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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

er gestern Nacht, nach seiner Entlassung aus dem Verhöre, in dem Schmid’schen Hause gewesen, konnte er, nachdem ich ihm die Beweise darüber vorhielt, nicht mehr leugnen. Er wollte nur dagewesen sein und auch den Wein hingebracht haben, um die Familie Schmid für die Angst und Leiden ihrer langen Verhöre zu entschädigen. Daß sie verhört seien, habe er sich denken müssen, da ich ihn nach dem Mädchen gefragt habe. Nur um nicht das Mädchen unschuldig in die Sache zu verwickeln, habe er auch zuerst seine Anwesenheit im Hause abgeleugnet. Alles Andere bestritt er. Wenn die Schmids, Mutter und Tochter, anders sagten, so begreife er das nicht, die Angst müsse ihnen den Kopf verdreht haben. Dabei blieb er.

Ich confrontirte die Frau Schmid mit ihm. Die Frau wiederholte ihm ihre Aussage in’s Gesicht. Er zuckte kalt die Achseln, und erklärte auch ihr, es sei ihm unerklärlich, wie sie zu solchen handgreiflichen Lügen komme.

Zu einer Confrontation zwischen Mutter und Tochter konnte ich es nicht bringen. Es war mir das eine Erscheinung, die mir zeigte, wie auch in dem verdorbensten und verworfensten Menschen noch immer einiges wahre und bessere Gefühl lebt. Nach ausdrücklicher Vorschrift der Criminalordnung hätte ich den Versuch einer Zusammenstellung zwischen Mutter und Kind machen müssen; aber die Frau erklärte mir jedesmal mit einer Festigkeit, die ich nicht bewältigen konnte, nichts in der Welt werde sie bewegen, ihrer Tochter nur ein einziges Wort vorzuhalten, das diese veranlassen könne, sich als Lügnerin darzustellen. Ich mußte von meinen Versuchen Abstand nehmen.

Gegen Mahler hatte ich indeß durch die Aussage der Frau erhebliche Indicien gewonnen. Zu einem Beweise gegen ihn, der seine Bestrafung begründen mußte, bedurfte ich nur noch des Nachweises, daß er im Besitze von Arsenik gewesen sei. Und diesen Nachweis sollte mir die kleine Gretchen Kopp herbeischaffen. Dabei mußte ich mich aber in der That einer kleinen List schuldig machen.

Das brave Kind war nicht zu bewegen, auch nur ein einziges Wort zum Nachtheile des Mannes auszusagen, der sie mit so unendlicher Bosheit des von ihm verübten Verbrechens bezichtigt hatte. Er sei ihr Oheim, er sei ihr wie ein Vater gewesen; sie könne nun einmal nichts gegen ihn sagen, und sie thue es nicht. Dennoch war namentlich über einen Punkt ihre Aussage mir von der größten Wichtigkeit.

Jener häßliche Reiter an der hannoverschen Grenze hatte eine heimliche Zusammenkunft mit einem Menschen gehabt, in dem ich mit großer Wahrscheinlichkeit den Fremden aus dem Wirthshause an der Grenze, also den Fleischer Mahler, zu erkennen gemeint hatte. Ich verband damit den dringenden Verdacht, daß Mahler damals von jenem Menschen sich habe Gift geben lassen. Aber wer war der häßliche Reiter? In dem Wirthshause hatte Niemand von ihm gewußt. Nur Fritz Beck, der Liebhaber Gretchens, hatte ihn gesehen. Er schien ihn auch gekannt zu haben. Jedenfalls konnte durch ihn der Mensch ermittelt werden.

Allein wo hielt Fritz Beck sich auf? Und wie war dem von den Behörden Verfolgten so beizukommen, daß er sich zu der nöthigen Auskunft entschloß?

Das war nur durch Gretchen Kopp zu erlangen; und von ihr erlangte man es nicht, wenn sie den Zweck wußte.

Ich sprach mit ihrem Oheim Kopp über sie und den Burschen. Das Testament der Frau Mahler war eröffnet. Dem Mädchen waren darin die fünfhundert Thaler vermacht. Der Oheim war bereit, in Gemeinschaft mit den übrigen vermögenden Verwandten eine etwa gleiche Summe zuzugeben. Dafür sollte dem Mädchen im Hannoverschen, aber weit genug von der Grenze entfernt, ein bäuerliches Grundstück gekauft werden, und die beiden jungen Leute sollten sich heirathen. „Man könne es ja einmal probiren.“

Das Mädchen war außer sich vor Freude, als ihr das Alles gesagt wurde. Sie fuhr mit ihrem Oheim zur Grenze, um dem Burschen sein Glück anzukündigen. Ich fuhr, wie zufällig, ebenfalls dahin. Ich traf mit Kopp und seiner Nichte zusammen, wie sie eben in der Nähe des Wirthshauses an der Grenze ihre Unterredung mit Fritz Beck hatten. Der Bursch erkannte mich wieder. Ich nahm ihn auf die Seite, und fragte ihn nach dem häßlichen Reiter.

„Der Henker hier auf der Grenze!“

Hatte Mahler von dem Henker das Gift geholt, das ihn dem Henker überliefern mußte?

Ich ließ mir Namen und Wohnort des Henkers nennen, und fuhr dann weiter zu dem nächsten hannoverschen Gerichtsorte. Ich wandte mich dort an das Gericht. Die hannoversche Behörde war sehr zuvorkommend. Noch an demselben Tage wurde der Mann vernommen. Ich wurde zu der Vernehmung zugelassen.

Der an der Frau Mahler verübte Giftmord war auch schon an der Grenze bekannt geworden. Der Henker, sobald er sich bezüglich des Verbrechens vernommen sah, hatte daher eine dringende Veranlassung, wenigstens nicht Alles abzuleugnen, wenn er sich nicht als Mitschuldigen in die Sache verwickelt sehen wollte.

Er räumte sofort ein, daß Mahler Arsenik von ihm erhalten habe, und zwar damals an jener nämlichen Stelle, wo ich mich so sehr in der Nähe der Zusammenkunft der Beiden befunden hatte. Mahler war, so gab er an, des Nachmittags bei ihm gewesen, um ihn um das Gift zu bitten. Er hatte ihn auf den Abend an jenen Ort bestellt, da seine Rückkehr zum Hause des Henkers bemerkt werden und auffallen könne; dort unmittelbar an der Grenze seien sie am sichersten. Zu welchem Zweck Mahler das Gift haben wolle, hatte dieser nicht gesagt. Die Heimlichkeit sei übrigens schon darum geboten gewesen, weil der Giftverkauf auch im Hannoverschen für Privatpersonen verboten sei.

Der Mann wurde mir von den hannoverschen Behörden mit nach Preußen gegeben. Er wiederholte dort seine Aussage dem Mahler in’s Gesicht.

Mahlers Kaltblütigkeit war unterdeß zu einer Unempfindlichkeit geworden. Ihn beherrschte nur ein Gefühl, die Lust zum Leben. Das Leben hatte er aber gerettet, wenn er sein Verbrechen nicht eingestand.

Nach der preußischen Criminalordnung konnten noch so viele und noch so vollkommen überzeugende Anzeichen gegen ihn vorliegen, auf Grund derselben konnte nie eine Todesstrafe, nicht einmal eine lebenslängliche Freiheitsstrafe, sondern höchstens, als sogenannte außerordentliche Strafe, eine Zuchthausstrafe von zwanzig bis dreißig Jahren gegen ihn erkannt werden.

So bestritt er Alles, was gegen ihn vorgebracht wurde, mit einer Beharrlichkeit und Unempfindlichkeit, die, zumal in diesem, von Natur kalten und schlechten Menschen, vollkommen unerschütterlich waren. Es schien eine Art Verzweiflung so in ihm zu wirken.

Indessen waren der überzeugenden Anzeichen gegen ihn genug da. Er wurde nach jenem Grundsatze der außerordentlichen Strafe zu fünfundzwanzig Jahren Zuchthaus verurtheilt.

Louise Schmid, gegen welche, bei ihrem gleichfalls beharrlichen Leugnen, außer ihrem verdächtigen Benehmen, nichts vorlag, als die Aussage ihrer Mutter, wurde von einer Theilnahme an dem Verbrechen Mahler’s vorläufig freigesprochen.

Gretchen Kopp und Fritz Beck wurden ein Paar und zwar ein recht glückliches Paar. –

Und nun, nachdem ich meine Erzählung beendigt habe, höre ich manchen Leser fragen:

„Aber wozu hat er uns diese, nicht einmal so ganz absonderliche Criminalgeschichte erzählt? Welche Idee soll dadurch veranschaulicht werden? Welche Tendenz nur spricht sich darin aus?“

Ich weiß es, ohne Idee und Tendenz thut es die deutsche Novellistik nicht mehr. Nur eine Idee, nur eine Tendenz, dann sind die Geschichte und das Erzählen selbst gleichgültige Nebensachen.

Nun könnte ich Euch in der That auch über die vorstehende Geschichte recht viel von solchen Dingen sprechen, von der Idee eines reinen, schuldlosen, im Gegensatze zu einem verdorbenen, schuldbewußten Charakter; von der erhabenen Idee: „wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch.“ Oder, wenn Ihr eine Tendenz wollt, so könnte ich Euch bitten, anzunehmen, ich hätte Euch einen echt professorlichen – „praktischen Excurs“ aus der empirischen Psychologie geben wollen, oder gar einen Beitrag zu der Kunst des Inquirirens. –

Nehmt, was Ihr wollt, auch nichts. Ich werde zufrieden sein, wenn Euch meine Erzählung gefallen hat, das heißt, nicht blos für Eure Phantasie, sondern auch vornehmlich für Euer Herz.

Also doch eine Tendenz?




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_442.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2018)