Seite:Die Gartenlaube (1858) 695.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

jeder Abend machte mir das Plätzchen theurer. Ich kannte zuletzt jeden Erker, ich wußte, wann dieser im Licht, jener im Schalten liegen würde; ich hatte die Barken auf dem Strome mit ihren weißen, dreieckigen, geblähten Segeln schon hundert Mal gesehen; ich wandelte schon seit mehr als Jahresfrist unter Palmen — und konnte doch nicht von meinem Schausitze lassen. Das kam daher, weil mir eine innere Stimme dunkel andeutete, daß ich einstmals noch weit mehr von jenem Orte aus entdecken sollte, als bisher.

Eines Abends träumte ich wiederum still der eben geschiedenen Sonne nach. Von den Minarets herab tönte noch die Mahnung des Mueddin an die Gläubigen, das Abendgebet zu sprechen. Deshalb war auch das Getöse der Stadt plötzlich verhallt, das Tiktak der Hämmer auf der nahen Werfte mit einem Male verstummt.

„Hai ál el salah!“ (Rüste Dich zum Gebet!) — sang der Verkündiger des Glaubens, und die meisten Gläubigen beeilten sich, der Aufforderung nachzukommen. Einige hatten die Wäsche bereits vollendet und lagen im Gebet auf den Knieen, zuweilen sich erhebend, um wieder niederzufallen und die Stirne in den Staub zu drücken, zuweilen beide Arme ausbreitend und wieder die Hände zusammenhaltend, wenn sie das aufgeschlagene Buch des Propheten darstellen sollten, wie dies das Gesetz des Islam erfordert; die ausdrucksvollen Gestalten waren förmlich umflossen von dem Golde des Abends. Andere waren eben im Begriff, sich nach den vorgeschriebenen Regeln zu säubern, „um rein hinzutreten im Gebet vor Gott.“ Ein Andachtshauch ging durch die still gewordene Stadt; selbst die Palmenkronen bewegten sich nicht mehr: ich aber lebte doppelt, denn ich wachte und träumte zugleich. Da wurden meine Augen von einem Bilde gefesselt, welches ich dem Traume zuschreiben wollte, und mit Luft der Wirklichkeit zuschreiben durfte. Auf der nächsten Terrasse war eine Frauengestalt erschienen, so schön, so anmuthig, so kindlich lieblich, wie ich sie bisher noch niemals erschaut hatte. Ich konnte mich nicht losreißen von ihr, und mußte sie anreden:

„Gebe Dir Allah, der Erhabene, einen glücklichen Abend, Herrin!“ rief ich zu ihr herüber.

Sie erschrak, und wollte sich das Gesicht mit dem Schleier verhüllen, hatte aber zum Glück dieses jetzt ganz entbehrliche Kleidungsstück unten vergessen.

„Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst Du? Und warum willst Du mir das Licht des Vollmondes, Deines Gesichtes, entziehen? Weißt Du nicht, daß ich ein Franke bin? In meiner Heimath verhüllen die Wolken wohl oft die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen auf Erden. Ich bin gewohnt, unsern lieblichen Töchtern der Erzmutter Eva frei in's Angesicht zu schauen; warum willst Du Sonne Dich mir verbergen? Bist Du nicht Christin?“

„Wohl bin ich Christin,“ erwiderte sie, „gelobt sei Gott und unser Herr; aber ich kenne noch keinen fremden Mann, welcher mein Gesicht gesehen hätte. Dein Land ist nicht mein Land, Deine Sitte nicht meine Sitte, Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sclavin; bedenke das, Guter! Möge Deine Nacht glücklich fein!“

Sie wollte gehen.

„Halt, Herrin, warum willst Du davon eilen? Hast Du mich noch nicht gesehen?“

„O, schon sehr oft; gleich am ersten Tage Deiner Ankunft sah ich Dich und seitdem alle Tage.“

„Nun wohl, fürchtest Du Dich vor mir?“

„Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit Dir zu reden.“

„Aber, Mädchen, ist denn die Sitte meines Landes nicht besser, als die des Landes der Mohammedaner?“

„Gewiß, Herr; ich habe oft gewünscht, die Tochter eines Franken zu sein; denn ich liebe die Franken, weil ich weiß, daß ihre Männer anders sind, als die unsrigen. Man sagte mir, daß ihre Frauen die wahren Freundinnen ihrer Männer wären; wir sind die Dienerinnen unserer Herren!“

„Hast Du denn einen Herrn, meine Herrin?“

„Nein, ich bin noch bei meinen Eltern. Doch glückliche Nacht!“

„Warum entfliehst Du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte Dich!“

„Ich darf nicht.“

„Go sage mir wenigstens Deinen Namen, Du liebliche Gazelle!“

„Ich heiße Warde.“

„Wirst Du wieder hierher kommen?“

„Ich darf nicht. Gute Nacht, Herr!“

Sie war verschwunden; ich wußte noch immer nicht, ob ich wachte oder träumte. Aber den Namen Warde hatte ich behalten, ich wußte genau, daß er „Rose“ bedeutet; denn ich verspürte den Duft dieser Rose — im Herzen. Ich hätte ja nicht einundzwanzig Jahre alt sein müssen! Zwar dachte ich an eine andere Blume in der Heimath, von welcher ich oft gemeint hatte, daß sie einmal für mich allein blühen werde; aber diese Blume war, seitdem ich die Rose des Morgenlandes gesehen hatte, fast verblichen. Ich entwarf Pläne, mich in das Haus meines Nachbars einzuschmuggeln, die Mauer zu übersteigen, welche mich von der mir zum Rosengarten gewordenen Terrasse trennte; ich dachte plötzlich an Hierbleiben und Hüttenbauen, kurz an Alles, woran ein junger Mann unter derartigen Umständen denken kann. Vorerst aber beschloß ich, abzuwarten, was der folgende Abend bringen würde.

Er kam und brachte mir wirklich meine Rose! Kindlich aufrichtig erzählte mir Warde, daß sie nicht habe kommen wollen; aber ich sei auch nicht, wie die andern fremden Männer. Das möge wohl daher kommen, daß ich ein Franke sei. Dann fragte sie mich, was ich von ihr wolle.

„Reden will ich mit Dir, Gazelle; meine Augen bedürfen ihres Lichtes; meine Seele bedarf des Hauches ihres Lebens; die Muscheln meiner Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.“

Ich wollte noch weit mehr sagen, aber ich merkte, daß es zweierlei Sprachen gibt im Leben. Vorher hatte ich mir eingebildet, recht gut arabisch sprechen zu können; jetzt sah ich, daß ich gar nichts von der Sprache verstand, als die allergewöhnlichsten Worte. Ich quälte mich mit Versuchen, die Gedanken auszudrücken, welche mir eine Wortfülle brachten, wie früher nie — aber nur eine Fülle deutscher Worte. Das, was ich eben gesagt hatte, war mir kurz vorher von einem weisen Scheich gelehrt worden, mit welchem ich eiligst Freundschaft geschlossen hatte. Aber der Unterricht dieses edlen Mannes reichte ja nicht zum hundertsten Theile aus. Ein Glück nur, daß er mir gesagt hatte, „Habihbti“ bedeute „meine Geliebte.“ Ich radebrechte also flugs weiter:

„Ich wünsche, o Rose, Du bist Habihbti.“

Sie lächelte. Dann fragte sie ernsthaft:

„Bist Du verheirathet, Herr?“

„Nein, Warde.“

„Hast Du eine angelobte Braut?“

„Nein.“

„Hast Du Eltern?“

„Gott sei Dank, ja.“

„Hast Du Schwestern?“

„Ja, eine einzige; aber sie ist weit, weit von mir, und meine Eltern auch, und Alle, welche ich liebe; ich bin ganz allein hier in der Fremde.“

Bedauernd sagte sie:

„Ja, Mischihn (Du Armer)!“ — Dann setzte sie hinzu: „Wohl, so will ich Deine Schwester sein; nenne mich Schwester, ich werde Dich Bruder nennen!“

Nun folgten schöne, herrliche Tage oder vielmehr Abende; ich lernte verstehen, was das Wort: „Leila“ (Nacht) bedeutet es klingt mir noch heute wie Musik, wenn ich es höre. Ich sah Warde allabendlich; der Vater mochte schmollen, die Mutter grollen, wie sie wollten, sie erschien doch. Ich nannte sie Schwester, aber ich durfte sie auch Habihbti nennen, sie nannte mich ja auch zuweilen Habihbi“ — und das Wort schien mir das schönste, wohllautendste der arabischen Sprache zu sein. Der Scheich lehrte mich Worte, wie sie in seinen Büchern standen; Warde lehrte mich solche, wie sie das frisch erblühte Leben bedurfte. Die Rose duftete für mich; ich durfte ihren Duft einsaugen, denn ich durfte meine Brust mit ihr schmücken. Ich war glücklich — und lernte alle Tage besser arabisch. Wie ein Kind — sie war noch fast ein solches — freute sich das liebliche Mädchen, als ich ihr einst Hafisee's Worte, die mich der Scheich gelehrt hatte, ohne Anstoß vortrug:

„Salah âle lillahi, ila jâmel el johm wu el leïla,
Wodjak, ja nuhni, el johm, wu schahrak, habihbti, el leïla!“

zu deutsch:

„Ich preise Gott, der Tag und Nacht gemacht,
Den Tag, Dein Antlitz, und Dein Haar, die Nacht!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_695.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2019)