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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Aus dem Meer-Leben.[1]
Der Sturmvogel. – Der Albatroß. – Vogelfang auf St. Kilda. – Wunderbare Rettung eines Vogelfängers. – Der Guano der Chincha-Inseln.

So wie der Wallfischfänger über die Shetlands-Inseln hinausfährt bis in die höchsten Breiten, sieht er sich von dem entengroßen, weißgrauen Eissturmvogel oder Fulmar begleitet, der ewig wachsam sogleich auf Alles, was über Bord geworfen wird, pfeilschnell herabschießt. Der auf der Feste unbeholfene Vogel fliegt im stärksten Sturme gegen den Wind. Oft sieht man ihn zu Tausenden um einen todten Wallfisch versammelt; und so wie auf der peruanischen Hochebene Condore und Aasgeier aus unbegreiflichen Fernen um das gefallene Maulthier sich zusammenschaaren, so lockt auch aus allen Himmelsgegenden die leckere Riesenmahlzeit den Fulmar herbei. Wirft man einen Stein unter die Menge, so erheben sich die zunächst schwimmenden; und der Schrecken pflanzt sich fort, bis endlich die ganze Bande auffliegt, deren heiseres Geschrei mit dem Plätschern des Wassers zu einem ganz eigenthümlichen Concert sich verbindet. Die Gierigkeit des dummdreisten Vogels, der sich nicht wegjagen läßt, man mag noch so viele mit Boothaken erschlagen, gewährt den rohen Matrosen ein unterhaltendes Schauspiel. Wie neidisch sieht er den andern ein leckeres Stück davontragen, wie frech und verwegen stürzt er sich auf ihn, um ihm den Bissen zu entreißen, wie hastig verschlingt er das Seinige, um ja nicht auf dieselbe Weise gestört zu werden! Wenn das Aas selten ist, folgt der Fulmar auch dem lebenden Wallfische, als ob er schon auf dessen künftiges Loos speculirte, und zeigt dann durch sein eigenthümliches Hin- und Herfliegen dem erfahrenen Jäger an, wo er seine Beute zu suchen habe.

Der arktische Sturmvogel scheint dem Pole nicht so nahe zu rücken, wie der Fulmar. Er ist selten in Island und nistet viel auf Neufundland. Dasselbe ist der Fall mit der Procellaria Anglorum, welche auf den Faröern und den Orkaden häufig angetroffen wird. Die tropischen Petrels sind am wenigsten bekannt. Sie scheinen sich nicht truppweise zu versammeln und folgen selten den Schiffen. Gegen 45° S. B. zeigen sich die ersten Pintaden und fangen an, seltener zu werden, sowie man 60° überschreitet. Der Riesensturmvogel reicht bis an die Eisbänke der Südens, wo zuerst der antarktische und der Schneesturmvogel erscheinen, welche jenes rauhe Klima nicht verlassen und oft zu Hunderten auf dem Treibeis gesehen werden.

Die Nahrungsweise der Sturmvögel stimmt wenig mit ihrer äußeren Schönheit überein, sie sind die Raben des Oceans und leben von allen todten, thierischen Substanzen, die auf der Oberfläche umherschwimmen. Wo nur ein verwesender Wallfisch, von der Strömung getragen, das Meer in weiter Ferne mit einem Streifen faulenden Thranes überzieht, sieht man sie in den unreinen Gewässern beschäftigt. Alle Petrels haben die merkwürdige Eigenschaft, ein übelriechendes Oel aus ihren Nasenlöchern zu spritzen oder zu erbrechen, wenn man sie erschreckt.

Der Albatroß ist der eigentliche König des hohen Meeres, das Bild eines Helden, der unter den heftigsten Stürmen des Mißgeschicks den unerschütterlichen Gleichmuth eines starken Herzens bewahrt.

Stolz und edel schwimmt er auf seinem Elemente und Trotz bietet er jedem Toben der See und jedem Brausen des Sturmes; ohne das Wasser auch nur mit den Flügelspitzen zu berühren, erhebt er sich mit der steigenden Woge und senkt sich wieder in den nahen Abgrund hinab.

„Es ist wunderbar,“ sagt Herr von Tessan, „wie die Albatrosse die Wuth der entfesselten Elemente verachten und gegen den furchtbarsten Wind anfliegen. „„Sie scheinen so ungenirt, als ob sie zu Hause wären,““ sagten unsere Matrosen. Und wahrlich, dieses Wort ist vollkommen bezeichnend, denn kaum daß man alle fünf Minuten, alle halbe Viertelstunden sogar einen einzigen Flügelschlag wahrnimmt; sonst schweben sie fast beständig in der Luft. Nur in der Nähe bemerkt das Auge eine leichte zitternde Bewegung am hintern Flügelrande und hört das Ohr ein schwaches Anstreifen der Federn gegeneinander. Wahrscheinlich muß man in dieser vibrirenden Bewegung der Schwingen, welche an die ähnliche des Fischschwanzes erinnert, die Ursache des so lange anhaltenden Schwebens suchen.“

Der Albatroß übertrifft den Schwan an Größe, wiegt 12 bis 28 Pfd. und erreicht eine Flügelweite von 10 bis 15 Fuß.

Wochen und Monate lang folgt er dem Laufe der Schiffe, doch glaubt Harvey, daß man die Dauer seines Fluges sehr überschätzt hat. Obgleich er, wie die Möve und die Seeschwalbe, kein Tauchvogel ist, so schwimmt er mit großer Leichtigkeit, und trotz der ungeheueren Weite seiner Flügel weiß er sich recht gut wieder in die Lüfte zu erheben. Es ist wahr, daß der gefangene Albatroß vom engen Raume des Schiffsverdecks nicht wieder auffliegen kann, woraus man voreilig geschlossen hat, daß die Vögel, welche wochenlang den Seefahrer begleiten, diese ganze Zeit in der Luft zubringen. Aber Niemand kann den wandernden Albatroß aufmerksam beobachtet haben, ohne zu sehen, daß er sich häufig auf’s Wasser niederläßt. Er lebt von thierischen Substanzen, die auf der Oberfläche schwimmen, und obgleich er manchmal seine Nahrung im Fluge erhascht, so faltet er eben so häufig seine Flügel und schwimmt wie eine Möve herum. Wünscht er sich dann zu erheben, so sieht man ihn laufen und mit den Flügeln auf’s Wasser schlagen, bis er den gehörigen Schwung bekommen und eine Welle von hinreichender Höhe gefunden hat, von deren Kamme er alsdann wie von einer Felsenkante aufspringt und seinen majestätischen Flug über eine weite Strecke des Oceans von Neuem beginnt. Der Albatroß wird selten im Norden gesehen; er gehört besonders der südlichen Hemisphäre an.

Alle Reisenden wissen, daß sie der Südspitze Afrika’s nicht mehr fern sind, sowie die Albatrosse in größerer Anzahl erscheinen. Diese Vögel sind die Geier des Oceans; ihr gekrümmter scharfkantiger Schnabel ist eher dazu geeignet, eine leblose Beute zu zerreißen, als den schnellen Fisch im Schwimmen zu erhaschen. Aus weiter Ferne riechen sie das todte Wallthier und versammeln sich bald in großen Schaaren um die riesige Leiche. Außer dieser mehr zufälligen Speise verschlingen sie auch Crustaceen und Pteropoden, besonders aber Kopffüßler, die auf offenem Meere sehr häufig vorkommen und, wie wir wissen, auch den riesigen Cachalot ernähren. Fast immer werden Cephalopodenreste in ihrem Magen gefunden, niemals Ueberbleibsel von Fischen. Die Aucklands- und Campbellinseln scheinen Lieblingsbrüteplatze des Albatroß zu sein. Während Sir James Roß im November sich dort aufhielt, waren sie so eifrig mit dem Brüten beschäftigt, daß sie sich ohne allen Widerstand fangen ließen. Das Nest besteht aus einem mit trockenen Blättern und Gräsern untermischten Sandhügel, der durchschnittlich 18 Zoll hoch ist und einen Durchmesser von 27 Zoll an der Oberfläche und von 6 Fuß an der Basis hat. Während des Brütens überragt der schneeweiße Kopf und Hals des Vogels die Gräser und verräth ihn aus weiter Ferne. Will man ihn von seinen Eiern vertreiben, so vertheidigt er sich herzhaft und klappert mit dem Schnabel, als ob er dem Angriffe Trotz bieten wollte. Sein größter Feind ist eine wilde Raubmöve, die immer auf der Lauer ist und, so wie der Vogel das Nest verläßt, darauf losschießt, um es zu plündern.

Schnell fliegt der Albatroß, aber noch schneller durcheilt der Gedanke den Raum und führt uns plötzlich von den wüsten Inseln der Südsee in eine andere Hemisphäre. So bitten wir denn den Leser, dem wir gerne noch das Bild einer großen nordischen Seevogelrepublik vorführen möchten, uns nach Saint Kilda, der äußersten der Hebriden, zu begleiten, wo ihn zugleich die großartigste Felsenscenerie erfreuen wird. Das kleine, etwa eine Meile im Umfange messende Eiland steigt überall fast senkrecht aus dem Schooß des Oceans empor und bildet an seinem östlichen Ende, welches sich 1380 Fuß über dem Wasserspiegel erhebt, die höchste Felsenwand der britischen Inseln. Vom Rande dieses Abgrundes genießt man eine Aussicht, die alle Vorstellungen übertrifft, die man sich von der Erhabenheit eines wilden Steilufers hat machen können. Weit unten in der Tiefe sieht man die Brandung den schwarzen

  1. Mit Genehmigung des Herrn Verlegers aus der soeben erschienenen 4. Auflage des Prachtwerks: „Hartwig, das Leben des Meeres“ entnommen, eins der empfehlenswerthesten populär-naturwissenschaftlichen Werke, das sich eben so sehr durch seine poetisch-warme Sprache, wie durch seine schöne Ausstattung auszeichnet.
    D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_723.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)