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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Erfinder mit einigen südamerikanischen Staaten in Unterhandlung, denn auch diese haben erkannt, wie wichtig solche eigenthümliche Dampfwagen, die ihre Eisenbahn bei sich führen, z. B. in den Pampas sein würden. Sie werden da die Anlegung von Eisenbahnen unnöthig machen und doch der Gegend den Vortheil derselben gewähren. Dasselbe gilt von dem westlichen Theile der Vereinigten Staaten, in denen die Anlegung von Eisenbahnen des geringen Verkehrs wegen bedenklich ist, die Beförderung der Waaren u. s. w. aber auf den gewöhnlichen Ochsenwagen dem wachsenden Bedürfnisse nicht entspricht. Aber auch in unserer Nähe dürften sich Gegenden finden, in denen diese neue Zugmaschine mit großem Vortheile die noch mangelnden Eisenbahnen vertreten würde, z. B. in Ungarn, in den Donaufürstenthümern u. s. w., überhaupt in dünn bevölkerten Strichen, wo Eisenbahnen noch nicht rentiren, raschere und wohlfeilere Transportmittel aber nothwendig und wünschenswerth sind.




Vergilbte Blätter.
Von Carl von Wehrs.

Es ist immer ein eigenthümlich, gleichsam wie zur Andacht stimmendes Gefühl für mich gewesen, wenn ich durch das Lesen alter Briefschaften oder Papiere, die die Schriftzüge der längst dahingeschiedenen Theueren trugen, in die Vergangenheit mich versetzt denken konnte; und stets habe ich nur mit einer gewissen ehrfurchtsvollen Scheu dieselben in die Hand nehmen können, einer Scheu, etwa ähnlich der, die uns beschleicht, wenn wir ein Gotteshaus betreten. – Denn tritt nicht in solchen Hinterlassenschaften der Geist der Verstorbenen näher zu uns heran? Ist’s dann nicht oft, als wenn der Odem der Verklärten unsere heiße Stirne kühlte? und fühlen wir’s nicht bisweilen dann wie den Druck ihrer Hand, die sich auf unser schneller und aufgeregt schlagendes Herz beruhigend zu legen scheint? – – Wenigstens geht’s mir wohl so und auch noch kürzlich passirte mir’s, als ich in einigen der vielen von meinem Großvater nachgelassenen Papiere blätterte.

Mein Großvater hatte im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in Göttingen studirt und dort dem Kreise jener jungen Männer angehört, deren Wirken und Streben hauptsächlich dahin zielte, unserer deutschen Literatur eine nationale Selbstständigkeit, unserer Muttersprache aber mehr Reinheit und Reichthum zu verschaffen. Dieses Ziel in der Hauptsache durch eigene Schöpfungen zu erreichen suchend, verwarfen sie deshalb nicht die Erzeugnisse des Alterthums und die neueren Muster des Auslandes, unter welchen letztern sie vorzüglich den Engländern ihre Anerkennung zollten. Ihre schöne Vereinigung, die sich unter dem Namen des Göttinger Dichtervereins oder des Hainbundes einen anerkannten Ruf und wirkende Bedeutung in unserer deutschen Literatur erworben hat, wurde im Jahre 1772 gestiftet; Klopstock war ihr Panier, der, gegen die sogenannte französisch-schlesische Schule auftretend, denselben Kampf kämpfte, dem ihre jungen, begeisterten Herzen entgegenschlugen!

– – – Also ich blätterte – ich darf mich wohl so ausdrücken – ich blätterte andächtig in den alten Papieren und, indem ich auch nach einem Album griff, stieß ich auf gar manchen Gedenkspruch, der als Unterschrift den Namen eines Dichtern jener Epoche trug, – und gerade das gab die Veranlassung zur Niederschreibung und Veröffentlichung dieser Zeilen. – So fand ich gleich auf einer der ersten Seiten folgende mit kräftiger Hand geschriebenen Worte:

     „Sich nicht rächen, auch da nicht, wo Rache Gerechtigkeit wäre,
     Das ist edel! Erhaben ist’s den Beleidiger lieben!
     Ihn mit geheimem Wohlthun im Elend erquicken, ist himmlisch!
 Klopstock.
Hiermit, mein liebster Wehrs, empfiehlt sich Ihrem freundschaftlichen
Herzen G. A. Bürger, Göttingen, den 26. Sept. 1777.“

Das sind nun 80. Jahre, die seit dem Schreiben der Zeilen verflossen; über 60. Jahre, seitdem Gottfried August Bürger ausgekämpft und ausgelitten hat all’ das bittere Herzeleid und Weh’, an dem sein Leben so überreich war! Doch sein Name wird durch seine Gedichte fortleben im Munde des deutschen Volkes, dessen Eigenthum sie schon zu Lebzeiten des Dichters geworden; hätte Bürger nur seine „Lenore“ gedichtet, sie würde hingereicht haben, ihm die Unsterblichkeit zu sichern! – Wer aber, wenn er unseres Dichters gedenkt, wird nicht unwillkürlich erinnert an seine unglückselige, romanhaft klingende dritte Ehe mit jenem schwäbischen Mädchen aus Stuttgart – Elise Hahn – die ihm in einem Gedichte Herz und Hand angetragen hatte? – Eine Ehe, voll des grenzenlosesten Leides für Bürger, die nach sechzehnmonatlicher Pein wieder getrennt werden mußte.

Vielleicht ist nur wenigen Lesern das betreffende Gedicht bekannt geworden, und da ich dasselbe gerade unter einem Pack Briefe, die an meinen Großvater gerichtet waren, gefunden habe, glaube ich, dasselbe hier folgen lassen zu dürfen. – Der Brief ist im Jahre 1792 von dem nachmals so berühmt gewordenen Astronomen Harling[WS 1] geschrieben, dem Entdecker der Planeten Ceres, Pallas und Juno, der, sich anfänglich in Göttingen der Theologie widmend, später im näheren Umgange mit Lichtenberg seinen alten Hang zu den Naturwissenschaften und der Astronomie neu erwachen fühlend, sich diesen Fächern wieder zuwandte und als Professor dieser Wissenschaften den 31. August 1834 zu Göttingen starb – und lautet derselbe seinem ganzen auf diese Sache Bezug habenden Inhalte nach:

„– – Wir sprachen auch kürzlich von dem gekrönten Dichter Bürger; Sie hatten das Lied seines Schwabenmädchens an ihn nicht gelesen; hier ist es:

O Bürger! Bürger! edler Mann,
Der Lieder singt, wie Niemand kann
Vom Rhein an bis zum Belt.
Vergebens berg’ ich das Gefühl,
Das mir bei Deinem Harfenspiel
Den Busen schwellt!

Mein Auge sah von Dir sonst Nichts,
Als nur die Abschrift des Gesichts;
Und dennoch lieb’ ich Dich. –
Und Deine Seele fromm und gut
Und Deiner Lieder Kraft und Muth
Entzücken mich!

So füllt’ im ganzen Musenhain
Von allen Sängern groß und klein
Noch keiner mir die Brust!
Sie wogt empor wie Fluth der See,
Es kämpfen stürmend Leid und Weh
Und Weh und Lust!

An Wonne, wie an Thränen reich,
Rief ich, wie oft – o! herzen gleich
Und küssen möcht’ ich Dich!
So wechselte, wie Dein Gesang,
In mir der Hochgefühle Drang,
Dem Alles wich.

O Bürger! Bürger! süßer Mann,
Der Ohr und Herz bezaubern kann
Mit Schmeichelwort und Sinn;
Mein Loblied ehrt Dich freilich nicht,
Doch höre, was mein Herz Dir spricht
Und wer ich bin.

In Schwaben blüht am Neckarstrand
Ein schönes, segensreiches Land,
Das mich an’s Licht gebar;
Ein Land worin seit grauer Zeit
Die alte deutsche Redlichkeit
Zu hause war.

Da wuchs ich wohlbehalten auf
Und meines reinen Lebens Lauf
Maß zwanzigmal das Jahr.
Zu Grabe sank mein Vater früh;
Kaum ließ mir noch der Himmel die,
Die mich gebar.

Schon wankend an des Grabes Rand,
Ergriff sie des Erbarmers Hand
Und gab sie mir zurück.
Sie bildete mit weiser Müh’,
Was Gutes mir Natur verlieh,
Zu meinem Glück.

Bei heiterm Geist, bei frohem Muth
Ward mit ein Herz, das fromm und gut –
Von Gott zu sein bescheert.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist Karl Ludwig Harding (1765–1834)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_594.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)