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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Leiden. Merkwürdig ist, daß manchmal auch kleine Läuschen die Ursache der schleichenden Entzündung des Augenlidrandes sind. – Bei diesen Augenleiden ist zuvörderst die gehörige Schonung (Pflege) und Reinigung des Auges (s. Gartenl. 1854. Nr. 40.) von der größten Wichtigkeit. Man wasche die Augen nicht etwa des Morgens gleich nach dem Erwachen und ja nicht etwa mit kaltem Brunnenwasser, sondern mit lauem weichem (Regen- oder reinem Fluß-) Wasser. Auch bediene man sich zum Waschen der Augen nicht eines Schwammes, sondern der bloßen Hände oder eines leinenen Tuches. Das Baden der Augen in kaltem Wasser, sowie das Oeffnen derselben beim Eintauchen in kaltes Wasser ist sehr schädlich. Wenn nun auch jene schleichend entzündlichen Zustände der Augenlider Jahre lang bestehen können, ohne große Beschwerden zu machen und nachtheilig auf die Sehkraft einzuwirken, so ist doch Jedem, der daran leidet, auf’s Dringendste an’s Herz zu legen, sich mit einem Sachverständigen darüber zu berathen. Denn abgesehen davon, daß solche Augen nicht schön sehen und immer in Gefahr sind, bei irgend einer Verkältung durch Zugluft oder durch scharfen Wind u. dgl. in starke und gefährliche Entzündung versetzt zu werden, so wird der Zustand bei längerem Bestehen dem Auge und der Sehkraft sicher nachtheilig. und nicht blos für den Kranken allein droht Gefahr, auch für die ihn Umgebenden, wenn das Leiden mit reichlicher Absonderung von Schleim verläuft-, und zufällig, z. B, durch den gemeinschaftlichen Gebrauch eines Handtuches, desselben Bettzeuges, oder sonst auf eine Art von dem Kranken auf irgend ein gesundes Auge übertragen wird. Ganz vorzüglich muß auch vor der Anwendung von Augenwässern oder Salben, ohne Zuziehung eines Augenarztes, gewarnt werden; schon oft ist durch solche Mittel das Augenlicht verloren gegangen.

Bock.




Eine schweizer Landesgemeinde.
Brief an den Herausgeber der Gartenlaube vom Dr. A. J. D. H. Temme in Zürich.
(Fortsetzung.)

Die Veranlassung zu dieser außerordentlichen Landesgemeinde war eine der wichtigsten, die es für das Land und Volk geben konnte. Es handelte sich eben um eine neue Landesverfassung, in welcher mehrere der allerwichtigsten Bestimmungen der bisherigen Verfassung abgeändert werden sollten.

Mit dem ganzen Detail, das in Frage stand, werde ich Sie nicht belästigen.

Nur drei Punkte muß ich hervorheben. Sie sind zugleich die erheblichsten und führen Sie mitten in den eigenthümlichen Charakter des staatlichen Lebens von Land und Leuten hinein.

Das Land wird durch einen kleinen Fluß oder Bach, die Sitter, durchschnitten. Es wird dadurch das Land vor der Sitter und das hinter der Sitter unterschieden. Die oberste Landesbehörde hatte nun bisher aus jedem Districte gleichmäßig besetzt werden müssen, aus jedem mit einem Landammann u. s. w. Das führte manche Uebelstände mit sich. Die neue Verfassung sollte diese Scheidung aufheben. Das war der erste Punkt.

Noch wichtiger war der zweite. Bisher hatte das Land kein besonderes Obergericht. Eine zudem complicirt zusammengesetzte oberste Verwaltungsbehörde, der sogenannte „große Rath“, entschied zugleich in letzter Instanz, sowohl Civil- als Criminalsachen. Die neue Verfassung wollte Trennung der Justiz von der Verwaltung, Aufstellung einer selbstständigen höchsten Gerichtsbehörde.

Wichtiger nach meiner Ansicht war ein dritter Punkt. In allen schweren Straffällen hatte nach der bisherigen Verfassung in erster und letzter Instanz jener große Rath das Urtheil zu fällen gehabt. Gerade für die wichtigsten Rechtssachen war also nur eine einzige Instanz gegeben. Diesem Uebelstande soll nach der neuen Verfassung in folgender Weise abgeholfen werden: Es wird für das Land ein „Criminal- und Polizeigericht“ errichtet, hat jedoch keine Strafcompetenz, sondern hat einzig und allein sich darüber auszusprechen, ob und welches Verbrechens der Angeklagte schuldig sei, und sodann die Verhandlungen an den ordentlichen Richter des Wohnortes des Angeklagten zur Fällung des Endurtheils abzugeben. Gegen seine Entscheidungen kann nicht nur an das Obergericht appellirt werden, das Obergericht kann dieselben auch dadurch von Amtswegen vernichten, daß es in Fällen eines Verbrechens oder eines schwereren Vergehens nach seinem Ermessen von sich aus eine neue Proceßverhandlung vor seiner Gerichtsstelle anordnet.

Die Stellung des neugeschaffenen Gerichts ist also die eines modificirten und zugleich complicirten Geschworenengerichts, dessen Wahrsprüche aber durch Rechtsmittel, gar von Amtswegen, durch eine höhere Gerichtsbehörde vernichtet werden können. In dieser Weise kann allerdings das neue Gericht die erheblichsten Bedenken gegen sich herausfordern, mit denen ich Sie und Ihre Leser nicht weiter behelligen will. Die Schaffung zweier Instanzen für Strafrechtsfälle muß aber unzweifelhaft als ein Fortschritt der neuen Verfassung betrachtet werden.

Das waren die wichtigsten Punkte der neuen Verfassung. Sie waren als solche auch allgemein anerkannt, von der „Obrigkeit“, von den „Landleuten“, in der Presse. Das meiste Gewicht wurde auf das Obergericht gelegt. Schon vor dreißig Jahren hatten sich Stimmen für dasselbe, für die Trennung der Gewalten, im Lande erhoben. Stets war namentlich die „Obrigkeit“ des Landes selbst dafür gewesen. Die Landesgemeinden hatten sich jedoch eben so entschieden dagegen erklärt. Die Obrigkeit war beharrlich geblieben. Auflösen konnte sie – eine Landesgemeinde nicht. Aber zum Oefteren hatte sie den Gegenstand bei der Landesgemeinde von Neuem in Anregung gebracht.

Sollte er auch am 3. October dieses Jahres fallen? Die Spannung war allgemein; nicht nur im Appenzellerlande, auch im übrigen Schweizerlande sah man vielfach nach Hundwyl.

Freilich war man in Appenzell selbst auch in Betreff der beiden anderen obengenannten Punkte nicht ohne Bedenken.

Wie der Schweizer überhaupt, so hängt der Appenzeller besonders mit großer Zähigkeit an dem Ererbten, Hergebrachten. Dazu kam in Betreff der Aufhebung jener Scheidewand zwischen dem Lande vor und hinter der Sitter, daß es sich in den Augen der Masse nur gar zu leicht um Hintansetzung, um Unterdrückung eines Landestheiles gegen den anderen handeln konnte. Und in Betreff des Criminal- und Polizeigerichts kann man es den einfachen Landleuten schwerlich verdenken, wenn die in dem Vorschlage liegende Unklarheit auch ihnen nicht klar werden wollte. Dennoch herrschte unter dem Volke selbst in Betreff der ganzen Verfassungsrevision eine bewunderungswürdige Ruhe. Keine Gleichgültigkeit!

Ich machte den Weg von Herisau nach Hundwyl mitten zwischen den zur Landesgemeinde gehenden Landleuten, und zwar an der Seite des Gemeindeschreibers, früher langjährigen Landschreibers Grunholzer von Herisau, an den ich von seinem in Zürich lebenden Bruder empfohlen war, eines Mannes, der in seiner Heimath Appenzell eben so geachtet ist, wie sein Bruder in der ganzen Schweiz. Er machte mich mehr mit den Zuständen und Verhältnissen, mit Land und Leuten bekannt, und führte mich mitten in diese hinein.

Aus keinem Munde vernahm ich über die Neuerungen nur ein einziges lebhaftes oder gar aufgeregtes Wort, nicht einmal untereinander, noch weniger gegen mich. Die Meisten sprachen gar nicht über die Sache. Sie gingen in dem sicheren und ruhigen Bewußtsein, daß sie über den Gegenstand genug nachgedacht, vielleicht auch gesprochen hätten, und nun darüber völlig im Klaren seien.

So war es auch, als wir in Hundwyl ankamen, wo schon Tausende von Menschen versammelt waren, und von Minute zu Minute immer mehrere eintrafen. Ueberall, in den Straßen des Dorfes, auf dem Platze, wo die Landesgemeinde abgehalten werden sollte, in den Wirthshäusern, herrschte die größte Ruhe und Ordnung, ja sogar Stille. Nirgends ein überlautes Wort, nirgends ein Disputiren, Streiten oder Zanken. Man kann sagen, daß über die Verfassung gar nicht gesprochen wurde. Höchstens wurde, wenn ein paar Bekannte sich begegneten, gefragt: Was meinen Sie? Wird die Revision durchgehen? Wird die neue Verfassung angenommen? Man wußte es nicht. Man hoffte oder fürchtete, je nach dem Standpunkte des Antwortenden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_677.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)