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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

weltumgestaltende Erfindung genießen zu lassen. Da galt es, zu handeln und zunächst dahin zu streben, daß auch in Deutschland das wenigstens versucht werde, was sich bereits im Ausland als zweckmäßig erwiesen hatte. Konnte man auch für den Anfang keinen großartigen Plänen Raum geben, so erschien es doch rathsam, einen den Verhältnissen entsprechenden Versuch im Kleinen zu machen. War es auch von jeher schwierig, bei industriellen Unternehmungen einen Erfolg und Ertrag im Voraus mit Zuverlässigkeit zu berechnen, und steigerte sich diese Schwierigkeit namentlich bei Eisenbahnen, weil sich die bestehenden Verhältnisse durch ein neues hineingeschobenes Element außerordentlich verändern, ja sogar neugestalten, so gab doch die bedeutende Frequenz, wie sie schon seit Jahren zwischen den Schwesterstädten Nürnberg und Fürth bestand, um so mehr Bürgschaft, daß der Bau einer Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth günstige Resultate liefern würde, als die Industrie beider Städte von Jahr zu Jahr im Zunehmen begriffen war.

Scharrer stimmte in seinen hochherzigen und wohlerwogenen Plänen mit Platner überein, indem beide Männer immer das eine Ziel im Auge hatten, ihre Vaterstadt mit einem erfolgreichen Unternehmen zu beglücken, dessen Ausführung an andern Orten des Vaterlandes an den vielen sich bietenden Schwierigkeiten bereits gescheitert war. Welche Vorurtheile machten sich von den verschiedensten Seiten geltend, als Scharrer sein Project zum ersten Male öffentlich zur Sprache brachte! Aus dem Chaos von Meinungen und Ansichten tauchten die merkwürdigsten Urtheile auf. Jetzt, wo nach allen Ecken und Enden Deutschlands Schienenwege laufen, klingen diese Dinge fast komisch! Manche bezeichneten die Eisenbahnen als ein Symptom krankhafter Unruhe und nervöser Ungeduld der Zeitverhältnisse, oder als nothwendiges Uebel, das die Engländer über die Menschheit gebracht hätten. Wieder andere beschränkte Köpfe machten sogar auf den starken Luftzug und die nachtheiligen Folgen aufmerksam, welche dieser für die Gesundheit der Fahrenden haben müsse. Statt die Eisenbahn als Besiegerin der Zeit anzuerkennen, durch deren Benutzung die Weltanschauung der Menschen sich mannichfaltiger und reicher gestalten werde, klagten Viele, daß man in Zukunft die Gegenden zu rasch durchfliege, um angenehm reisen zu können. Alle diese Vorurtheile und Absurditäten eines von den Zeitverhältnissen überflügelten Philisterthums boten zwar Hindernisse, die jedoch durch die erhabene Idee, von der bereits einzelne Männer durchdrungen waren, bald beseitigt wurden.

Scharrer hatte sehr richtig die Behauptung aufgestellt, daß Eisenbahnen mit der Aussicht auf eine den gewöhnlichen Capitalzinsfuß übersteigende Ertragsfähigkeit nur da hergestellt werden könnten, wo eine in starkem Verkehr mit einander stehende Bevölkerung durch die Bahnlinie verbunden würde, und sowohl die Bau- und Einrichtungskosten, als auch die Unterhaltungskosten mit der zu erwartenden Personenfrequenz in einem günstigen Verhältniß ständen.

Die Frequenz der Straße zwischen Nürnberg und Fürth hatte man zwei Monate lang genau beobachtet, und aus den gesammelten Notizen sehr befriedigende Schlüsse gezogen, wie sich der Verkehr auf der Eisenbahn gestalten müsse. Der Kostenanschlag einer Eisenbahn mit Dampfkraft zwischen Nürnberg und Fürth belief sich anfangs auf 132,000 Gulden, und das ganze Unternehmen sollte durch eine Gesellschaft in Ausführung gebracht werden, deren Mitglieder das erforderliche Capital durch Actien à 100 Gulden zusammenschießen würden. Man hatte die Proposition gemacht, daß nach vollendeter Subscription die Mitglieder der provisorisch gebildeten Actiengesellschaft sich vereinigen möchten, um über den Entwurf einer Gesellschaftsacte, über die Wahl der Repräsentanten und die Ausführung des Unternehmens selbst zu berathen und zu beschließen.

Waren auch vielen Kaufleuten der beiden Handelsstädte die Vortheile eines Actienunternehmens bekannt, so war doch das größere Publicum hiermit im Anfang nur wenig vertraut. Scharrer war desto mehr von der Zweckmäßigkeit eines solchen Unternehmens überzeugt, und es gelang ihm, noch andere hochgeachtete Persönlichkeiten für das Project zu gewinnen. Im Verein mit ihnen wurde im Mai 1833 der erste Aufruf an die Bürger Nürnbergs und Fürths erlassen, und darin zur Betheiligung an dem Unternehmen eingeladen. Den gemachten Vorschlägen wurde von vielen Seiten die größte Aufmerksamkeit geschenkt, man prüfte sie genau, und erkannte ihre Wichtigkeit. Viele betrachteten es gleichsam als eine Ehrensache, das vorgelegte Project nach besten Kräften zu unterstützen, und zum Ruhme von Nürnberg und Fürth auch in Ausführung zu bringen.

Ohne manche aus kleinlichen Nebenabsichten entspringende Meinungen zu beachten, und sich dadurch irre führen zu lassen, schritt das im Mai 1833 zusammengetretene Comité mit Sicherheit vorwärts, und hatte schon im November desselben Jahres die Genugthuung, durch 207 Theilnehmer das erforderliche Capital gedeckt zu sehen. Konnte man auch mit diesem vorläufigen Resultat in jeder Hinsicht zufrieden sein, so waren doch bis zur Erreichung des schönen Zieles noch große Schwierigkeiten zu überwinden. Allen Betheiligten war es klar, daß bei der Wichtigkeit einer Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth, als derartiges erstes Unternehmen in Deutschland, besonders viel daran gelegen sei, dieselbe auf die möglichst vortheilhafte und zweckmäßige Art auszuführen und dabei jeden Mißgriff zu vermeiden, wodurch das vollkommene Gelingen des Projectes in technischer und ökonomischer Hinsicht ganz oder zum Theil verhindert werden könnte. Denn da bekanntlich der große, aus Nichtsachverständigen bestehende Theil des Publicums den Werth jeder neuen Unternehmung nach dem Erfolge zu beurtheilen pflegt, und selbst den besten und solidesten Plan nach einem fehlgeschlagenen ersten Versuche zu verwerfen geneigt ist, ohne genau zu untersuchen, woran die Schuld des Mißlingens eigentlich liegt, so hätte irgend ein Fehler oder eine getäuschte Erwartung sehr nachtheilig auf die öffentliche Meinung einwirken und wo möglich das Vorurtheil für lange begründen können, daß Eisenbahnen in Deutschland überhaupt nicht anzuwenden seien.

Man erbat sich daher zunächst die Ansicht eines Sachverständigen, des Oberst-Bergrath von Baader in München, eines Mannes, dessen langjährige Studien auf dem Gebiete der Mechanik und Technik allseitige Anerkennung gefunden hatten. Außerdem wurde mit dem Ingenieur Stephenson in Newcastle eine lebhafte Correspondenz unterhalten. Unter seiner Direction war nicht nur die Liverpooler Eisenbahn erbaut worden, sondern er hatte auch bereits im Jahre 1829 durch eine neu erfundene Construction der Locomotive einen Preis von 500 Pfund Sterling davongetragen. Der Rath eines so praktisch und theoretisch gebildeten Mannes verdiente vollkommene Beachtung. Er erbot sich, zwei Locomotiven für die Nürnberg-Fürther Bahn zu 21,000 Gulden inclusive der Transportkosten bis nach Nürnberg zu liefern. Auch versprach er, einen seiner tüchtigsten Ingenieure zur Erbauung der Bahn nach Nürnberg zu senden, wenn man sich verbindlich mache, demselben einen jährlichen Gehalt von 7200 Gulden und seinem Begleiter, einem jüngeren Techniker, 2400 Gulden auszubezahlen.

Solchen hohen Honorarforderungen der beiden Engländer konnte für den Anfang nicht genügt werden. Glücklicherweise wurde auch das Comité während der mit den Ausländern gepflogenen Unterhandlungen auf den in München lebenden Ingenieur Denis aufmerksam, der kurz zuvor von einer längeren Reise in Nordamerika und England zurückgekehrt war. Denis hatte in diesen Ländern die Construction der verschiedenen angelegten und im Bau begriffenen Eisenbahnen zum Hauptgegenstand seiner Beobachtungen und seines Studiums gemacht, und sich treffliche Kenntnisse und Erfahrungen erworben. Einen solchen Mann bedurften die Nürnberger zur Ausführung ihrer Pläne, durch ihn wurden sie der Mühe überhoben, den Engländern gute Worte und viel Geld zu geben, damit solche durch persönliche Leitung des Baues das Eisenbahnproject realisirten.

Denis nahm alsbald an Ort und Stelle die erforderlichen Arbeiten in Angriff, und schon nach wenigen Monaten war das Ergebniß seines Nivellements, sowie die übrigen zum Bau nothwendigen Pläne, nebst den Kostenvoranschlägen, in den Händen des Comités.

Von Anfang hatte man die Absicht, auf der Nürnberg-Fürther Eisenbahn neben der Dampfkraft die Pferdekraft in Anwendung zu bringen. Es fand diese Frage nunmehr ebenfalls ihre Erledigung, indem es einleuchtete, daß durch die Benutzung der Pferdekraft hinsichtlich des Feuerungsmaterials und der Reparatur der Dampfmaschine eine nicht unbedeutende Ersparniß erzielt werden könne. Die zwischen Nürnberg und Fürth liegenden Grundstücke waren unterdessen, soweit wie es nöthig erschien, von den Besitzern acquirirt worden, für Anfertigung der Schienen hatte man schon früher einen Eisenwerkbesitzer gewonnen, der Grundbau der Bahn war ebenfalls vollendet, so daß im Juli 1835 die ersten Schienen auf den die Unterlage bildenden Quadersteinen befestigt werden konnten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_718.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)