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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sind von dieser neuen goldenen Welt durch endlose Felsengebirge und Wüsten weiter geschieden, als die Chinesen und das neue Rußland am Amur gegenüber. Nur zwei Flüsse, der Atabaska südlich und der Friedensfluß im Norden des Fraser, treten mit vorgerückter Wasserscheide nahe genug an die westliche heran, daß von ihnen aus eine Verbindung mit dem ungeheueren Netzwerk von Flüssen und Seen der diesseitigen Partieen Amerika’s und des westlichen Goldflusses thunlich erscheinen mag. Die Engländer hoffen auch schon, daß sich drüben ein neues Großbritannien bilden werde, mächtig genug, um es mit den Vereinigten Staaten aufzunehmen, Aeußerungen, welche die stets gespannte Eifersucht Bruder Jonathan’s bitter aufstacheln.

Das neue amerikanische England an der Westseite rechnet vernünftiger Weise nicht so sehr auf das Gold, als auf die unerschöpflichen Kohlen und die Vortheile der Communication im Vergleich mit den westlichen und östlichen Vereinigten Staaten. Seitdem Californien hervortrat, haben die Amerikaner unablässig versucht, einen besseren Weg dahin zu finden, als über die Landenge von Panama, einen Landweg, eine Eisenbahn, und zu diesem Zweck unter den ungeheuersten Schwierigkeiten nicht weniger als vier Terrain-Vermessungen über die ganze wüstenvolle Breite vorgenommen. Bis jetzt scheint keine Eisenbahn möglich. Sie müßte durch wasser- und holzlose Wüsten von 80 bis 200 geographischen Meilen Breite, über Thäler und durch 4-10,000 Fuß hohe Felsenmassen gezwungen werden. Im nördlicheren, englischen Gebiete fallen diese Wüsten weg. Statt derselben eine reiche Communication zu Wasser und zuletzt nur ein verhältnißmäßig geringes Hinderniß durch eine blos 900 Fuß hohe Helsenmasse. Der Weg nach dem amerikanischen Westen auf englischem Gebiete bietet fruchtbare Prairien und den großen Saskatschewan-Fluß, der bis zu dem Fuße der großen Felsengebirge führt. Im „rothen Fluß“ hat sich schon eine englische Colonie mit Energie und Ausdauer festgesetzt, der Saskatschewan ist noch günstiger. Er tritt mit Nebenflüssen bis jenseits der Felsengebirge in die Nähe des Fraser hinauf. Eine monatliche Post geht und bereits von Callinwood am Huron-See nach dem Superior-See und den rothen Fluß hinauf. Eine Compagnie hat jetzt begonnen, diesen Wasserweg zu vervollkommnen, nöthigenfalls Eisenbahnen anzulegen. Man hat gefunden, daß die Verbindungen zu Wasser, durch eine 15 geographische Meilen lange Eisenbahn unterstützt, durch den rothen Fluß, den Winnipeg-See und den Saskatschewan bis in das Herz der[1] Felsengebirge führen werde. Dieser Wasserweg ist jetzt schon offen. Einige kleine Eisenbahnen kürzen ihn ab und können sofort den verschlossenen, goldenen Westen Amerika’s öffnen.

„Am Golde hängt, – Nach Golde drängt – Doch Alles,“

sagt Goethe . Mit einer solchen dämonischen Zugkraft drüben läßt sich gewiß bald der lange gesuchte Weg nach dem stillen Oceane und dessen Goldküsten und Goldkisten durchbrechen. Jetzt stürzen sich die Leute schaarenweise zu Wasser und zu Lande in Wildnisse und Gebirge hinein, wenn’s nur in der Richtung des neuen Gold-Paradieses ist, und kommen größtentheils unterwegs um, entweder vor Hunger und Erschöpfung oder durch wüthend gemachte kriegerische Indianer, welche ein allgemeines Blutbad unter den Goldfischern am Fraser vorbereiten sollen. Am leichtesten haben’s die Californier und Chinesen nach dem neuen Paradiese. Von China kann man in fünfundzwanzig Tagen herüberkommen, von St. Francisco in noch kürzerer Zeit. In der Hauptstadt des californischen Goldlandes war die Wuth am größten. In einem Schiffe, groß genug für 300 Passagiere, hatten sich am Ende Juni’s dieses Jahres 800 Personen zusammengedrängt. Alle Winkel und Wände, alle Taue und Mastkörbe wimmelten von Menschen, als es abfuhr. Im Hafen von Victoria, der Hauptstadt des Gold-Paradieses auf der Vancouvers-Insel, kam es leer an. Nur die Matrosen und ein paar Dutzend wankende Schatten lebten noch auf dem Schiffe, das mit 800 Passagieren von St. Francisco abgegangen war. Welch’ eine Seereise! Die noch Lebenden hatten einige Tage weiter nichts zu thun, als Todte oder Scheintodte in’s Wasser zu werfen. Einige dieser Todtengräber wurden dabei wahnsinnig, warfen ihre Leichen auf’s Deck und sprangen – sich mit ihnen verwechselnd – in den stillen Ocean hinunter. – Noch ehe diese Nachricht in San Francisco ankam, erlebte es einen andern Beweis von der „Macht des Goldes“. Ein Dampfschiff lag bereit, nach dem neuen Gold-Paradiese abzufahren. So wie dies bekannt ward, belagerten Hunderte stämmiger Kerle das Billet-Bureau, um Einer vor dem Andern das theuere Recht der Mitreise zu erkämpfen. Der Kampf ward bald zur wilden Schlägerei, so daß eine ganze Schaar Policemen herbeigeschafft werden mußte, um einige Ordnung herzustellen. Schrecklich klingen einzelne bekannt gewordene Nachrichten von Goldbesessenen, die den Weg zu Lande versuchten. Viele kamen vor Hunger und Erschöpfung um, Andere wurden von Indianern überfallen, todtgeschlagen und scalpirt. Die californischen Zeitungen sind voll davon, aber noch voller von der Unerschöpflichkeit des Goldes, das die Glücklichen dort finden, wo sie auch einhauen. Diese Gemälde auf Goldgrund bewältigen alle Contraste des Unglücks und Schreckens. Man setzt sein Leben ein, nur um goldselig zu werden. Eine andere Seligkeit kennt man, wie es scheint, in Amerika nicht mehr. Man hört und liest von Goldfischern, die nach acht Tagen mit einem Vermögen für’s ganze Leben zurückkehrten, obgleich dies, die Wahrheit der Angaben (z. B. 179 Unzen in einer Woche) vorausgesetzt, sehr auf Verkennung der Wirkungen schnell erworbenen und sich plötzlich anhäufenden Goldes beruht.

Die Ueberfluthung mit Gold hat stets eine doppelte Wirkung: eine persönlich-demoralisirende und eine volkswirthschaftliche. Der schnell reich gewordene Goldfischer wird nicht selten Säufer, Spieler, Lumpacivagabundus in allen Richtungen, so lange das Gold reicht, d. h. er ruinirt sich und seine nächste Umgebung eben so schnell, als er reich ward. Dann wird außerdem das Gold um so werthloser, je mehr es sich anhäuft, d. h. die Preise der Lebensmittel und sonstigen Realitäten steigen verhältnißmäßig. In Australien und Californien mußte zuweilen ein Sack voll Mehl mit beinahe eben so viel Gold aufgewogen werden. Mit Stiefeln und Kleidern war dies öfter ganz wörtlich der Fall. In der bisher ruhigen, kleinen Stadt Victoria auf der Vancouvers-Insel bezahlte man schon 30,000 Thaler für eine leere Baustelle zu einem einfachen Privathause. Es hat drei Mal so viel Einwohner, als es unter Dach bringen kann. Eine Schlafstelle unter einem Zelte, blos der bedeckte leere Platz, wird mit drei bis fünf Thaler für jede Nacht bezahlt. Noch vor drei Monaten wurde ein ganzer Morgen Landes bei Victoria für den Regierungs-Preis, ein Pfund Sterling, verkauft: jetzt kostet er in der Nähe 500 und weiter ab 300 Pfund. Dasselbe gilt verhältnißmäßig von allen realen Bedürfnissen, die auf diese Weise stets mit unbesiegbarer Macht gegen die scheinbare Allmacht des Goldes kämpfen und unfehlbar den Sieg behaupten, so daß Jeder, der arbeitet und producirt, statt in die Goldlotterie zu gehen, sich besser und sicherer steht, als der glücklichste Gewinner. Letztere müssen Ersteren ihre Goldhaufen bringen, um zu leben, oder sie sinken dahin, wie Fliegen im Frost. Dies scheint nach allen Erfahrungen in Australien Niemand zu begreifen, als die gelben, blauhosigen, schlitzäugig lächelnden Chinesen. Alles strampelt und scrampelt in dem dreigabeligen Fraser-Flusse in Löchern und Pfützen, zwischen Bergen und Wasserfällen obdachlos nach Gold umher, das reichlich genug im Wasser und an den Ufern liegt, aber oft fein wie Mehl, so daß es ungeheuere Mühe macht oder gar unmöglich wird, es aus Schlamm und Sand herauszusieben. Die Chinesen sind auch zahlreich gekommen, aber sie sehen gar nicht hin nach dem Golde: es kommt von selber zu ihnen. Wie fangen sie’s an? Sie handwerken,[2] kochen, braten, fischen Lebensmittel aus dem Meeresufer. Das Uebrige findet sich von selbst. Sie haben sich besonders auf eine scheinbar ganz kleinliche Fischerei gelegt, doch verstehen sie’s besser, was damit zu machen ist. Sie kratzen eine Art See-Schnecken aus den Meeresufern (von den Franzosen bèche de mer genannt), trocknen sie auf eine unbekannte Weise, verpacken sie und verkaufen sie an Liebhaber. Dies sind vor Allem die Chinesen selbst zu Hause, so daß alle Schiffe, die nach China zurückkehren, so viel, als sie bekommen können, für fast jeden Preis kaufen, weil die Gutschmecker in China wieder jeden Preis dafür zahlen. Diese getrockneten Seeschnecken werden aber auch in den bunten, wilden Goldgefilden der Fraser-Ufer eine täglich im Preise steigende Delicatesse, so daß das Gold von allen Seiten zu ihnen kömmt. Obgleich dies im neuen Paradiese schlechterdings überall umherliegen soll, ist es doch kein Kinderspiel, es aufzunehmen und davon zu leben. Lebensmittel steigen desto fabelhafter im Preise, je weiter sie in die Unwegsamkeit und Rohheit der Goldlager hineingeschafft werden. Die Crösus der Goldfischer leben, wie die Krebse, in Höhlen und Winkeln, stets mit gespannten Revolvers schlafend, aber nicht auf Daunen, sondern auf blanker Erde, wo sie sich früh aus dem Sacke Mehl, den sie mit schwerem

  1. Vorlage: Herzder
  2. Nicht das neue Goldland hat den gepriesenen goldenen Boden, sondern das ehrliche, alte Handwerk.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_546.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)