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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Windhagen? Beim Himmel – nein! Nein, niemals!“

Der Assessor wurde glühend roth – er legte die Hand an die Stirn. „Mein Gott, sollte sie zartsinnig genug gewesen sein, dies schauderhafte Rencontre zu verschweigen? –“ flüsterte er betroffen vor sich hin.

„Hat Ihnen Ihr Fräulein Tochter nicht von mir erzählt?“ fragte er dann laut mit dem festen Entschlusse, diese fatale Scene sehr rasch zu endigen.

„Meine Tochter?“ wiederholte der Präsident sehr aufmerksam, und wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke: „Aha – der Jemand!“

„Meine Tochter Hermine?“ sagte er nochmals, um nur Zeit zur Antwort zu gewinnen.

„Ihr Fräulein Tochter, Hermine Braunstein, die vor ungefähr sechs Wochen in Volkmersau sich aufhielt –“

„Ganz richtig! Dort waren Sie?“ forschte Braunstein, innerlich jubelnd, denn dieser Mann gefiel ihm über alle Maßen, und er gab schon ohne Weiteres sein Jawort, wenn er sich jemals um Herminens Hand bemühen sollte.

„Nur auf acht Tage in der Gegend daselbst –“

„Ei – so will ich meine Tochter benachrichtigen,“ rief Braunstein schnell einfallend, um fernere Geständnisse zu verhindern.

„Herr Präsident,“ stammelte der arme Assessor, „Sie wissen nicht! – Hat Ihnen wirklich Ihr Fräulein Tochter nichts von der boshaften Unvorsichtigkeit erzählt, womit ich ein unverbürgtes Gerücht öffentlich mittheilte – ein Gerücht, das eine furchtbar schwere Kränkung für Ihre Frau Gemahlin und für Ihr Fräulein Tochter enthielt?“

Der Präsident Braunstein nahm eine andere Miene an.

„Nicht ein Wort hat sie mir gesagt, lieber College! Sie übertreiben wohl! Weiß meine Tochter, daß Sie hier am Appellationsgerichte arbeiten?“

„Ja! Sie weiß Alles! Sie weiß, daß ich von pecuniären Verhältnissen gezwungen bin, hier zu bleiben! Sie weiß, daß ich sonst längst einen andern Plan ausgeführt haben würde. Ich selbst erzählte ihr dies vorher, ehe ich so unglücklich war, sie zu beleidigen – ich erzählte es ihr in der falschen Voraussetzung, eine Schwester meines Freundes, mit dem ich die Reise nach Volkmersau unternommen hatte, neben mir zu haben.“

„So – so! Für Hermine muß Ihre Beleidigung nicht so schrecklich gewesen sein, wie Sie meinen, liebster College,“ erwiderte Braunstein dann sinnend. „Ich dächte, wir ließen die Sache auf sich beruhen, oder“ – er ging so schnell entschlossen nach der Thür des Nebenzimmers, daß der Assessor nicht die geringste Zeit gewann, eine Einwendung zu erheben.

„Hermine,“ rief er im gütigsten Vatertone. „Ein alter Bekannter.“

Das Fräulein erschien ahnungslos auf der Thürschwelle. Ein Blick genügte, um ihre Wangen mit dem brennendsten Rothe zu überziehen, doch schnell gefaßt, trat sie näher und rief:

„Herr Assessor Windhagen! Wer hätte das gedacht!“

„So – so!“ dachte der Herr Papa und gefiel sich plötzlich in der Rolle eines schweigsamen Beobachters.

„Daß Sie mich noch hier finden könnten, nachdem es mir bekannt geworden, wer künftighin mein Präsident sein würde,“ – fügte der junge Mann mit großer Bitterkeit hinzu.

„O – nein, mein Herr!“ stammelte das Mädchen, betroffen zu ihrem Vater aufschauend. „Mein Gott – es weiß ja Niemand,“ sagte sie dann leise, sich sammelnd.

„Sie haben Ihrem Herrn Vater nicht gesagt –“

„Daß Sie ihn für den größten Juristen seiner Zeit halten?“ unterbrach ihn Hermine schelmisch. „Nein – wahrhaftig, das habe ich vergessen – will es aber hiermit nachgeholt haben!“

Der Präsident hätte sie gern in die Arme geschlossen für diese zeitgemäße Schelmerei, verschob es jedoch bis zu gelegener Zeit.

„Fräulein Hermine,“ rief Windhagen in steigender Bewegung. „Sie haben Ihrem Herrn Vater nicht gesagt –“

Mit einer verrätherischen Hast hob Hermine ihren Finger und legte ihn auf ihren Mund.

„Still,“ rief sie unter sprechenden Angstgebehrden. „O schweigen Sie, bitte, bitte, schweigen Sie!“ fügte sie so weich und liebevoll hinzu, daß es einem Kannibalen das Herz gerührt haben würde.

Windhagen ergriff in der Überwältigung ihre Hand, und neigte sich eine volle Minute auf dieselbe. Ob er während der Zeit einen Schwur, des Ritters ohne Furcht und Tadel würdig, geleistet hat, können wir nicht verrathen, aber als er sein Auge wieder emporhob zu dem Präsidenten, der tief bewegt neben den beiden jungen Leuten stand, da glänzte es wie Thau im Sonnenscheine.

„Können Sie es begreifen, Herr Präsident“ sprach er dabei ganz eintönig und ruhig, „daß die Welt dieses Mädchen hier für unfähig erklärte, den Werth ihres Vaters zu erkennen, und daß die Welt Ihre Tochter in die Reihe herzloser Modenärrinnen geworfen hatte?“

Der Präsident wollte um Alles in der Welt die tragische Seite dieses ersten Begegnisses zu verlöschen suchen, deshalb nahm er seine Tochter unter herzlichem Lachen in die Arme und rief:

„Die Welt hatte Recht, lieber College! Meine Kleine war auf dem besten Wege dazu – sie kehrte zu meinem Erstaunen plötzlich um – und ich glaube jetzt annehmen zu dürfen, daß Ihre Offenherzigkeit gerade rechtzeitig gekommen ist, um sie zu curiren. Schweigen wir von nun an über diesen aufregenden Gegenstand, und rechnen Sie auf meine ewige Dankbarkeit!“

Der Assessor empfahl sich, die Brust erfüllt von einem namenlos freudigen Gefühle, dem sich der Stolz über eine errungene Unabhängigkeit beimischte. Er hatte fest und redlich seiner Pflicht genügt, was nun kam, konnte er ruhig abwarten.

Nach seiner Entfernung nahm der Präsident den Brief Herminens an seine Gattin wieder zur Hand. Die junge Dame hatte sich sogleich sehr eilig und sehr leise wieder in ihr Zimmer zurückgezogen.

„Der Mann gefällt mir,“ murmelte er, indem er sich anschickte, dem Briefe ein Appendix anzuhängen. „Besonders gefällt es mir, daß er arm ist. Gewinnt er Vertrauen zu mir und Liebe zu meinem Töchterchen, so habe ich nichts dagegen. Für das Nothwendige muß sein Gehalt ausreichen, und für das Entbehrliche sorgt des Vaters Casse. Mir scheint diesem „Jemand“ eine große Zukunft verliehen zu sein, was könnte sonst meine Blicke wohl so fesselnd zu ihm gelenkt haben? – warten wir ab, ob sich seine Zauberei auch bei meiner Frau Gemahlin bewährt!“

Ein leichtes, zufriedenes Lächeln stahl sich über seine Mienen, und er setzte sich hin und schrieb:

„Ich grüße Dich, Laurette und trete dem Urtheile unseres Kindes bei, daß Du uns auf unserer Reise hierher überall gefehlt. Besonders hätte es mein Entzücken gewiß gesteigert, wenn ich eine Vertraute bei den Beobachtungen des lieben Mädchens gehabt hätte. Ich bin erstaunt, wie sich ihre herrlichen Gemüthsanlagen überraschend entwickeln! Wir sind seit gestern in unserm neuen Wohnorte – ich seit wenigen Stunden in meinem neuen Wirkungskreise, der mich vollständig aus meinem alten Schlendrian herausschälen wird. Es regt sich in mir bisweilen etwas vom Studenten Eduard Braunstein, der seit dreißig Jahren nur einen Wunsch gehabt hat und zwar den, seine Laurette glücklich zu machen. Ich habe mich vielleicht unklugerweise in den Mitteln dazu vergriffen, allein, wie gesagt – der Student Eduard Braunstein hat Lust, seine Carriere nochmals zu beginnen! Ich grüße Dich, gute Laurette!“

Nach diesem herzensguten Briefe verflossen vierzehn Tage, ohne daß die Frau Präsidentin Braunstein die Gewogenheit hatte, ein Wort darauf zu antworten. Während der Zeit war Manches vorgefallen. Es war eine schöne, sehr hübsch gelegene Wohnung gefunden, durch die Bemühungen des Assessor Windhagen. Es war auch ein Wettstreit zwischen diesem Assessor und dem Prasidenten Braunstein entglommen, das junge Fräulein Hermine gleich einer Fürstin zu verehren und ihr unvergängliche Throne im Herzen zu bauen.

Dann war ebenfalls ein Kampf zwischen dem Fräulein und dem Herrn Assessor ausgebrochen, der jedenfalls mit blutendem Herzen enden mußte, wenn sie sich nicht gegenseitig als großmüthige Feinde beweisen und den leidenschaftlichen Kampf der Herzen dadurch stillen wollten, daß sie auf „Auslieferung der zu erkämpfenden Kleinodien“ capitulirten.

Allein dahin waren die jungen Leute noch nicht gelangt. Windhagen ließ nur die brennendheißen Blicke dergestalt spielen, daß Herminens Wangen sich immer stärker unter diesem Feuer rötheten, aber sie wußte dafür ihrem innern neuen Leben so liebliche Worte zu leihen, daß die brennendheißen Blicke bis zum Siedepunkte avancirten und täglich in tragische Redensarten auszubrechen drohten.

Der Präsident wartete der Entwicklung der Dinge mit stoischem Muthe. Daß seine Gattin den Brief der Tochter unbeantwortet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_670.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2020)