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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

hob das Kind aus der Taufe, aber schon in der Kirche konnte man’s merken, daß er sich immer veränderte, und wie er daheim in die Stube trat, fiel er der Länge lang hin und war todt.

Die Leute sagten, den habe der liebe Herr Gott zur guten Stunde abgerufen. Unser Herr Gott thut Alles zur guten Stunde; aber freilich, die Magdalene und die Sephe, die wußten nicht viel von guten Stunden mehr. Die Försterin hätte können in der Wohnung bleiben, bis der neue Förster einzog, weil aber der neue Förster ihr Eidam war, so blieb sie ganz drin. Sie zog nur in die obere Stube und da that sie ihr Möglichstes, um der Sephe beizustehen. Die hatte es schwer, denn dem Ulrich war nicht viel darum zu thun gewesen, schon aus dem Herrenbrode zu kommen, und wenn er auch eine schöne Stelle und noch ein Extra-Jahrgeld bekam, so konnte sie ihn doch nicht halten, wie er’s im Schloß gewöhnt war. Da ging er früh und Abends in’s Wirthshaus und der Wirth hielt Wein nur für den „Herrn Förster“. Wie hurtig da aus den Kreuzern Gulden werden und ihrer Wege gehen, das weiß Jeder.

Die Magdalene und die Sephe guckten ängstlich dazu und das nahm der Ulrich übel. Es gab keine gute Stunde mehr in der Försterei.

Zwei Jahre, nachdem die Marie auf die Welt gekommen war, kriegte die Sephe den kleinen Karl; sie nahm aber einen Treff aus dem Kindbett mit; die Sorge that auch das Ihrige, denn der Ulrich kam bald nimmer aus dem Wirthshause und im Hause ging’s immer knapper zu. Sie schlich herum, wie ein Gespenst, und endlich sagten die Leute auch von ihr, daß unser Herr Gott ihr eine gute Stunde geschickt habe. Die Magdalene dachte, das Herz müßte ihr brechen, wie sie an der Leiche von ihrem einzigen Kinde stand, aber sie dankte doch dem lieben Gott, daß ihr Kind die Last vom Leben hinter sich hatte; so was kann nur eine Mutter.

Ein Jahr lang mußte die Magdalene noch viel von dem Ulrich leiden; da wurde er ihr eines Abends in’s Haus gebracht; die Leute sagten, es hätte ihn ein Wilddieb erschossen, es gab ihrer auch, die sagten, er hätte es selbst gethan.

Sie wollte, wie der neue Förster kam, nimmer in Gleicheberg sein, und zog mit den beiden Kindern nach Weißbach, wo sie her war; das lag doch seine drei Stunden weit von Gleichenberg und Waldenberg, wo die Leute sie im Glück gekannt hatten.

In Weißbach wußte keins mehr viel von ihr. Es braucht wenig Jahre, so ist ein menschlich Andenken verweht, wie der Wind. Die ersten Jahre bekam sie regelmäßig Geld geschickt, denn der Herr und die Frau von Walden lebten noch; auch wie die kurz nach einander gestorben waren, kam, vom Baron Max durch den Rentverwalter geschickt, das Jahrgeld. Die Magdalene war fleißig, da ging’s ihnen gut; freilich dadrauf konnte sie nicht mehr so halten, wie sonst, daß Alles blank war und nach was aussah, denn das braucht Zeit, und bei der Marie war keine Rede von weißen Strümpfen und Fürtüchern, sie trug aber keine Kappe; das that sie, weil’s billiger ist, im bloßen Kopfe zu gehen, und es fingen auch schon mehrere Mädchen an, die Kappe fortzulassen. Die beiden Kinder gingen in die Schule und die Nachbarn meinten, es ginge ihnen nichts ab.

Da kam ein Jahr um’s andere weniger Geld und endlich blieb’s ganz aus. Die Magdalene hatte aber ’was gespart und arbeitete noch besser; die Marie kam aus der Schule und griff mit zu, da ging’s denn noch ein paar Jahr lang; das bischen Gespartes ging freilich drauf. Auf einmal kriegte das „Fröle“[1] die Gicht und das nahm so überhand, daß sie bald gar nichts mehr thun konnte. – Sie hatte noch ein paar „gute Stück“ aus der „guten Zeit“, die gingen eins nach dem andern fort, und bald sah’s erbärmlich genug bei der Magdalene aus, aber reinlich immer. Der Hauptverdienst von der Marie war, daß sie die Wäsche hatte, wenn Gäste im Schlosse waren; sie bügelte und besserte aus und scheute sich überhaupt keiner Arbeit. Es gehörte ordentlich zu ihrem Leben, daß sie nur recht zugreifen konnte; es war, wie wenn ihre Hände es selber wüßten, was auf sie ankäme, und das Mädchen war nie glücklicher, als wenn sie vor Arbeit nicht wußte, wohin. Vom Fröle und von der Mutter war’s ihr geblieben, daß sie gern hatte, wenn Alles nach was aussah, aber es fiel ihr nicht ein, daß es nach mehr aussehen sollte, als es bei armen Leuten recht war. Sie selber wußte nicht, daß sie nach was Rechtem aussah, mit sammt ihren blauen Strümpfen. Der Karl war bei einem Schreiner in der Lehre, aber das war ihm arg, denn er wollte partout Jäger werden; das ging freilich nicht, denn der Schreiner that’s ohne Lehrgeld, und woher’s nehmen zum Jäger?

Die Kinder hatten’s nicht leicht bei ihrem Fröle, denn die Magdalene war nimmer, wie sonst. Der Mangel und die Leiden hatten sie schrecklich verbittert und besonders hatte sie jetzt gerade so einen Haß auf die „Fürnehmen“, wie sie sonst einen Narren an ihnen gefressen hatte. Alles, was sonst die Ursache zum größten Lobe war, gab jetzt den Grund zum bittersten Tadel, und sie machte sich ein Geschäft daraus, den Kindern einen Haß gegen sie beizubringen. Beim Karl war es ihr nicht schwer geworden; der wäre jeden Augenblick bei der Hand gewesen, das „schlechte Volk“ von der Erde zu vertilgen und damit der Welt einen großen Dienst zu thun; die Welt und Marie glaubte auch Alles, was das Fröle sagte, denn sie hatte einen gewaltigen Respect vor ihr, aber sie dachte mehr daran, wo sie genug Arbeit herkriegte, als wie sie die fürnehmen Leute hassen sollte, von denen sie, freilich immer nur durch die Dienstboten, doch den Hauptverdienst hatte.

Jetzt nun, gerade an dem Donnerstage, wo die Marie mit dem Karl in’s Holz gegangen war, ging’s der alten Magdalene oft so erbärmlich, daß der Doctor aus dem Flecken Siebenkreuz schon öfter hatte einsprechen müssen. In der Apotheke stand eine Rechnung, im Schlosse hatten sie schon lange keine Arbeit gefunden und die Herbsttage waren schon recht kühl; es mußte warm in der Stube sein und von einem Holztage zum andern ging das Holz rein auf. Heute hatten sie den letzten Stecken in den Ofen gethan, wie sie fortgingen, und wie sie ihr Mittagsbrod verzehrt hatten, trieb die Marie den Karl an, er sollte die große Welle an den Haken nehmen und heimschleifen, sie wolle noch die Kütze[2] voll Stückchen und Tannenzapfen lesen und dann auch kommen.

Der Karl that’s und die Marie las und las, bis ihre Kütze voll war; dann band sie ihre Schürze ab, breitete sie auf den Boden und las wieder, bis sie auch voll war. Nun konnte sie aber vor Kreuzschmerzen sich schier nimmer bücken und sie setzte sich unter eine große Buche, um noch eine Viertelstunde auszuruhen, ehe sie heimging.

Sie hatte die Schürze mit dem gelesenen Holze zugebunden und das Bündel lag neben ihr, es dauerte aber nicht eine Minute, so lag der Kopf drauf; auf die Augen fiel’s wie Blei und sie schlief fest; sie mußte erschrecklich müde gewesen sein.

Mit einem Male fuhr sie auf; sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen, und dachte, sie wäre gerade erst „eingedusselt“, und wenn nicht etwas in ihrer Nähe geknuspert und im Laub gerasselt hätte, wäre sie wohl noch lange nicht aufgewacht. Sie traute ihren Augen nicht, denn nicht weiter als fünfzig Schritt von ihr stand ein prächtiger Rehbock.

Er schaute mit seinen klugen Augen nach allen Seiten, als wollte er seiner Sache erst recht sicher sein, dann bückte sich das zierliche Köpfchen und die Zunge leckte am Boden. Die Marie merkte erst, daß sie im Suchen bis an das Rehholz gerathen war.

Sie saß da und traute sich nicht zu athmen, in der Angst, das schöne Thier könnte fortlaufen; da hörte sie über sich in den Zweigen ein leises knacken, das Thier fuhr in die Höhe, aber im nächsten Augenblick blitzte und krachte es. Das Thier that noch einen einzigen Sprung zur Flucht und im andern Augenblicke lag’s zuckend am Boden. Das Blei hatte gut getroffen.

Die Marie dachte im Schreck, sie müßte selbst getroffen sein, und stieß, wie der Schuß knallte, einen gellen Schrei aus; sie konnte nicht von der Stelle, aber ihre Augen richteten sich in die Zweige hinauf und sahen ein paar Füße, dann einen grauen Rock, dann ein paar Arme, dann ein Gewehr und zuletzt zeigte sich ein braun gebranntes Gesicht mit einem schwarzen Barte. Der Mann, zu dem dies Alles gehörte, stieg auf lauter abgeschnittenen Aesten und, wo sie fehlten, auf eingekeilten Holzstücken am Baume herunter und stand im nächsten Augenblicke neben ihr, eben so erschreckt, wie sie, denn der Schrei der menschlichen Stimme gleich nach dem Schusse hatte ihm den Waidmannsspaß auch versalzen.

War die Marie nach dem Schusse erschrocken genug, so verging’s ihr nicht, wie der Jäger auf sie zu sprang. Er sah aber gleich, daß er den richtigen Bock geschossen hatte und das Mädchen nur vom Schreck so bleich und zitterig unter dem Baume saß.

Der Schwarzbärtige dankte Gott, daß es nur ein Schreckschuß gewesen war. Er riß hurtig seinen Büchsenranzen herunter und

  1. Großmutter.
  2. Tragkorb.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_682.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2021)