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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

O Werkstätte, still oder lärmend,
Und schaffst du das tägliche Brod:
Der Arbeiter trägt doch im Herzen
Oft and’re Sorge und Noth.

O Werkstätte, still oder lärmend,
Bleib’ stets ein heiliger Raum!
Und träumt man in dir oft von Liebe,
Selbst heilig dann webe der Traum!




Der Fleischer war gekommen, hatte dreißig Thaler gezahlt und das Schwein fortgetrieben.

Das war gut, denn die junge Meisterin besaß nun Geld, – Reisegeld nach Braunschweig, wohin sie seit einigen Tagen theils auf dem Postwagen, theils auf der Eisenbahn sicher und wohlbehalten gelangt war. Neunzehn Stück Tuche hatte sie mit sich zur Messe geführt, – das eine Stück, an welchem der Gesell in jener Nacht so fleißig arbeitete, war noch dazugekommen.

Auch jetzt arbeitete der Gesell fleißig. Aber nicht hinter dem Webstuhle, – er schafft im Hause, säubert, legt Holz in den Ofen, läuft in die Apotheke mit den vom Arzte geschriebenen Recepten, – kommt wieder und setzt sich an’s Bett und gibt dem Kranken Medicin nach Vorschrift, wie’s auf der Flasche steht.

Der Kranke ist Meister Friedel. Kurz vor der Abreise seiner Frau traten in seiner Krankheit bedenkliche Zustände ein. Dieselben gingen nicht, wie der Arzt es hoffte, vorüber, sondern traten nach der Abreise der Meisterin weit drohender auf.

Gerade jetzt will der Husten den armen Meister wieder ersticken. Es ist gegen Abend, – der Arzt kommt. – Nach zehn Uhr kommt er noch einmal, verspricht auch, am nächsten Morgen schon zeitig da sein zu wollen, – und der Glogauer weicht nicht vom Bett seines Meisters. – Ehe aber der Morgen und der Arzt kommt, ist der Meister gestorben.

Nun stellen sich die Nachbarn und Verwandten ein und berathen, ob die Meisterin zurückzurufen sei oder ob das Meßgeschäft ungestört seinen Fortgang haben solle. Man beschließt das Letztere, – die Frau erfährt nichts von dem Tode des Mannes, – und der Todte wird begraben.

Treuer Gesell, was geht Alles durch Deine Seele, indem Du weinend hinter dem Sarge Deines Meisters gehst! – Durch Deine Thränen dämmert ein Hoffnungsstrahl, – – – hoffe nicht zu viel!

Nach dem Begräbniß stellt sich der Vater Augustens ein, der wohlhabende Gerber. Er meint, Du werdest nun nicht bleiben können, werdest das Haus verlassen, – und wenn Du Dich daher selbstständig machen wolltest, – wenn Du Neigung hättest für seine Tochter Auguste, – –

Du aber sprichst still: „nein, nein,“ – Du erröthest und schlägst die Augen nieder, – und der Gerber verläßt Dich.

Kaum ist dieser hinaus, da tritt der Briefträger in die Stube.

„Ein Brief aus Braunschweig an den Meister,“ erklärt er und übergibt dem Gesellen den Brief. „Da der Meister todt ist, werden Sie den Brief wohl lesen müssen, – er scheint ohnedies nur von der Frau Meisterin zu sein.“

Der Briefträger ging, – der Gesell erbrach den Brief und in demselben stand:

 Mein lieber, theurer Mann!
Vor allen Dingen möge es besser gehen mit Deiner Gesundheit. Das ist und bleibt ja die Hauptsache. Sei nur getrost, lieber Mann, und verzage nicht, wenn auch die Messe schlecht geht. Den guten Bernhard grüße herzlich und sage ihm, ich würde sogleich von hier aus mit den Tuchen nach Breslau gehen und an Herrn Wurm mich wenden. Dort wird uns schon Brod werden, lieber Mann, ich habe Hoffnung, und so sei recht heiter, wie ich es bin, da ich ja weiß, daß Bernhard bei Dir ist. Also über Breslau kommt zurück Deine treue
Lisette.“

„Treu, treu, beim Himmel, das bist Du!“ sprach der Gesell, indem er den Brief zusammenschlug und an sein Herz drückte. „Mit blutender Seele hast Du geschrieben, – und doch – wie, wie geschrieben!

„Also nicht verkauft, – und sie will selbst nach Breslau, will die Tuche sogleich mit dorthin nehmen –“

Er setzte sich an den Sortirtisch und sann. Nach wenigen Augenblicken sprach er weiter:

„Was könnte ich auch Besseres thun? Selbst bei der Todesnachricht, welche ich ihr dort geben muß, wird der Jude mir und ihr beistehen, – wird das Richtige rathen in Allem, was nun geschehen muß.“

Eine Verwandte des verstorbenen Meisters stellte er einstweilen für das Haus ein, – eine Hand voll Thaler, den früher ersparten Gesellenlohn, steckte er zu sich, – zwei Stunden später reiste er ab nach Breslau.

Wollen wir die Gespräche hören, welche er führt im Postwagen und auf der Eisenbahn? Er ist Neuling im Reisen, – spricht nur wenig mit Andern, viel mit seinem Herzen. – Die Andern aber sprachen von der schlechten Braunschweiger Messe, von der Krisis, von der geklemmten Gegenwart und von der gefährlichen Zukunft.




Am Abend des dritten Tages sehen wir den Gesellen an der Seite des Juden durch eine der Straßen Breslau’s kommen. Der Gesell hat dem Juden den Brief mitgetheilt, hat daran alles Weitere geknüpft, – sein ganzes Fühlen, Denken, Verhalten gegen die Meisterin. – Der Jude erkannte vollkommen nicht nur den Gemüthszustand des jungen Mannes, sondern auch die ganze Lage der Dinge. Er war theilnehmend, er versprach, zu rathen, zu helfen, Wolle zu geben auf neuen Credit, sobald durch eine Erklärung, daß der Meister insolvent gestorben sei, die Sachlage sich einigermaßen regulirt haben würde. Die Erklärung der Insolvenz hielt er jetzt, wenn irgend noch geholfen werden sollte, für unabweislich. – Und das war’s, was den jungen Menschen niederbeugte, – darum ging er so still, so blaß an den erleuchteten Häusern hin, – es schien ihm nicht möglich, daß er – daß sie auf solchem Grunde ein neues Glück bauen könne.

Jude und Gesell gelangten jetzt an den Bahnhof. Der Zug kam, – die Meisterin war nicht zu sehen, – so sicher und scharf der Blick des Gesellen auch suchte und musterte, so laut auch sein Herz dabei schlug: die junge Wittwe fehlte.

„Kann’s doch noch dauern einen Tag, zwei Tage, ehe sie kömmt,“ sprach der Jude lächelnd, „müssen uns gedulden, – für heute ist’s nichts, – wir wollen gehen auf ein Kaffeehaus, junger Freund.“

Weit lieber wäre der Gesell in sein Quartier gegangen, aber der Jude stellte ihm vor, es sei besser, auf ein Kaffeehaus zu gehen und sich dort zu zerstreuen, als unter Sorgen und Mißmuth im engen Quartier zu sitzen. So folgte denn Bernhard seinem Führer. Unter dem Leuchten der Gaslaternen durchschritten sie einige Straßen, – sie kamen auf das Kaffeehaus.

Der Anblick des großstädtischen Lebens, der ganze Eindruck, welchen der Gesell in diesen erleuchteten, bewegten Räumen gewann, stimmte ihn nicht heiterer. Er war froh, als der Jude, der sich häufig, aber still mit einem der Kellner unterhalten, schon nach einer Viertelstunde wieder zu ihm trat und zum Aufbruch winkte. Sie gingen.

Draußen im Vorsaal erklärte der Jude mit leiser Stimme, es werde hier wöchentlich einige Mal eine geheime Spielbank aufgeschlagen, – es treffe sich gut, heut sei sie gerade im Gange. Daran knüpfte er die Frage, ob der Gesell schon einmal an solch einer Bank gespielt habe, und als dies Bernhard verneinte, auch nicht Lust bezeigte, heute zu spielen, faßte der Jude ihn an der Hand und sprach:

„Warum wollen Sie’s nicht versuchen in Ihrer Lager? Können Sie doch haben Glück, können viel Geld gewinnen, – viel, so viel, daß es würde ausreichen zu Allem, auch zur glücklichen Heirath!“

Das durchzuckte den Gesellen, – er griff unwillkürlich in die Tasche, als wolle er die Zahl seiner wenigen Thaler prüfen. –

„Wird’s jetzt nicht passen, daß ich ausgleiche meine Schuld? Da fällt mir’s ein, daß ich noch habe Ihren Friedrichsd’or, lieber Glogauer, den Sie ehrlich verdienten auf dem Rathskeller,“ redete der Jude weiter, und hatte in demselben Augenblick schon die Brieftasche in der Hand, und hielt dem Glogauer den einpapierten Friedrichsd’or hin.

„Herr Wurm, o ich weiß nicht, lassen Sie das!“ rief heimlich, aber im Innersten bewegt, der Jüngling.

„Werd’ ich Sie zwingen, wenn Sie wollen!“ rief Jener. „Aber glauben Sie mir, lieber Glogauer, daß ich’s meinte sehr gut, – junge Leute haben oft Glück, – könnten Sie’s nicht auch haben?“

Er sah, daß der Gesell in einem Kampfe mit sich lag. Von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_499.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)