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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Sonderbare Grillen, sich gegen eigene Ueberzeugungen aufzulehnen! Sie wissen recht gut, daß er nicht Locomotivführer ist, eben so wenig, wie Lothar „Steine klopft in Amerika“.

„Ist Lothar auch gegen seinen Willen Jurist geworden? Bin ich Schuld, daß er jetzt landesflüchtig ist? Ja, so geht es; wenn die Söhne aus der Art schlagen, so ist der Vater schuld. Warum wohl der liebe Gott den Jungens Väter gibt!“

„Mit Ihnen ist nicht gut streiten," entgegnete die alte Dame aufstehend, um nur nicht seinen Spott zu schärferen Ausfällen zu leiten, die der lauschenden jungen Frau wehe thun konnten. „Hat Ihnen Lothar gar nichts Näheres über den Grund seiner Reise gemeldet?“

„O ja. Er hat mir Märchen erzählt von einem Könige, der ihm seine Tochter geben will, wenn er drei Kunststücke ausführt: erstens ein paar tausend Meilen über’s Meer schwimmt – zweitens einen verlorenen Bruder aufsucht – drittens die Hinterlassenschaft dieses verlorenen „Joseph’s“ als treuer Sclave überliefert. Ich denke aber, er wird schon beim ersten Probestückchen sein Leben eingesetzt und verloren haben, denn es mangeln mir alle Nachrichten von ihm.“

„Sie wissen nicht, ob er in Amerika angelangt ist?“ forschte die alte Dame theilnehmend.

„Direct ist mir keine Gewißheit zugekommen, aber der König, der ihn gesendet in jene überseeische Welt, hat sich herabgelassen, mir in einem huldvollen Briefe anzuzeigen, daß mein Sohn Lothar glücklich in Amerika sei – mein Scharfsinn reicht nicht aus, um zu begreifen, warum Lothar das nicht selbst an seinen Vater berichten solle, wenn er wirklich noch lebe.“

„Es ist der Präsident von Sundwihl, den Sie zum König metamorphosiren?“ fragte die Dame, welche sich beeilte, die gnädige Stimmung des Obersten auszubeuten.

„Ja wohl. „Von“ Sundwihl, seitdem er der Schwiegersohn des mächtigen Chef-Präsidenten von Rathenow wurde. Will er Lothar zum Schwiegersohn machen, so bleibt nichts übrig, als diesem den Adel zu verschaffen. Natürlich der Herr von Hußlar ist mein Sohn nicht mehr. Lieber soll er „Steine klopfen“.“

„Wunderlicher Mann! Wenn nun Se. Majestät Ihnen den Adel zur Belohnung Ihrer Verdienste angeboten hätte?“

„Dann hätte ich geantwortet: Majestät, das „von“ hat nicht geholfen, als ich, kaum sechzehn Jahre alt, wie blind und toll hervorsprengte auf General York’s Ruf: heran, ihr brandenburgischen Husaren – eingehauen! und aus Leibeskräften schrie: es lebe unser König! Ich war eines preußischen Bürgers Sohn und will es bleiben! Ja, weise Frau Schwester, nicht alle Menschen lieben es, Medicinalrath zu heißen, ohne Doctor zu sein!“

Jetzt kam der alte Herr auf sein altes Capitel und wer ihn so genau kannte, wie die Medicinalräthin, der wußte, was das heißen sollte.

Sie schloß ihre Forschungslust ruhig mit den Worten ab:

„Sie sind ein Mann, der sich mit eigensinnigen Verblendungen selbst quält und der seinen Verstand nur dazu verwendet, sich selbst und Andere zu kränken.“

Darauf bereitete sie ihm seinen Thee und vermied es beharrlich, irgend eine Frage an ihn zu richten, die Bezug auf seine Söhne hatte. Ob dem Obersten das lieb war? Schwerlich. Er hatte das Herz so sehr auf seiner Zunge gehabt, daß sie sehr wohl erkannte, wie erleichternd ihm ein Gespräch über diesen Gegenstand sein würde.

Während des Theetrinkens kam Pauline in’s Zimmer gesprungen und fragte eilig nach ihrer Mama. Auf den Bescheid der Medicinalräthin, daß sie gleich kommen werde, setzte sich das kleine Ding ganz gravitätisch auf ein niedriges Polstersesselchen und bat um eine Tasse Thee. Die Art, wie sie das that, die Anmuth und Lieblichkeit, womit sie sich trotz ihrer großen Jugend benahm, entzückte den Obersten. So lange die Kleine Thee trank und ihr Butterbrödchen dazu aß, verwendete er kein Auge von ihr. Sie bemerkte es und nickte schelmisch mit dem Köpfchen. Es lag ein unbeschreiblicher Reiz in diesem vertraulichen Nicken. Warm, wie die Liebe, floß es dem alten Krieger bis in’s Herz hinein und er rief ihr ein liebkosendes Wort zu. Fröhlich klatschte die Kleine in die Händchen und lachte auf eine herzinnige Weise.

„Du bist auch ein allerliebster Mann,“ wiederholte sie kindlich muthwillig. „Du bist ein guter Mann. Wenn ich fertig bin, will ich Dir auch Küßchen geben! Warte nur so lange.“

Die Kleine stopfte schäkernd den Rest ihres Butterbrodes in den Mund und sprang dann leichtfüßig auf den Obersten zu, der sie zu sich emporhob und ihr in das seelenvoll heitere Auge blickte. Sie näherte ihr Mäulchen tapfer seinem bartumwachsenen Munde und drückte ihm einen herzhaften Kuß auf die Lippen. Eben so schnell, wie dies geschehen war, entschlüpfte sie wieder seinen Händen, und eilte flüchtig aus dem Zimmer.

„Das ist ein liebes, liebes Kind, Frau Schwester!“ rief der alte Herr ganz entzückt. „in meinem Leben habe ich solch’ ein reizendes Kind nicht gesehen!“

„Das macht, weil Sie überhaupt keine Kinder gesehen haben,“ erwiderte die alte Dame mit trockenem Tone, während ihr Herz jauchzte und ihre Gedanken an Theresens „Gottes Finger“ hängen blieben Er fängt sich selbst in selbstgewebten Netzen, jubelte es in ihr und sie sah schon ihr gebenedeites Haus als den Sammelplatz der versöhnten Familie.

Wohl habe ich Kinder genug in meinem Leben gesehen,“ polterteder Oberst jovial heraus; „ich bin immer ein ganz besonderer Freund und Verehrer aller jungen Fräulein gewesen und ich habe nichts so schmerzlich bedauert, als daß ich nicht statt der Jungens zwei Mädchen gehabt habe.“

„Ach, die armen Mädchen!“ neckte die Medicinalräthin mit komischer Gebehrde. „Unter Ihrer Tyrannei wären sie längst Todes verblichen.“

„Meinen Sie, Dame Weisheit?“ fragte der Oberst gut gelaunt. „Ich möchte den Strom ihrer Ueberzeugungen durch die Bemerkung hemmen, daß ich meinen Mädchen so viel Liebe einzuflößen gewußt haben würde, um sie allen Auswüchsen des Zeitalters aus freiem Antriebe abhold zu sehen. Was weiß eine Medicinalräthin von der Macht der Liebe in einem Vaterherzen?“

Bis zu diesem Zeitpunkte war Frau Therese, die eine eifrige Zuhörerin des Gespräches im Nebenzimmer abgegeben hatte, noch immer zweifelhaft geblieben, ob es gerathen sein möchte, mit ihrer persönlichen Erscheinung einen gewissen Angriff auf den alten Herrn zu machen. Seine schwankende Laune, hastig abspringend von Spott zur Güte, hatte ihr Furcht verursacht, jetzt aber schien es ihr gerathen, mit ihren Ansprüchen auf seine gerühmte Vaterliebe hervorzutreten, und sie sammelte vorsichtig ihre Lebensgeister, um würdig vor dem Manne zu erscheinen, der ihr, sie fühlte dies mit einem innigen Behagen, sehr gut gefiel.

Schnell Alles das im Geiste recapitulirend, was sie für eindrucksfähig auf dies sonderbar construirte alte Soldatenherz hielt, faßte sie den Griff der Thür und erschien auf der Schwelle des Zimmers, gerade dem Oberst gegenüber, der noch auf dem Sopha saß.

Die Medicinalräthin begrüßte sie mit einem kleinen Schrei der Ueberraschung, der Oberst jedoch stand ritterlich artig auf und sah sie erwartungsvoll an.

Sie eilte zu ihm hin und ergriff leidenschaftlich bewegt seine Hand.

„Ich mache Anspruch auf diese Macht der Liebe in einem Vaterherzen!“ rief sie. „Sie können meinem Eberhard nicht länger zürnen – Zeit und Entbehrung haben Ihr Herz weicher gestimmt – lernen Sie uns kennen – Sie finden in meiner Familie dieselben Grundsätze, welche Sie ausgesprochen – ich appellire mit Fug und Recht an Ihr Vaterherz, das seine Lebensfreuden vermindert, indem es sich eigensinnig in seinen Vorurtheilen befestigt – nicht wahr, theurer, lieber Vater meines Eberhard’s, nicht wahr, Sie sind besiegt, Sie erkennen, daß „Gottes Finger“ obwaltete, indem er unser wunderbares Zusammentreffen leitete?“

Arme Therese! Sie hatte sich die Folgen der Ueberrumpelung in wunderschönen Farben gemalt und sich dabei total vergriffen. Zuerst hatte der Oberst sie groß und vollständig verwundert angesehen, war aber sehr bald auf die richtige Vermuthung verfallen. Bei ihren fortgesetzten Reden, die einen Angriff auf seine „Vorurtheile“ enthielten, weiche er als einen Theil seines gesinnungstüchtigen Charakters, unter den Gährungsprocessen der Sichtung reif geworden, betrachtete, verdrängte ein gewisser, gar zu leicht erregter Gallstoff das Wohlgefallen, das er unwillkürlich bei der Betrachtung der wunderhübschen jungen Frau empfunden hatte.

(Schluß folgt.)




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