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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Dampfers nicht erreichen konnte, und sich deshalb nach dem Vordertheil desselben begab, bemerkt unter Anderem, daß er den ersten Ingenieur von Morgenstern in den Raum hinabsteigen sah, um die Maschine zum Stehen zu bringen. Er sah ihn nicht wieder, und die Maschine arbeitete fort. Daraus zieht er den Schluß, daß der Genannte zugleich mit allen andern bei der Maschine Beschäftigten seinen Tod alsbald im Raume gefunden haben dürfte. Von den Feuerleuten wurden Einzelne anfangs wohl nur verschüttet, denn einige Passagiere, die sich durch Schwimmen retteten, erzählten später, daß sie in den untersten Luken, unmittelbar über dem Wasserspiegel, verzerrte menschliche Gesichter sahen. Wahrscheinlich suchten diese Unglücklichen, über deren Köpfen die Flammen rasten, einen Ausgang zu erzwingen, ohne doch ihren Zweck erreichen zu können. Herr Glaubensklee wurde von einem Matrosen aufgefordert, ihm beim Abschneiden des Klüversegels zu helfen, um dies mit Wasser zu tränken und dadurch das Fortschreiten der Flammen wo möglich aufzuhalten. Leider verstanden die Umstehenden ihre Absicht nicht, sie warfen das Segel über Bord, und hatten nicht einmal ein Tau daran befestigt. Nach diesem mißlungenen Versuche, dem Feuer zu begegnen, suchte Glaubensklee mit demselben Matrosen nach Material, um ein Floß zu bauen, allein sie fanden gar nichts, da das Vordertheil der „Austria" ganz von Eisen war. Als die Flammen etwa drei Viertelstunden gewüthet hatten, stürzte zuerst der Fockmast über Bord, dem alsbald der Mittelmast folgte. Der Besahnmast stand etwas länger. Die ersten beiden Mäste fielen über die Steuerbordseite in die See. Als der Mittelmast fiel, glaubten Viele, der Kessel sei explodirt, weil eine große Menge Dampf in der Nähe des Schornsteins aufstieg. Das Schiff wendete sich von Südwest nach Nord und die Maschine stand still. Durch diese Wendung des führerlosen Schiffes verschlimmerte sich die Lage der auf dem Vordercastell Befindlichen in schrecklicher Weise. Die Flammen loderten jetzt über das ganze Schiff fort, und wer nicht lebendig verbrennen wollte, mußte sich auf das Bugspriet und die daran hängenden Ketten flüchten, die alsbald mit Menschen völlig übersäet waren. Die weniger Glücklichen stürzten sich aus freiem Antriebe in den Ocean oder wurden von Andern, die den Flammen zu enteilen suchten, über Bord gedrängt. An einer dieser Ketten hielt sich auch Herr Glaubensklee, indem er sich festklammerte an der Gallion der „Austria", dem zweiköpfigen Adler. Hier fand er als Leidensgefährten auf derselben Kette Herrn Palicrusca, den Schiffsarzt, einen Matrosen und einen Aufwärter, Namens Henry, die sich gegenseitig die von den Flammen ergriffenen Kleider löschten. Diese fünf Männer waren hier mehrere Stunden lang Zeugen der schrecklichsten Todeskämpfe, ohne doch helfen zu können? Der Vorsicht halber, und um besser schwimmen zu können, wenn er genöthigt sein würde, in's Meer zu springen, warf Glaubensklee Rock und Stiefeln ab, und verkürzte seine Beinkleider bis zum Knie. Näher, aber nur langsam, kam die französische Bark, das einzige Segel, das von drei in Sicht befindlichen dem brennenden Schiffe zusteuerte. Allein ehe dasselbe die „Austria" noch erreichte, mußten Hunderte den Todessprung in die Wogen thun, wollten sie an Bord des nun ganz von Flammen bedeckten Schiffes nicht verbrennen. Das Geschrei der Verzweifelnden und Ertrinkenden, das Gestöhn der Erstickenden war herzzerreißend und über alle Beschreibung entsetzlich. In's Meer stürzende Frauen trieben gewöhnlich, von ihren Kleidern über Wasser gehalten, eine Zeit lang umher, ehe sie jammernd für immer in die Tiefe sanken.

Volle drei Stunden hatten diejenigen, welche, durch ihre körperlichen Kräfte und die Erreichung eines den verheerenden Flammen weniger ausgesetzten Platzes begünstigt, den Tod ihrer Mitleidenden überlebten, unter den entsetzlichsten Qualen ausgeharrt. Da endlich nahte sich Rettung, leider nicht für alle noch Lebende, sondern nur für Wenige. Das erwähnte französische Schiff, die Bark „Maurice", Capitain Renaud, von Newfoundland kommend, schickte seine beiden Boote dem brennenden Dampfer zu Hülfe. Vier Mal legten beide Fahrzeuge den Weg von der Bark nach der „Austria" und von dieser zu jener wieder zurück. Auf dieser viermaligen Fahrt aber konnten die zu Hülfe Eilenden doch nur 45 Passagiere, die meistentheils an den Ketten des Bugspriets hingen, retten. Einzelne wurden, auf Wracktrümmern schwimmend, im leichenbedeckten Meere aufgefischt. Dies Rettungswerk dauerte bis zu völligem Einbruche der Nacht, wo man es, der Finsterniß wegen und weil die See unruhig ward, einstellen mußte. Zwischen acht und neun Uhr erreichte auch das einzige eiserne Boot der „Austria", das von den acht vorhandenen nicht verloren gegangen war, unter Führung des ersten Officiers des verunglückten Schiffes die französische Bark. Zwanzig darin Befindliche fanden an Bord der Bark die freundlichste Aufnahme, die an ihren Wunden Leidenden oder von langem Herumtreiben auf dem Meere Halbbewußtlosen Seitens des Capitains und der Mannschaft die menschenfreundlichste Pflege. Man versah sie mit Kleidern, reichte ihnen stärkende Nahrung, und der Capitain verband eigenhändig die vielen Brandwunden, mit denen Einzelne fast ganz bedeckt waren.

Nur 67 Personen von 542, welche die „Austria" barg, fanden sich auf der Bark „Maurice" am Spätabend des fürchterlichen Tages wieder zusammen. Zehn von diesen gehörten der Mannschaft des unglücklichen Schiffes an, darunter die drei ersten Officiere. Die „Austria" brannte die ganze Nacht fort im Angesicht der Bark und die rollenden Wogen des atlantischen Oceans spiegelten das fürchterliche Schauspiel wieder. Am Morgen des 14. September wollte der brave Capitain Renaud das durch die Nacht unterbrochene Rettungsgeschäft fortsetzen, es befand sich aber bereits eine norwegische Bark in unmittelbarer Nähe des glühenden Wracks, deren Boote dasselbe umkreisten. Durch das Fernrohr war nirgends an dem Rumpfe des verbrannten Schiffes ein lebendes Wesen mehr zu sehen. In einem Boote der norwegischen Bark bemerkte der Capitain des französischen Schiffes einige Personen und nahm an, daß es noch glücklich Gerettete sein möchten. Die Entfernung beider Segelschiffe von einander war zu groß, als daß sich die Führer derselben hätten sprechen können. Später aus Quebec nach Europa und Hamburg gekommene Nachrichten haben die erfreuliche Botschaft gebracht, daß jene Bark „Catharina" hieß und noch so glücklich war, 16 Passagiere des unglücklichen Schiffes und 6 von der Mannschaft zu bergen. In welchem Zustande jene Unglücklichen sich befanden, die eine ewig lange Nacht, an Ketten und Tauen der glühenden „Austria" hängend, verbrachten und diese fürchterliche Nacht überlebten, darüber sind uns bereits durch amerikanische Blätter einige Berichte zugekommen. Wir lassen diese, sowie einige Briefe Geretteter, soweit dieselben der Oeffentlichkeit übergeben worden sind, hier folgen.

Am 14. September Morgens zwei Uhr trieb das in Flammen

gehüllte Wrack der „Austria" nach den Angaben des Capitains Tunnemark, welcher die norwegische Bark befehligte, auf 44° 40´ N. B. und 41° 39' westlicher Länge (von Greenwich). Die Aussagen der etwa früh zwischen vier und fünf Uhr Geretteten geben an, daß die Dampfpumpe, welche mit der Maschine in Verbindung steht, nicht so in Ordnung gewesen sei, daß sie sofort hätte in Thätigkeit gesetzt werden können. Wir müssen jedoch hierbei bemerken, daß auf diese Aussagen kein großes Gewicht zu legen ist, indem in jenen Augenblicken entsetzlichster Aufregung und grenzenloser Bestürzung selbst den intelligentesten Passagieren schwerlich so viel Zeit übrig blieb, um ein vollkommen zutreffendes Urtheil fällen zu können über die Maßregeln, welche man ergriff, um das Feuer zu bewältigen. Viel wahrscheinlicher ist die bereits erwähnte Angabe der geretteten Passagiere, die auch mit anderen Aussagen übereinstimmt, daß die Pumpen versagten, weil das Feuer sie gleich im Anfange unbrauchbar machte. Die Rettungsboote — heißt es in den Aussagen der zu Quebec gelandeten Passagiere weiter — hingen in der Mitte des Schiffes, weshalb es unmöglich war, zu allen derselben zu gelangen. Eins derselben wurde, überfüllt mit Menschen, herabgelassen, schlug jedoch um, weil eine Menge Leute, die schon über Bord gesprungen waren, sich an dasselbe anzuklammern suchten. Das Herablassen eines anderen Bootes nahm, vermuthlich wegen des ungestümen Andrängens der geängstigten Passagiere, so viel Zeit in Anspruch, daß die darin befindlichen Menschen herausspringen mußten, um den Flammen zu entgehen. Eine große Menge Passagiere suchten sich zu retten, indem sie sich an die vom Vorderdeck herabhängenden Taue und Ketten anklammerten, allein allmählich wurden sie von den immer weiter um sich greifenden Flammen gezwungen, loszulassen und in den Ocean zu springen. Von denen, die auf dem Bugspriet, dem letzten Zufluchtsorte vor den Flammen, oft drei bis vier Personen über einander lagen, hielt es zuletzt nur ein einziger Mann aus, der auf dem äußersten Ende desselben saß. Achtzehn Personen hingen bis Morgens 4 Uhr an der Kette des Bugspriets. Nur dadurch, daß ein kühner Matrose von dieser Kette auf das bereits brennende Bugspriet kletterte und Geistesgegenwart genug besaß, seine Leidensgefährten zu ermahnen, ihre Kleider auszuziehen, diese in’s Meer zu tauchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_645.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)