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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„deutschen Minerva“ keine leere Schmeichelei war. König Friedrich hat seine Freundin und Verehrerin zwei Mal in Gotha besucht, beide Male während des siebenjährigen Kriegs, 1757 und 1762. Der erste dieser Besuche ist mit eigenthümlichen Umständen verknüpft. Bei dem bekannten Ausbruch des Krieges, dem Einfalle Friedrich’s in Sachsen, war man in Wien ungehalten auf den gothaischen Hof, weil derselbe ein Bündniß mit England abgeschlossen (die Prinzessin von Wales, Auguste, Mutter des Königs Georg III., war die Schwester des Herzogs Friedrich III. von Gotha und Altenburg) und sich Preußen geneigt gezeigt hatte. Der Kaiserin Marie Theresie war die Verehrung der Herzogin Louise Dorothee für König Friedrich bekannt und sie war derselben deshalb nicht gnädig gesinnt. Nicht ohne Besorgniß erfuhr man in Gotha, daß das kleine Land ausersehen sei, den Vereinigungspunkt der französischen und der Reichsarmee zu bilden. Ein französisches Corps fiel im August unvermuthet im Herzogthum ein und verlangte unter dem Vorgeben, als habe der Herzog seine Verpflichtung als Reichsfürst nicht erfüllt, eine große Contribution, die inzwischen nie bezahlt wurde.

Am 21. August kam das französische Hauptheer nach Gotha, Tags darauf sein Befehlshaber, der feine und liebenswürdige Prinz Soubise, der Günstling der Frau von Pompadour. Die Reichsarmee unter dem Prinzen von Hildburghausen bezog wenige Tage später ein Lager zwischen Arnstadt und Ichtershausen. Prinz Soubise begab sich am 25. August mit seinem Generalstabe nach Erfurt, wo die Vereinigung mit der Reichsarmee stattfinden sollte; täglich gingen französische Durchmärsche durch Gotha. Plötzlich erfuhr man das Heranrücken der preußischen Armee unter dem König. Die Reichsarmee zog sich erschreckt durch das gothaische Land nach Eisenach zurück. Die ganze französische Armee warf sich von Weimar und Erfurt zurück nach Gotha. Die Preußen kamen heran; es schien, als sollte es hier zu einer entscheidenden Schlacht kommen. Aber die französische Armee zog am 13. September nach Eisenach. Dafür rückten österreichische Truppen in Gotha ein. Am 15. September früh zeigten sich plötzlich preußische Dragoner in der östlichen Umgebung der Stadt, es kam zu einem kleinen Scharmützel, die Oesterreicher und was noch von Franzosen da war, zogen sich eilig über die westlichen Höhen nach Eisenach zu. Prinz Soubise, vom Zauber des gothaischen Hofes zurückgehalten, soll mit Mühe in der weißen Jacke und Küchenschürze eines französischen Kochs entkommen sein.

Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, der König sei selbst da und reite bereits in die Stadt. Der Zulauf und Jubel der Bevölkerung war ungeheuer. Gegen 3 Uhr kam der gefeierte Held mit seinen Generalen auf Schloß Friedenstein an, wo er von der herzoglichen Familie im Hofe empfangen wurde. Dem Herzog bezeigte der König auf freundliche, verbindliche Weise seine Theilnahme an der beängstigenden Lage, in welcher er sich befinde, der Herzogin eine Hochachtung und Aufmerksamkeit, welche selbst seine Umgebung in Erstaunen setzte. Er führte sie zur Tafel, an welcher seine Generale mit der herzoglichen Familie und auf des Königs ausdrücklichen Wunsch Frau von Buchwald, „seine alte, gute Freundin“, wie er sie nannte, Platz nahmen, und welche bereits für die österreichischen und französischen Officiere servirt war. So ereignete sich das komische Qui-pro-quo, daß für die Oesterreicher gekocht und gedeckt war und die Preußen speisten. Nach der Tafel küßte der König der Herzogin sogar die Hand, bei ihm etwas Unerhörtes, und empfahl sich wieder. Er ritt nach Erfurt zu und übernachtete im Dorfe Gamstedt.

Beim zweiten Besuch hatte der König die schweren Schläge des Jahres 1761 überstanden. Die Welt hatte ihn für verloren gehalten, aber wider Aller Erwarten war im Laufe des Jahres 1762 sein Stern glänzender, als je, aufgeflammt. Nach der Niederlage der Oesterreicher durch den Prinzen Heinrich, Bruder des Königs, bei Freiberg am 29. October, wurde ein Waffenstillstand abgeschlossen, der Husarengeneral von Kleist züchtigte mit 1000 Mann überraschend schnell die noch widerspenstigen Reichsstände, Frankreich schloß mit England Friede; die Waffen ruhten überall. Da gedachte der große König die Muße zu einem zweiten Besuche bei seiner verehrten Freundin in Gotha, mit welcher er selbst während des Krieges in lebhaftem Briefwechsel gestanden hatte, zu benutzen. Am 3. December langte er mit dem Prinzen Heinrich in einem mit acht Pferden bespannten Wagen an, auf das Ehrenvollste empfangen. Als er aus seinen Zimmern zur Tafel abgeholt wurde, erschien er zum Erstaunen seiner Umgebung in Schuhen und seidenen Strümpfen. Seit dem Kriege hatte man ihn nicht in solchem Costüme gesehen. Mit ungemeiner Galanterie führte er die Herzogin unter den für ihn selbst bestimmten Baldachin und nahm neben ihr Platz. Er sprach und lachte während der Tafel ungewöhnlich viel und fühlte sich dem Anscheine nach sehr wohl. Nach der Tafel begleitete der König die Herzogin auf ihr Zimmer, wo er, die herzogliche Familie, Prinz Heinrich und die Frau von Buchwald (sie gehörte also ganz zum fürstlichen Hause) sich ohne Zeugen unterhielten. Aufflackernd vor Entzücken über die geistreichen Dinge, die der König sprach, rief die Oberhofmeisterin plötzlich: „Ach, welcher Mann! Ich muß mich vor ihm beugen.“ Der König versetzte lächelnd: „Nein, Madame, es ist an mir, vor Ihnen auf die Kniee zu fallen und ich sterbe vor Vergnügen. Aber ich tauge nichts zu Scenen großer Leidenschaften.“

Um 11 Uhr entfernte sich der König, um auf seinem mitgebrachten Feldbette zu ruhen. Am folgenden Morgen musicirte er auf der Flöte, nahm dann Abschied von der fürstlichen Familie und fuhr um 7 Uhr früh, begleitet von einem starken Commando, über Langensalza und Freiburg nach Leipzig zurück, wo er sein Winterquartier nahm.

Es ist auffallend, daß die herzogliche Familie diese Besuche später nicht erwiderte. Niemals ist Louise Dorothee nach Berlin gekommen. Vielleicht hielt sie zunehmende Kränklichkeit davon ab. So scheinen sich auch die Herzogin und die ihr ähnliche (nur milder war Louise Dorothee) und mit ihr im gleichen Alter stehende Markgräfin von Bayreuth nicht persönlich gekannt zu haben, obgleich der von der Herzogin gestiftete Orden der lustigen Einsiedler auf dem Lustschlosse Friedrichswerth eine Nachahmung des Einsiedlerordens auf der Eremitage bei Bayreuth war. – [1]

Die französischen hohen Officiere, welche während des Kriegs Gäste auf Schloß Friedenstein waren, zeigten sich nicht minder entzückt von den Eigenschaften der Herzogin. Prinz Soubise, Graf Lugnac, Graf Scey und Andere überboten einander in Lobeserhebungen und Artigkeiten; sie nannten Gotha das zweite Versailles. Ein Marquis de Custine, welcher bei Roßbach drei Säbelhiebe in den Kopf erhalten hatte, an welchen er sterben mußte, begann im heftigen Wundfieber einen sehr drolligen Brief in Versen an die vergötterte Herzogin, den zu vollenden ihm der Tod verwehrte.

Im Anfange ihres Wirkens als Herzogin hatte Louise Dorothee eine eigenthümliche Stellung zu ihrem der bissigsten Orthodoxie ergebenen Hofprediger, Kirchenrath Cyprian, der sich wohl gern den lutherischen Papst nennen hörte. Er donnerte in der Schloßkirche ihr sein Verdammungsurtheil ihrer philosophischen Richtung in die Ohren, ja er ging einst so weit, zum Thema einer Predigt den Satz aufzustellen: Alles Uebel kommt uns aus Meinungen. (Die Doppelsinnigkeit entspringt aus der damals mehr gebräuchlichen Form Meinungen für Meiningen.) Sie urtheilte mild über den Zionswächtereifer des Mannes, und unterwarf sich allen kirchlichen Formen. Im Beichtstuhl redete er sie einst ebenso pathetisch als abgeschmackt an: „Durchlauchtigste gnädigste Herzogin! Große, große, erhabene Sünderin!“ Auf dem Rückwege nach ihren Gemächern lächelte der sie begleitende Page. „Er hat gewiß gehorcht?“ fragte ihn die Fürstin. „Je nun, der Mann meint es doch gut.“

Als Zinzendorf, dessen religiöse Richtung von der ihrigen so himmelweit verschieden war, aus seinem Vaterlande vertrieben, sie bat, mit seinen Glaubensgenossen eine Synode in Gotha halten zu dürfen, wurde ihm vom Herzog auf ihren Betrieb gegen Cyprians und des Oberconsistoriums Willen, die Erlaubniß dazu ertheilt. Ihrem Einfluß war es zuzuschreiben, daß der Versuch, eine Herrnhutercolonie in Neudietendorf zu errichten, endlich doch nicht

  1. Wie ich im Jahrgang 1856 der Gartenlaube das Bild der berühmten Markgräfin in der Ordenstracht der Einsiedler gab, so führe ich heute das Bild ihrer Geistesverwandten, der Herzogin von Gotha, ebenfalls in der Ordenstracht der lustigen Einsiedler von Friedrichswerth, deren Priorin sie war, vor. Das Original befindet sich in köstlicher Farbenfrische im sogenannten Damenzimmer des Schlosses zu Molsdorf, diesem einst so berühmten Lustsitze des Grafen Gotter. Ich werde diesen merkwürdigen Mann und sein Schloß in einem spätern Artikel besprechen, eben so werde ich interessante Mittheilungen über Friedrichswerth und die lustigen Einsiedler machen, obgleich sie von einer andern, aber mit den Verhältnissen nicht genau bekannten Feder in diesem Blatte schon kurz abgehandelt worden sind. Die Herzogin trägt den bebänderten Schäferstab und an der Busenschleife die bedeutungsvolle Ordensdevise: Vive la joie! welche auch in den vier Deckenecken des großen Saales zu Molsdorf en relief mit goldenen Lettern prangt. – Von Frau von Buchwald habe ich leider kein Bild weiter auftreiben können, als das nach einer von Fr. Wilh. Döll gearbeiten Marmorbüste, die sie als hohe, ehrwürdige Greisin darstellt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_606.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)