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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

fühlte, so empfand sie doch in der Länge der Zeit einen kleinen Groll über die phlegmatische Ruhe, womit er sich immer wieder dem Fegefeuer solcher Kampfscenen überantwortete. Es hätte ihm doch nur ein festes Manneswort gekostet, um sie von dieser Pein zu befreien – daß er mit seinem Benehmen die Absicht verbinden könnte, sie erst gänzlich von der Einwirkung mütterlicher Principien frei zu machen, um sie dann mit unauflöslichen Banden an sich zu ketten. davon ahnte ihre sorglose Kindesseele nichts.

Die Scenen des Kampfes vermehrten sich aber nach und nach. Es schien gewaltsam eine Entscheidung zu Gunsten des Lieutenants herbeigeführt werden zu sollen und die sonderbaren Irrthümern hingegebene Mutter nahm selbst zu Thränen ihre Zuflucht.

Hermine wurde stiller. Sie schwankte vielleicht nicht, aber sie ermattete im Widerstande. Indem sie erwog, daß der „Jemand“, dem sie ganz willenlos die ersten leidenschaftlichen Regungen ihres jungen Herzens geweiht hatte, unerreichbar für sie war, hob sie die guten Eigenschaften des Mannes, der sich edelsinnig einer directen Bestürmung ihres Herzens enthielt, hervor und prüfte resignirt, ob es wohl nicht am gerathensten sein könne, eine Steigerung ihrer Herzenswärme, die von ihrer erfahrenen Mama in Aussicht gestellt worden war, zu versuchen. „Nur zu versuchen,“ dachte sie in der Sicherheit der Jugend, die sich Titanenkräfte in Herzenskämpfen zutraut und oft dem ersten Angriffe der Eitelkeit erliegt.

Der Einfluß des bürgerlichen und socialen Lebens in einer Stadt, wie Blauberg, ist weit eingreifender, als man anzunehmen gewohnt ist. Die allgemeine Beachtung der jungen Männerwelt ist nicht zu entbehren – das Flüstern guter Freundinnen und ihr unberufenes Lächeln ist nicht zu ertragen – die Sehnsucht nach dem weltlichen Throne befriedigter Eitelkeit ist nicht zu überwinden! Hermine vermochte sich nicht mit eigener Willensstärke über den Einwirkungen des Geselligkeitsstromes zu erhalten.

Der Enthusiasmus für den „Jemand“ begann zu verrauchen. Sie erlaubte es sich schon, den „Jemand“ zu tadeln, daß er seinen jungen Freunden, laut genug, um es in der Gesellschaft überall zu hören, Urtheile über ihre Mutter und über sie mitgetheilt hatte. Zwar wollte der bewundernde Blick seiner schönen dunkeln Augen, den er, auffallend bewegt, immer wieder auf sie heftete, als er, freilich zu spät, erfahren hatte, wer seine Nachbarin sei, seinen bezaubernden Einfluß wieder geltend machen, zwar wollte die sichtliche Huldigung, die in seinem ganzen Wesen sich ausprägte, wieder verführerisch ihre Seele umgarnen; aber – es stand ein Ball bevor, wo sie als Königin der Saison zu glänzen hoffen konnte, ein Ball, der schon im Vorgeschmack ihre Seele zu berauschen fähig war. Sie gab zuerst nur den Befehlen der Mama nach und erklärte sich bereit, diesent Ball unter der Bedingung besuchen zu wollen, wenn der Herr Lieutenant von Fahrenhorst seine heiße Liebe für sie dadurch bewiese, daß er sich ganz kalt gegen sie benähme.

„Albernes Verlangen!“ tadelte die Räthin, im Innern seelenvergnügt über die Modification der töchterlichen Härte und Consequenz. „Heißt das: er soll nicht mit Dir tanzen? Nun,“ fuhr sie fort, als Hermine, von ihren eigenen Stricken gefangen, mit der Antwort zögerte, „nun, so wirst Du unausbleiblich in der Polonaise sitzen bleiben, denn bei der überall anerkannten Bewerbung des Herrn von Fahrenhorst wird es Niemand wagen, ihm den Vorrang abzulaufen.“

Hermine hing das Köpfchen.

Wie? In der Polonaise sitzen bleiben, nachdem sie davon phantasirt hatte, den Ball zu eröffnen? Dieser Gedanke war doch nicht zu ertragen!

Was schadete es denn, wenn sie mit Herrn von Fahrenhorst den Ball eröffnete?

Keck hob sie das gesenkte Köpfchen wieder auf.

„Gut, Herr von Fahrenhorst mag die Erlaubniß haben, mich zur Polonaise zu engagiren,“ entschied sie kurz und ihre Wangen bedeckten sich mit tiefem Rothe.

Die Räthin hielt dies nicht für bedeutungsolos.

„Und den Cotillon?“ fragte sie neckend.

„Den tanze ich gar nicht,“ fiel Hermine hastig ein.

„Unsinn, Kind, Unsinn!“ rief die Räthin. „Du tanzest den Cotillon mit Bruno, und so wahr ich lebe, Du wirst ihn gern mit Bruno tanzen, denn ihr werdet unbestritten das schönste Paar abgeben!“

Hermine sah nachdenklich vor sich nieder. Diese Bemerkung enthielt das Zauberwort, das die kleinen und großen Geister der Eitelkeit aus den Schlupftwinkeln ihres Innern wieder hervortrieb, wohin sie dieselben verbannt hatte. Wie schmeichelnd tönten die Worte „das schönste Paar“!

Aber das junge Mädchen raffte sich heroisch auf. Ihre Erinnerung traf auf einige anders lautende Worte, die ein „Jemand“ ohne Scheu seinen Freunden mitgetheilt hatte. Mit der Kraft des Donners rollten sie an ihrem innern Ohre vorüber: „Der Rath Braunstein zählt zu unsern tüchtigsten Juristen,“ hörte sie deutlich, wie damals, „allein er soll das Unglück haben, eine Gattin und eine Tochter zu besitzen, die seinen Werth keineswegs begreifen, sondern ihren Triumph darein setzen, die größten Mode- und Putznärrinnen zu sein.“

Hatte sie sich nicht insgeheim den Schwur abgelegt, dies harte Urtheil durch ihr ferneres Verhalten zu entkräften? War sie nicht von der wahrhaft edeln Persönlichkeit des ungenirten Kritikers dergestalt bezaubert, daß sie ihm nicht allein nicht zu zürnen vermochte, sondern ihn im Stillen zum Richter ihres Handelns erhob? Gut, was würde er sagen, wenn er im Stande wäre, die Inconsequenz ihrer Handlungen zu beurtheilen? Das junge Mädchen athmete tief auf und sprach beklommen:

„Ich möchte nicht zum Ball gehen, Mutter, ich möchte meinen Entschlüssen treu bleiben – laß mich, störe meinen Frieden nicht, ich will nicht zum Ball! – Ich bitte Dich, mir zu erlauben, daß ich mein voreilig gegebenes Versprechen zurücknehme!“

„Kleine Thörin, wie kannst Du mich und Dich so quälen!“ rief die Räthin, gleich wleder in Hitze gerathend. „Dein Glück ruht in meiner Hand und, glaube mir, dort ruht es sicher. Erfahrung macht klug! Ich werde mein Leben daran setzen, um Dich vor dem Elend zu bewahren, das ich zu tragen hab, und Du wirst es mir danken, wenn Du, gewiegt und berauscht von dem Beifalle der Menge, in den Armen eines Gatten ausruhst, während ich – o, ich Unglückliche – einsam auf der Weltbühne figuriren muß –“

Ein leichtes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit nach der Thür und sie sah ihren Gatten auf der Schwelle derselben, mit mitleidigem Lächeln ihre Tiraden bewundernd. Verwirrt erhob sich die Dame. Ihre Exaltation fiel zusammen, wie der hohle Schaum eines abgestandenen Bieres, und sie erwartete beschämt eine Zurechtweisung von dem, welchen sie so eben verurtheilt hatte.

Der Rath Braunstein schritt langsam vorwärts. In seiner Hand schwankte ein offener Brief. Seine philosophische Ruhe trug diesmal einen kleinen Beigeschmack von stolzer Erhebung, als er kaltblütig begann:

„Ich habe so eben meine Ernennung als Vicepräsident des Appellationsgerichtes zu P. erhalten, verbunden mit der Anweisung, mich bis zum 31. October dort einzufinden. Sonach habt Ihr Euch einzurichten, daß wir heute über acht Tage in P. sind.“

Unter dem Aufflammen zornigen Schreckens hatte die Räthin und unter dem nervösen Zittern einer großen und sehr freudigen Ueberraschung das Fräulein diese Ankündigung vernommen.

„In acht Tagen – das ist unmöglich!“ schrie Erstere, ganz beherrscht von der Furcht, ihre lang gehegten Wünsche an diesem unerwarteten Ereignisse scheitern zu sehen.

„Nach P.?“ flüsterte das Mädchen, „nach P.? Vicepräsident in P.?“

In P. stand nämlich der „Jemand“, der sich so unverantwortlich dreist in ihre Phantasie eingenistet hatte, als Assessor beim Appellationsgerichte.

„Es muß möglich sein,“ entgegnete der Rath seiner Gemahlin, während er liebkosend über Herminens heißes Gesicht strich.

„Es ist durchaus nicht möglich,“ replicirte eigenwillig die Räthin. „Ich habe noch viel hier zu ordnen – auch ist heute über acht Tage der erste Ball – es wird am besten sein, Du reisest allein und wir kommen später nach.“

Der Rath warf einen Blick auf seine Gemahlin, der niederschmetternd in ihre Seele drang.

„Wir reisen zusammen,“ erwiderte er dann. „Unsere Möbel und Hausgeräthe vertrauen wir sichern Händen zur Verpackung und Versendung, Kleidung und Wäsche hingegen nehmen wir gleich mit. Wir werden dort so lange Quartier im Gasthofe nehmen, bis wir ein Logis gefunden haben.“

Sprachlos starrte die Räthin auf ihren Mann. So besonnen hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht entworfen, was nicht in sein Fach schlug. Was war für ein Wunder geschehen, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_654.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)