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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

es war ihr, wie wenn sie nichts mehr da zu thun hätte, aber sie war noch nicht bis an die Thür gekommen, da rief die Stimme des alten Herrn: „Marie, bleib da, mein Kind,“ und der Jäger war an ihrer Seite und zog sie zu dem Stuhle am Bette hin. Der Vater nahm ihre Hand, und legte sie in die des Sohnes und sagte: „Siehst Du, Marie, wenn ich fort muß, lasse ich Dich nicht allein.“

Sie wußte nicht, was sie sagen und auch nicht, wo sie hinsehen sollte, denn ihr schwindelte es. Sie fühlte nur, wie die Hand des Sohnes sich fest um die ihre schloß und seine tiefe Stimme neben ihr sagte:

„Du sollst nie allein sein, Marie.“

In der Thür aber stand der alte Johann, denn er hatte drinnen sprechen hören, und warnte, der Doctor habe es streng verboten, daß der Herr Baron sich nicht aufregen dürfe. Der Morgen brach auch schon hervor und der Kranke sagte, der alte Diener solle bei ihm bleiben, die Beiden, der Sohn und die Tochter, aber sollten schlafen gehen. Sie gingen, aber ob sie schliefen? Die alte Magdalene wunderte sich schier, wie sich die Marie früh anzog, denn sie brauchte nicht zuzureden, ungeheißen zog sie ein Sonntagskleid an, und es war doch nur ein purer blanker Werkeltag.

Von da an pflegte die Marie nicht mehr allein, der Sohn war neben ihr und in der Krankenstube waren drei glückliche Menschen. Der Vater sah’s von Tag zu Tag, wie die Liebe seiner Kinder zu einander wuchs. Die Maria sorgte still fort für Alles, was er brauchte, und der Werner erzählte ihm und ihr von Allem, was er gesehen und gehört in der weiten, weiten Welt. Was er auch sagen mochte, und wenn sie früher nie davon gehört hatte, so wurde ihr’s doch klar und begreiflich. Sie merkte und begriff, wovon sie früher nur so geahnt hatte, daß es eine Arbeit gäbe, die man nicht zu sehen braucht, und die erst in jede sichtbare den rechten Kern hinein legt, das ist die Arbeit, die der Gedanke thut; je mehr sie das inne wurde, je mehr Respect mußte sie vor jeder Arbeit bekommen, und je größer wurde ihre Liebe zu dem Werner. Der Werner aber meinte, so glücklich wär’ er in seinem Leben nicht gewesen, als wie das fleißige, einfältige Mädchen ihm zuhörte, denn das Größte und Herrlichste, was man in der lieben Gotteswelt sehen und hören kann, sehen und hören wir ja erst dann im Sinne Gottes, wenn durch die Liebe des Menschen der göttliche Hauch darin Gestalt bekömmt.

Das Auge des Vaters ruhte immer seliger auf den Beiden, aber mit jedem Tage wurde es matter und der Athem wurde schwächer. Eines Abends sah Marie den Herrn Docter und den Werner immer fragender an, weil sie bemerkte, daß sie sich bedenkliche Blicke zuwarfen; ihr Mund traute sich aber nicht zu fragen, und auch die Stube zu verlassen, hatte sie nicht den Muth; da winkte der Kranke sie zu sich heran und sagte:

„Marie, ich muß meinem Werner etwas sagen.“ Und sie verließ das Zimmer.

Der Sohn beugte sich zur Lippe des Vaters, die nur leise sprach: „Du wirst, nicht wahr, mein Werner, Du wirst meine Marie nicht verlassen?“

„Nein, Vater, sie wird die Meine sein.“

„Ich danke Dir, Werner; ich wußte es, Du wirst sie zu Deinem Weibe nehmen und nie vergessen, daß sie in meinen letzten Lebensstunden die Freude meines Lebens wurde.“

„Ja, Vater, Marie wird mein Weib werden und ich werde sie lieben für Dich und für mich.“

Ein Lächeln zog über Herrn von Walden’s Gesicht, wie er sagte: „Rufe mir Marie!“

Sie kam und ihr Auge begegnete dem Blick des Vaters. Sie neigte sich zu ihm und er sagte:

„Habe Dank, Marie, Du warst mein Engel.“

Ihr Kopf schmiegte sich an des Vaters Brust. Es war eine tiefe Stille um sie her. Endlich bog sich Werner über sie, und sie hob den Kopf, um nach dem Vater zu sehen; ihr Blick begegnete aber dem seinigen nicht mehr, denn er war gebrochen.

Marie zuckte zusammen. Wie Sterben aussieht, hatte sie schon eine ganze Weile mit angesehen, aber den Tod kannte sie nicht.

Werner’s Hand legte sich leise auf die Augen des Vaters und wie er sie aufhob, waren sie geschlossen. Marie sah zu ihm auf, da kniete er nieder neben ihr und sagte:

„Sieh, Marie, der Vater hat uns verlassen.“

Es zuckte, wie wenn ein Messer sie getroffen hätte, durch ihre Glieder und sie sah ihn mit bitterem Jammer an; aber er legte seinen Arm um sie her, sein Kopf legte sich an den ihrigen und er sagte wieder:

„Nicht wahr, Marie, Du bist nun doch nicht allein, denn der Vater hat Dich mir gelassen, und nun sag’ mir’s gleich hier neben ihm, daß Du ihm folgen und mein sein willst für’s ganze Leben.“

Marie hatte viele Monate lang schwere körperliche Anstrengungen ertragen, um sich nur ganz der Pflege des Kranken hinzugeben, und ihr ganzes Leben war ja ein schweres gewesen von Kindesbeinen auf; sie hätte aber noch lange, sie hätte vielleicht immer solch’ schwere Last des Lebens ertragen und nicht eher gemerkt, wie schwer sie sei, als bis alle ihre Kraft drangesetzt war; von Arbeit, Entbehrung und Aufopferung konnte sie leben; das ist so bei der Frau, die rein und natürlich aufwächst und ein frisches Herz in der Brust hat; wie aber Werner zu ihr sagte: „Sag’ mir, ob Du mein sein willst,“ da ging die Kraft ihr aus; an’s Glück muß man sich auch gewöhnen. Sie sah ihn stumm an, als verständ’ sie ihn nicht, aber im andern Augenblicke hing sie ihm am Arme und war ohne Leben. Der alte Arzt, der im Schlosse zu Waldenberg schon lange wie ein Freund aus- und einging, kam gerade recht. Ihm konnte Werner sagen, was sie niedergeworfen, denn daß der Schmerz und die Sorge es nicht konnten, das hatte er am Bette des Kranken gesehn, und sein Haar war grau geworden unter viel Aufopferung. Er lächelte und sagte: „Dagegen gibt’s Mittel.“

Die Magdalene wußte nicht, wie ihr geschah, als ein Trauer- und Freudenfest zusammen in ihre stille Stube drang. Sie drückte die Hände fest zusammen und sagte zu dem jungen Schloßherrn:

„Unser Herr Gott macht Alles recht, denn das Kind weiß von Hoffahrt nichts und drum muß ihm das Glück zukommen aus freier Hand.“

Ob sie wohl glücklich wurden, der reiche Schloßherr und das arme Försterskind? Und ob wohl keins von den vornehmen Verwandten die Nase rümpfte, wie der reiche Herr von Walden sie als sein Weib auch in die Stadt führte? – Lust hatte manches, aber schöner, wie sie, und feiner und klüger gab’s keine im ganzen von Lichterglanz hellen Saale der großen Welt, als die Baronin Walden, unsere Marie Ulrich; und die Lust hatten, die Nase zu rümpfen, versahen’s und lächelten ihr zu.

Lange waren sie aber nicht im hellen Saale der großen Welt, denn sie zog’s nach Waldenberg und von da nach Gleichenberg. – In Waldenberg trafen sie nach wenig Jahren die alte Magdalene nicht mehr, sie war in Glück und Frieden heimgegangen, aber in Gleichenberg wohnte der junge Förster Karl Ulrich – und wenn der Herr und die Frau von Walden mit einem Häufchen braun- und schwarzgelockter Kinder dahin kamen, gab es einen Jubel ohne Ende, denn der Onkel Karl wußte jede Nußhecke und jeden Platz im Walde, wo Beeren und Blumen zu finden waren; die mußte er den Kindern der Schwester zeigen, denn er selbst lebte allein in dem Hause, wo er geboren wurde. Das war ein Jubel ohne Ende. Aber es jubelten nicht nur die Kleinen – auch Werner und Marie theilten die Kinderlust – was war ihnen dagegen der helle Saal der großen Welt?


Ein Besuch im zoologischen Garten zu Berlin.
(Zweiter Artikel.)

Zufolge des ganz glücklich beobachteten Systems einer angenehmen Abwechselung folgen den Raubthieren zunächst wieder die Wiederkäuer. Es sind die vier baktrischen Kameele und die Damhirsche. Von den ersteren befand sich eins schon im Garten, als zwei der übrigen von den von ihrer Reise aus dem Himalaya zurückgekehrten Brüdern Schlagintweit dorthin geschenkt wurden. Das Weibchen davon warf im Garten selbst kurz darauf ein Junges und dieses bewegt sich nun ganz munter und schon mit zwei ganz netten Höckern verziert unter den übrigen herum.

Gewiß wird Jeder das Kameel unschön finden mit seiner häßlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_686.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)