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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

einem balkonartigen Portale führten. Ohne irgend ein Zeichen von Gemüthsbewegung öffnete er die große geschnitzte Flügelthüre, die sogleich in ein weites, salonmäßiges Gemach führte. Er trat ein. Eine weibliche Gestalt stand in einem Bogen der hochgewölbten Fenster, und schauete achtsam auf das Gewühl, das ein ankommender Bahnzug immer verursacht.

„Guten Morgen, Frau Tochter!“ rief der Oberst, und seine Stimme klang ein klein wenig anders, als damals, wo er ihr auseinandersetzte, „daß sie nicht in einem Zimmer zusammen leben könnten.“

Die Dame sah sich um. Einen Moment nur, einen einzigen Moment, dann aber flog sie unter einem Freudenjauchzen ihm entgegen, klammerte ihre Arme um seinen Nacken, und drückte ihre Lippen auf seinen Mund.

Das hatte er nicht verdient! Eine Stimme in seinem Innern flüsterte ihm dies vernehmlich zu, allein seine Lippen hüteten sich, es auszusprechen.

Im Nu riß sich Therese wleder los von ihm und schrie, zur Thür eilend, die Namen ihres Mannes, ihrer kleinen Tochter, ihres Vaters, ihrer Mutter und ihres Bruders. Alle stürzten erschrocken herbei – der Schreck verwandelte sich in Jubel, als sie den alten Herrn, mitten im Salon stehend, erblickten. Eberhard trat zuerst zu ihm. Wie Mann zum Mann standen sie voreinander, die Hände faßten sich, die Augen sahen sich fest an, und die Herzen öffneten sich wieder ohne Worte und Erklärungen.

Jetzt kam Pauline hereingesprungen. Sie riß die Kinderaugen weit auf, und ein Schelmenlächeln flog über das liebe Gesicht.

„Du? Wo kommst Du her –?“ fragte sie, fröhlich, wie damals, die Händchen zusammenklatschend.

„Bin ich denn noch ein allerliebster Mann, Du allerliebstes Aeffchen?“ fragte der Oberst, das Kind mit Entzücken emporhebend, und unverwandt betrachtend. „Hast Du mich wirklich noch nicht vergessen?“

„Nein, wirklich nicht!“ betheuerte die Kleine. „und dafür, daß Du zu mir gekommen bist, sollst Du auch von Pauline ein Küßchen haben.“

Nach und nach legte sich der Sturm. Man wurde ruhiger, und der Oberst fragte, ob sein Sohn Eberhard Nachrichten von Lothar habe. Als er hörte, daß das Schiff, welches er zur Ueberfahrt erwählt habe, laut telegraphischer Depesche in Southampton angelangt sei, da erklärte er, nach Hamburg zu wollen, dem Sohne entgegen. Ein freudiger Blick Theresens auf ihren Gatten verrieth etwas von ihren mitleidigen Hoffnungen für Valeska, aber auszusprechen wagte sie nichts davon, denn ihre bittere Erfahrung hatte sie vorsichtig gemacht.

„Habt Ihr Nachricht von dem Fräulein Sundwihl?“ fragte der Oberst in Folge dieses wohlverstandenen Blickes.

Man bejahete.

„Es liegt ein Brief an Lothar hier, den wir ihm bei seiner Ankunft in Europa sofort übersenden oder übergeben sollen,“ fügte Eberhard hinzu.

„Mal her den Brief! Ich will Postillon d’amour sein,“ scherzte der alte Herr.

Eberhard eilte, den Brief zu holen. Der Oberst nahm ihn, besah ihn von allen Seiten, und rasch zerriß er das Couvert. Einigermaßen erschrocken fuhr sein Sohn von seinem Sitze auf, um den Brief vor Entweihung zu schützen.

„Laß nur,“ rief der alte Herr gemüthlich. „Ich nehme alle Verantwortung auf mich.“

Er stellte sich an’s Fenster und las. Es währte lange, ehe er zu Ende kam, viel länger, als er zu den Zeilen gebrauchte, die Valeska im Gefühle einer dumpfen Hoffnungslosigkeit, in der tiefen Bedeutsamkeit einer stolzen Demuth, einzig und allein für den Mann geschrieben hatte, den sie mit der ganzen Kraft eines ungewöhnlichen Mädchenherzens liebte.

Die edle Ergebung, womit sie ihre Demüthigung aus den Händen des Obersten hingenommen hatte, prägte sich klaglos in ihren Worten aus, welche sie „entsagend bis zu günstigeren Zeiten,“ schriftlich an Lothar richtete, „weil sie fest beschlossen hatte, ihn nicht eher wiederzusehen, bis sein Vater aus eigener Entschließung den Bund segnen würde, der das seligste Glück ihres Lebens in sich schließe.“

Es mußte in der unerschütterlichen Selbstbeherrschung Valeska’s etwas liegen, was den Obersten ganz besonders rührte – vielleicht folgerte er von sich auf sie und umgekehrt von ihr auf sich – wer weiß und kennt alles das, was in einem eigensinnigen Gemüthe eine Stätte findet? genug, Frau Therese, die ihn fest und beharrlich beim Lesen von der Seite betrachtete, wollte finden, daß ein fallender Farbenwechsel mehrmals stattgefunden habe, und daß seine Lippen mit dem Bemühen, eine innere Rührung zu bemeistern, fest eingekniffen seien.

Als er endlich fertig mit Studiren war, forderte er ein neues Couvert, Feder, Tinte und Siegellack.

Gehorsam, wenn auch mit durchweg unbehaglichen Gefühlen willfahrte sein Sohn Eberhard diesem Verlangen. Er konnte und mochte auch nicht mit einem einzigen Worte den Frieden und die Freude beeinträchtigen, die nach Jahre langer Entbehrung in seine Brust eingekehrt war. Im Allgemeinen hatte er weit mehr durch seines Vaters fortgesetzt zur Schau getragene zornige Gemüthsstimmung gelitten, als er zu verrathen für gut hielt, und er war um so williger auf Valeska’s Pläne eingegangen, als er es für unerträglich hielt, diesem außergewöhnlichen, begabten und liebenswürdigen Mädchen auf längere Zeit zu widerstehen. Danach muß man die Beklemmung abmessen, die ihn peinigte, wenn er bedachte, daß jetzt mit einem Federstriche, der falsch angewendet, falsch aufgegriffen und falsch verstanden wurde, Verhältnisse gebrochen und Lebenshoffnungen vernichtet werden konnten.

Der Oberst that gar nicht, als ob irgend Jemand in der Welt außer ihm lebte und Interesse an seinen auszuübenden Handlungen nähme. Er tauchte die Feder ein. Er legte Valeska’s Brief vor sich hin, warf noch einen vielsagenden, etwas triumphirenden Blick auf die zierliche Schrift und setzte groß und deutlich die Worte unter ihre Entsagungsepistel:

„Wird nicht acceptirt.   Oberst Hußlar.“

Frau Therese, mit ihren scharfen Augen und ihrem ahnenden Herzen, entzifferte von fern her die Lapidarschrift und flog mit Windeseile ihrem Gatten an die Brust, ihm die Worte zuflüsternd.

Der Oberst hatte es gehört. Er schaute sich um und rief, spöttisch lächelnd:

„Die Frau Tochter hat gewiß gedacht, der Löwe hat auch eine Bärennatur – höre, Eberhard, mein Junge, ich rathe Dir, daß Du ihr etwas Unterricht in der Naturgeschichte geben läßt. – So. – Jetzt mein Siegel darauf – nun gebt den Brief sofort auf, damit er eher im Sundwihl’schen Hause anlangt, als wir, das heißt Lothar und ich.“

Nun war Alles, Alles gut. Beschreiben läßt sich ein solcher hergestellter Familienfrieden mit seinen verstohlenen Liebesäußerungen nicht. Am offenkundigsten wurde Pauline, das Kind, vom Obersten damit überschüttet, allein man merkte aus den neckischen Zärtlichkeiten, womit er ihre Anmuth mehrmals als ein Erbtheil von ihrer Frau Mama annoncirte, heraus, welchen Eindruck Therese auf sein altes, störrisches Herz gemacht hatte.

Von dem Wiedersehen zwischen Lothar und dem Obersten können wir nur das sagen, daß der Anblick des alten, stattlichen Papa’s hinreichte, um des jungen Mannes Brust mit den gegründetsten Hoffnungen zu erfüllen. Vater und Sohn waren einig, sofort dem Präsidenten von Sundwihl „in’s Quartier rücken zu müssen.“

„Du gehst zum Vater – ich zur Tochter,“ erklärte der alte mit schelmischem Ernste.

„Wollen wir es nicht umgekehrt machen?“ fragte Lothar lachend. „Ich habe eine unbezwingliche Sehnsucht nach meiner Valeska.“

„Sie nimmt Dich nicht eher an, bis ich mit ihr gesprochen habe,“ entgegnete der Oberst mit Gleichmuth. „Es ist zwischen uns etwas passirt –“

Lothar richtete erschrocken seine Blicke fest auf den Vater.

„Valeska ist stolz,“ flüsterte er beklommen. „Mein Glück wird doch nicht gefährdet sein?“

Der Oberst schnitt ein verdrießliches Gesicht, machte aber keine Anstalt, seines Sohnes Sorgen zu zerstreuen.

„Die Ungewißheit der nächsten vierundzwanzig Stunden sei Deine Strafe dafür, daß Du ohne meinen Willen und ohne Abschied nach Amerika geschwommen bist. Basta!“

Lothar wußte von Alters her, daß jedes Fragen und Forschen von nun an überflüssig war, also schwieg er und zählte heimlich jede Station, die ihn von seiner Geliebten trennte.

Endlich war die letzte Station erreicht und ein Wagen brachte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_470.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)