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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Mahler blieb bis drei Uhr Morgens bei Ihnen?“

„Er war gar nicht bei mir,“ schluchzte sie.

„Als er ging, begleiteten Sie ihn wieder bis auf die Straße und nahmen mit einer Umarmung Abschied von ihm.“

„Es ist Alles schändlich erfunden und erlogen.“

„Ich bringe Ihnen die überzeugendsten Beweise.“

„Das thun Sie. Auf der Stelle!“

„Später; vorher habe ich eine andere Pflicht. Gegen Mahler ist bereits ein dringender Verdacht begründet, daß er seine Frau vergiftet hat. Dadurch, daß Sie hier Thatsachen ableugnen, die auf das Vollständigste bewiesen werden können, machen Sie sich einer Theilnahme an seinem Verbrechen in hohem Grade verdächtig. Der Verdacht steigt, je beharrlicher Sie bei Ihrem Leugnen bleiben. Erwägen Sie das, bevor Sie, wenn Sie unschuldig sind, sich selbst in eine Lage gebracht haben, unschuldig als schuldig verurtheilt zu werden.“ Auch diese Ermahnung fruchtete nichts. Sie sah mich mit ihrer leidenden, mit der unschuldsvollsten Miene an.

Einmal verworfene Frauen haben eine unglaubliche Gewandtheit in der Heuchelei, besonders in der leidenden Heuchelei.

Mit der Person war, wenigstens jetzt, nichts zu machen; ich ließ sie daher abtreten und ihren Vater vorführen.

Der Mann hatte in der Nacht einen Rausch gehabt; man sah es dem aufgedunsenen Gesichte, den rothen Augen, dem wüsten Blicke an, der verrieth, wie wüst es ihm im Kopfe sein müsse.

Ich hatte falsch gerechnet, wenn ich meinte, darum mit ihm leichtere Mühe zu haben. Auf alle meine Fragen, auf alle meine Vorhaltungen, daß Mahler die Nacht über in seinem Hause gewesen sei, antwortete er mir einfach und beharrlich: er sei in der Nacht von dem Verhör durstig nach Hause gekommen und da müsse er über den Durst getrunken haben, und darauf sei er alsbald schläfrig geworden, und er habe sich zu Bette gelegt und wisse von nichts, was in seinem Hause passirt sei. Uebrigens glaube er nicht, daß Mahler dagewesen sei, denn er habe diesen noch nie in seinem Hause gesehen.

Sein Rausch sollte indeß mir mehr Dienste leisten, als ihm.

Ich ließ nach seiner Entfernung seine Frau vorkommen.

Der Gefangenwärter, bevor er sie in das Verhörzimmer führte, theilte mir, um Entschuldigung bittend, mit, daß durch ein Versehen von seiner Seite die Frau im Verhörgange ihren Mann gesehen, wie er gerade in die Gefängnisse zurückgeführt worden sei. Zum Glück habe der Mann sie nicht gesehen, so daß sie sich keine Zeichen hätten geben können. Dieser Zufall kam mir zu Nutzen.

Die gewandte, listige Frau trat nicht mit ihrer gestrigen Sicherheit ein. Hatte sie wirklich Angst, daß ihr noch halb berauschter Mann geplaudert, den Verräther gemacht haben möge? Der Gedanke stieg plötzlich in mir auf.

Es wäre unrecht von meiner Seite gewesen, den Irrthum in ihr zu nähren; aber benutzen durfte ich ihn.

Ich sagte ihr sofort auf den Kopf zu:

„Frau, heute Nacht war Mahler in Ihrem Hause.“

Sie erschrak heftig. Er hat Alles verrathen, sagte ihr Erschrecken.

„Wer hat das gesagt?“ fragte sie, leise zitternd, ablehnend, aber lauernd.

„Ich kann Ihnen auf der Stelle den Mann bringen, der es Ihnen in das Gesicht sagen wird.“

„Es ist nicht möglich.“

„Soll ich?“

Ich griff nach dem Klingelzuge. Ich hätte ihr nach und nach die vier Criminalbeamten gegenüber gestellt, um ihr Alles, was in der Nacht an ihrem Hause passirt sei, in das Gesicht zu sagen. Bei der Angst, in der sie einmal war, konnte ich davon ein Resultat erwarten, zumal da sie in ihrem Irrthum befürchten mußte, daß ich zuletzt doch noch ihren Mann ihr bringen werde. Sie überhob mich der Operation.

„Nein, nein,“ sagte sie ängstlich; „ich will Alles sagen.“

Ihre Angst war mir erklärlich. Sie glaubte an eine Gegenüberstellung ihres Mannes. Sie mußte auch ihm gegenüber die Rolle des Leugnens fortsetzen, ihn also zum Lügner machen. Und nun mußte sie ihn wohl genau kennen, wie das ihn zum Aeußersten, zu den gefährlichsten Geständnissen treiben werde.

„Ich will Alles sagen. Ja, Mahler war die Nacht bei uns; aber in allen Ehren, und er hat nie etwas Schlechtes mit meiner Tochter gehabt.“

„Was that er bei Ihnen?“

„Er ißt gern etwas Gutes. Und seine Frau war geizig und meine Tochter ist eine perfecte Köchin. Das ist Alles.“

„Er ist also öfters zu Ihnen gekommen?“

„Manchmal; aber blos darum.“

„Er hatte gestern Wein mitgebracht?“

„Ja, zwei Flaschen.“

„Er blieb bis drei Uhr?“

„Es mag sein.“

Jetzt mußte ich weiter gehen.

„War er auch vorgestern bei Ihnen?“ fragte ich sie.

„Zu welcher Zeit?“ fragte sie zurück.

„Am Abend?“

„Ich weiß es nicht.“

„Lügen Sie nicht wieder.“

„Ja, ja, es kann sein; ich habe nicht recht darauf geachtet, ich hatte zu thun.“

„Um welche Stunde des Abends war er da?“

„Es kann nach acht Uhr gewesen sein.“

„Wie lange blieb er?“

„Nicht lange.“

„Ging er allein fort?“

„Ich denke doch.“

„Besinnen Sie sich, Sie müssen es wissen.“

Die verschmitzte Frau hatte den Kopf verloren. Ich hatte ihr Thatsachen vorgehalten, die ich, da sie an meine ausgesandten Wächter nicht denken konnte, nach ihrer Meinung nur von Mahler selbst oder von ihrer Tochter oder von ihrem Manne haben mußte. Sie dachte unzweifelhaft an den Letzteren, zugleich mit jener Angst.

„Meine Tochter ging mit ihm,“ sagte sie.

„Um welche Stunde war das?“

„Es konnte beinahe zehn Uhr sein.“

„Wann kam Ihre Tochter zurück?“

„Etwa nach einer halben Stunde.“

„Allein?“

„Mahler hatte sie bis an das Haus zurückgebracht.“

„Was erzählte Ihre Tochter bei ihrer Rückkehr?“

„Was hätte sie erzählen sollen?“

„Wo sie mit Mahler gewesen sei?“

Die Frau wurde auf einmal leichenblaß und zitterte wieder. Mir kam es vor, als ob sie mit Entsetzen sich frage: Sollte mein Mann auch das verrathen haben?

„Sagen Sie die Wahrheit,“ ermahnte ich sie.

Sie sah mich mit großer Angst an.

„Sie wissen auch das?“

„Ich will es von Ihnen wissen.“

Sie glaubte in der That Alles verrathen, und rang die Hände. „O, mein Gott, mein Gott, mein armes Kind! Aber sie ist unschuldig! Glauben Sie mir, Herr Director, bei Allem, was heilig ist, bei Gott im Himmel, sie ist unschuldig, sie hat keinen Theil an dem Verbrechen. Sie hat ihn immer davon abgehalten; sie wollte ja gern warten, bis die Frau, die immer kränkelte, eines natürlichen Todes gestorben sei; aber er hatte keine Geduld mehr, und da hat er es denn gethan. Aber er allein, und sie hat vorher nichts davon gewußt; glauben Sie mir. Glauben Sie mir, daß sie unschuldig ist.“

Die Frau war gebrochen. Die Mutterliebe hatte sie gebrochen. Sie weinte bittere, heftige Thränen der Angst, der Todesangst für ihr Kind, und nun auch der Reue.

„Frau,“ sagte ich zu ihr, „nur ein volles Geständniß von Ihrer Seite kann beweisen, daß Ihre Tochter unschuldig ist, wenn sie es wirklich ist.“

„Sie ist es!“ rief sie.

Und nun erzählte sie Folgendes:

Mahler war vorgestern Abend um acht Uhr in ihr Haus gekommen, wie sehr oft, seitdem ihre Tochter nicht mehr bei ihm im Dienste war. Er war mit dem Mädchen allein gewesen, wie ebenfalls häufig. Er war der Frau bei seiner Ankunft etwas blaß vorgekommen. Sonstige Veränderung wollte sie nicht an ihm bemerkt haben. Kurz vor zehn Uhr war er mit dem Mädchen ausgegangen. Sie hätten blos gesagt, sie wollten ein halbes Stündchen spazieren gehen. Als bald nach halb elf Uhr das Mädchen, von Mahler bis an die Hausthür begleitet, zurückgekommen, habe sie so ganz besonders, so verstört ausgesehen. Sie, die Mutter, habe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_440.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)