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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

und Kanonenstiefeln heran, um „Füchse abzufangen“. Das war zu jener Zeit Sitte; man ritt auf den Straßen den neu Ankommenden entgegen, um sie möglicherweise für die Verbindung zu „keilen“. Jene Reiter trugen blau-weiße Cerevismützen, nur einer hatte eine Bärenmütze, von welcher ein blausammetner Sack oder Beutel mit silberner Quaste bis nahe zur Hüfte hinabhing. Sie machten vor unserem Wagen Halt und sahen hinein, es war aber für sie keine Beute darin. Ich hielt ihnen meine Pfeife mit den schwarz-roth-goldnen Quasten entgegen und sie ritten mit einem „Guten Morgen“, den ich eben so lakonisch und in dem obligaten langen und gezogenen Studententone erwiderte, weiter gen Könnern, wo ihnen dann der schöne Fritz mit den übrigen Märkern begegnet sein muß. Mein Vater schlug plötzlich die Hände zusammen, zeigte nach dem Chausseegraben, und ich begriff im Augenblick, weshalb er so entsetzt war. Da lag in jenem Graben neben einer Pappel ein Bruder Studio, auch mit Lederhosen und Kanonen angethan, und schlief in der Sonne den Schlaf der Gerechten, die ja auch manchmal von einem Rausche heimgesucht werden. Die blauweiße Mütze war ihm vom Kopfe gefallen, der Philistergaul graste in aller Gemüthlichkeit. Das Ganze war ein Bild, das meinem Vater großen Kummer machte. Er meinte, es sei schändlich, daß die Cameraden diesen Menschen so im Graben liegen ließen, denn der Boden sei feucht und der Student könne sich erkälten; schändlich sei es von dem Studenten, daß er sich, noch dazu an einem Sonntage, so betrunken habe; dergleichen verstoße gegen alle „Conduite“, und wenn nun das seine Eltern erführen! Und ob wir ihn nicht aufwecken sollten, da ja ein Vorübergehender ihm leicht Uhr und Geld aus der Tasche nehmen könne? In dieser letztern Beziehung suchte ich meinen Vater zu beruhigen, indem ich meinte, ein Bruder Studio könne vor Anfang des Semesters gar kein Geld haben, und was die Uhr angehe, so wollte ich wetten, daß der Pommer im Graben eine solche nicht habe, da sie sicherlich im Versatzamte Gevatter stehe.

„Aber du lieber Himmel, wenn diese Menschen kein Geld haben, wie können sie denn solche Suiten machen?“

„Auf Pump, lieber Vater,“ antwortete ich lakonisch.

Er wurde sehr nachdenklich und sprach dann:

„Gott, unter solche Menschen sollst Du gerathen, unter so rüde Menschen!“

Ich suchte ihn damit zu beruhigen, daß jene Reiter nur Landsmannschafter seien, und daß dergleichen bei „uns“ Burschenschaftern gar nicht vorkomme. Es ist aber auch unter uns Ähnliches vorgekommen. Zum Beispiel. Wir waren einmal in Ziegenhain bei Jena und traten Abends den Rückweg an. Der Schnee lag hoch. Wir nahmen Kienfackeln und zogen in langer Reihe oben am Hohlwege hin. Es wäre kühn, zu behaupten, daß wir, wir Burschenschafter, bei klarem Verstande gewesen wären; auch waren unsere Schritte und Tritte nicht sicher. Einer nach dem Andern sank in den Ziegenhainer Hohlweg, fiel ab und lag im Schnee, wie jener Pommer im Graben bei Könnern. Zum Glück hatten wir keine Pferde und sprengten nicht fort, sondern halfen einander empor, so gut es eben ging. Auch der „lange Itze“ erhob sich und zog wohlgemuth mit auf den Burgkeller, wo er dann nach einer Stunde verspürte, daß eine Schraube los sei; er hatte sich nämlich den Arm verrenkt. Dieses wurde kund gemacht, der lange Itze auf den Tisch gelegt, und nachdem ein Dutzend angehender Aesculape ihn grenzenlos mißhandelt hatten, war der Arm wieder eingerenkt. Der Patient hörte nun auf zu schreien und das Erste, was er wieder sprach, waren die unvergeßlichen Worte:

„Ich trinke Euch schlechten Medicinern Allen und Jedem Einen vor!“

Und so geschah es.

Mit der Dämmerung fuhren wir in Halle ein und fanden noch Zeit, durch die Straßen und über den Markt zu gehen. Wir standen vor dem Roland, als uns abermals Pommern ein Lebensbild vorführten. Zwei von ihnen schleiften einen Dritten, der nur mühsam gehen konnte, mit sich, um ihn irgendwo auf ein Bett oder Sopha zu bringen, denn der volle Jüngling bedurfte der Ruhe. Mein Vater war außer sich; am Sonnabend hatten wir in Halberstadt einen Westphalen gesehen, der sich aus Renommage die Pfeife mit einem preußischen Thalerscheine ansteckte, am Sonntage Pommern im Graben und auf dem Halleschen Markte, und Abends erzählte uns im Gasthause ein Philister beiläufig, daß ein Märker (der nachher unter die Frommen im Lande gegangen ist) binnen fünf Minuten fünfundvierzig Gläschen Kümmel getrunken und doch an demselben Abende von Kröllwitz seinen Weg zurückgefunden habe. Nun wollen wir es mit der Zahl 45 in 5 Minuten nicht so genau nehmen, denn Philister auf Universitäten schneiden manchmal auf, als wären sie Berliner; gewiß ist aber, daß damals auf den norddeutschen Universitäten viel Branntwein getrunken wurde. In Göttingen habe ich selbst gesehen, daß namentlich die Ostfriesen dem „Gandihl’schen Bittern“ alle Ehre anthaten, und auch in Halle ging jene Unsitte im Schwange; in Jena kannte man sie nicht.

Es war mir nicht recht, daß ich keinen Studenten mit schwarz-roth-goldner Mütze sah, denn ich hätte ihn ohne Weiteres angeredet und wäre mit ihm auf das Burschenhaus gegangen. Aber beim Drechsler Madut war der Laden offen und ich konnte mir einige Pfeifen mit Quasten kaufen. Mein Vater blieb inzwischen im Gasthofe und ich fand ihn, als ich zurückkam, sehr schweigsam. Diese Halleschen Studentengeschichten machten auf ihn einen unangenehmen Eindruck und wir wurden erst wieder gesprächig, als wir bei Dornburg einen Blick in das schöne Thal der Saale gewannen. Ein paar Stunden später waren wir in Jena, machten am Dienstag einige Ausflüge in die Umgegend, mietheten eine Wohnung und Mittwoch in aller Frühe fuhr der Herr Papa wieder heim; ich begleitete ihn bis Zwäzen und erhielt zum Abschied noch einmal die obligaten guten Lehren und obendrein scharfe Warnungen, an denen offenbar die Halleschen Pommern schuld waren.

In Jena kannte ich Niemand; meine Landsleute wollten erst acht Tage später aus den Ferien zurückkommen und zu Anfang der Collegia eintreffen. Es waren nur erst einige Studenten da, die Straßen sehr still. Etwa um acht Uhr früh kam ich von Zwäzen zurück. Gestern hatte ich von Jena selbst nicht viel gesehen, heute konnte ich es mir in aller Muße betrachten und war ein freier Mann. Ich ging um den Graben und lenkte dann meine Schritte unwillkürlich nach dem Burgkeller, der im Leben der deutschen Jugend eine so große Bedeutung gehabt hat. Wie viele Tausende haben in jenem Eckzimmer gesessen, getrunken und gesungen und sich unbeschreiblich glücklich gefühlt! Mir galt Jena für eine Art Mekka der Burschenschaft und der Burgkeller für die Kaaba, die ich mit einer Art von frommer Scheu betrat. Es war noch kein Student da, aber die „Frau Vettern“, welche viele Jahre als Wirthin dem Burschenhause rühmlich vorgestanden und nie mit doppelter Kreide an die schwarze Tafel geschrieben hat, erschien bald und sah mit geübtem Kennerblicke, daß sie in dem jungen Blut aus Niedersachsen einen Fuchs vor sich hatte. Das Gespräch der erfahrenen kleinen Frau mit den schlauen Augen, von der ich schon Manches hatte erzählen hören, war ermunternd, und an jenem Morgen wurde zwischen uns eine Freundschaft geschlossen, die niemals wankte. Frau Vettern hat mich nur ein einziges Mal sanft „getreten“, und damals wies sie mir überzeugend unter vier Augen nach, daß sie wirklich Geld nöthig habe und daß ihre Ausstände eine sehr beträchtliche Höhe erreicht hätten. Wie gern hätte ich sie damals bezahlt, aber war nicht kurz vorher, ich weiß nicht mehr, ob in Kahla oder Eisenberg, Vogelschießen gewesen? Ich demonstrirte ihr, was Unmöglichkeit sei, und als ich einige Zeit nachher mit ihr Nachmittags eine Tasse Kaffee trank, borgte sie mir mit Vergnügen dreißig Kopfstücke. Sie war eine sehr wohlhabende Frau mit trefflichen Eigenschaften, hatte große Menschenkenntnis und wußte jeden Studenten richtig zu nehmen. Schon nach einer halben Stunde hatte sie mich gut orientirt und mir nebenbei manchen praktischen Wink gegeben.

Dann ging ich auf den Markt und rauchte meine Pfeife, an welcher natürlich Hallesche Quasten prangten. Aus der Netzei an der Ecke kamen einige Studenten, aber sie trugen grün-roth-gold, waren also Franken, Landsmannschafter, und folglich nicht meine Leute. Sie hatten Rappiere und fochten, was damals in Jena allgemeiner Brauch war; man trug das Floret in der Hand oder steckte es in die Mappe querüber, und traf man einen Bekannten, mit dem man einen Gang machen wollte, so geschah es gleich an Ort und Stelle, auf dem Markte, auf dem Eichplatze oder auf dem Graben. Nachher steckte man das Rappier wieder in die Mappe und ging weiter. Ich sah den Franken zu und ergötzte mich an ihrem Stoßen, bis ich drei Burschenschafter um die Karlei biegen sah. Endlich! Vor der Weinschenke des Stadthauses sah ich einen behäbigen Philister, der sollte mir Rede stehen.

„Können Sie mir nicht sagen, wie die drei Burschen da heißen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_476.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)