uns erscheinen. Froh blicken wir deshalb zurück auf die tückischen Felsblöcke des Huygens, die bis zu unabsehbarer Höhe mürrisch aufeinander gelagert breit daliegen; es ist uns, als wenn wir den markigen Fäusten wilder, breitschultriger Giganten und Cyklopen entronnen seien. Hinter ihnen anscheinend hervorkriechend sitzen keck auf deren riesigen Schultern und dickköpfigen Schädeln Tausende von heimtückischen, schadenfrohen Berggnomen – die scharfschneidigen Felszacken, die uns so viele Possen spielten und manches traurige Andenken hinterlistig uns mitgaben.

Rechts und links von unserer flachen Landschaft treten die Felsriesen bescheidener zurück, wie die gewaltigen Recken der alten Deutschen, ungeachtet ihres trotzigen Ansehens, doch ehrfurchtsvoll abstehen von ihrem starken Herzog, um den sie sich schaarten und dem sie Gehorsam weihten. Kein einziger der dem Huygens nahestehenden Berge, obgleich oft gar wilde Gestalten, wagt, ganz an den hohen Huygens heranzutreten, noch viel weniger etwa vertraulich sich an ihn anzulehnen; kerzengerade und schweigend stehen sie da, wie die eisernen Krieger eines scharf disciplinirten alten Garderegiments, anscheinend nach Süden hin in 2 lange Fronten aufgestellt.




Aus meiner Pilgertasche.[2]
Von Freiherrn v. Biedenfeld.
Eine Begegnung mit General Radowitz.

Es war in der Zeit des tiefsten Schmerzes und der innersten Entrüstung aller Deutschen. Nachdem für die edle Sache von Schleswig-Holstein unter der Aegide der deutschen Regierungen und der Nationalehre viel kostbares deutsches Blut vergossen worden, hatte

  1. Siehe Nr. 65 der Abbildung.
  2. Unter diesem Titel wird der obengenannte bekannte Verfasser eine Reihe Erinnerungen aus seinem vielbewegten Leben geben, die besonders durch die charakteristischen Streiflichter, welche sie auf bekannte Persönlichkeiten des neunzehnten Jahrhunderts werfen, für viele unserer Leser von großem Interesse sein werden. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_422.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)