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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Gesichts der jetzigen Prinz-Regentin von Preußen zu beleben und zu erwärmen. Wie sie in ihrem furchtbaren Kampfe um das Leben ihres geliebten Gatten alle Möglichkeiten auffand und versuchte, wagte sie auch 1849 an diese glücklichen Stunden zu erinnern. Bekanntlich aber blieben in dieser Richtung alle die herzerschütternden Bemühungen der Gattin und Mutter nicht nur erfolglos, sondern das Urtheil des nach langen Vorbereitungen und Wandelungen als das strengste ausgesuchten Kriegsgerichtes: lebenslängliche Festungsstrafe (die nach dem klar vorliegenden Gesetze höchstens auf zehn Jahre lauten konnte), wurde auf eine bis jetzt noch unaufgeklärte Weise in lebenslängliches Zuchthaus verwandelt.

In Berlin eröffnete sich Aussicht auf freiwillige Scheidung. Sie kehrte deshalb nach Bonn zurück und ward hier nach dem Code Napoleon gerichtlich geschieden. Da aber die katholische Kirche nicht scheidet, galt es später, um ihren wahren Ehebund zu schließen, sich von der Verantwortlichkeit vor dieser Kirche zu befreien. Dies that sie auf eine Weise, über die sie sich in den „Erinnerungsblättern“ so klar und offen ausgesprochen hat, daß wir darin nur die That eines weiblichen Herzens erkennen, das den Muth hat, aus innerster Ueberzeugung seiner Ehre und Sittlichkeit zu folgen. Als sie von Berlin nach Bonn zurückkam, sah sie Kinkel zum ersten Male wieder (sie hatten sich als Kinder gekannt). Es war in dem Hause des jetzigen preußischen Staatsministers Bethmann-Hollweg. – Die damals imposanteste und populärste Persönlichkeit der Universität und die geistvolle Frau und Künstlerin mögen sofort ein Gefühl gehabt haben, daß sie einander gehören. Sie trafen sich oft in Gesellschaft und machten Ausflüge zu Lande und zu Wasser; aber erst ein besonderes Unglück während einer abendlichen Spazierfahrt auf dem Rheine brachte die Knospe der Liebe zur Entfaltung und Blüthe. Sie wurden am 4. September 1840 von einem Dampfschiffe überfahren und in die Rheinfluthen geworfen, Kinkel rettete sie durch Schwimmen. Als er sie dem Tode entrissen, fiel sie ihm um den Hals und

„Du warst gerettet, mir gerettet
Für eine frische Lebensbahn;
An meine Brust lagst Du gebettet,
Und weinend blicktest Du mich an.
Und wie, vom Stromgott losgebunden,
Mich Deiner Locken Schwall umfloß,
Empfand ich willig mich umwunden
Von Deiner Liebe fessellos.

„Da fiel des Lebens höchste Stunde
Vom Himmel uns mit Allgewalt:
Frei gab Dein Mund sich meinem Munde,
Von Wonneschauern heiß durchwallt.
Da löste sich aus Todesschmerzen
Das allererste heil’ge Du:
Du hauchtest es aus vollem Herzen
Mir Uebersel’gem zu.“[1]

Sieben Jahre nach der Trennung von dem Buchhänder Matthieux war die Scheidung erfolgt, am 22. Mai 1840, um 11 Uhr. Nach dem Code Napoleon mußte die Geschiedene drei Jahre bis zur Wiederverheirathung warten. Diese fand am 22. Mai 1843 eine Viertelstunde nach 11 Uhr statt. Die Viertelstunde mußte zugegeben werden, weil man auf dem Rathhause gewissenhaft bemerkte, daß die Uhren entweder 1840 oder jetzt unrichtig gegangen sein könnten.

Die Oppositionen der beiden Kirchen, die durch diese Ehe berührt wurden, traten sofort in ihrer Weise gegen das Paar auf. Kinkel wurde von dem preußischen Ministerium für beförderungsunfähig in der theologischen Facultät erklärt. Er ward Professor der Literatur- und Kunstgeschichte, über die er ein besonderes Werk geschrieben. Das junge Paar schuf sich selbst eine schöne Welt:

„Es ruhte fromm und still befriedet
Nun Herz an Herz und Geist an Geist.“

Lassen wir sie selbst sprechen:

„Im Schlosse Clemensruhe bei Bonn, wo wir während unserer ersten Ehejahre wohnten, wurden dem Feste Peter und Pauli zu Ehren zwei Zimmer reich mit Blumen geschmückt, deren eines an die Galerie des inneren Hofes stieß, während das andere, durch eine weite Flügelthüre mit diesem zu einem Raum verbunden, die freie Aussicht über den Schloßgarten nach dem fernen Siebengebirge gewährte. Der ätherblaue Hintergrund hob sich reizend gegen die dunkeln Laubgewinde ab, die in Form eines gothischen Bogens die innere Thüröffnung bekleideten. Im Halbkreis saßen Männer und Frauen, die Häupter mit Kränzen von Epheu und Rosen geschmückt, und bildeten das Gericht über die jüngsten Werke des heitern Bundes (rheinischen Poeten-Vereins), die hier zum ersten Male zum Vortrag kommen sollten. Dieses Fest war von einem wahrhaft griechischen Hauch verklärt. Eine edlere, geistigere Stimmung im geselligen Genuß konnte nicht gefunden werden. Welche Erscheinungen zierten diesen Kreis! Genie, Freiheit und Grazie, Schönheit und Liebenswürdigkeit – jede holde menschliche Eigenschaft war dort einmal in ihrer höchsten Steigerung vertreten.

„Hier saß Carl Simrock, der Mann, der mit nie ermüdender Kraft den Hort uralter Schätze deutschen Heldensangs noch einmal aus den Fluthen der Vergessenheit an’s helle Sonnenlicht unserer Tage förderte u. s. w.

„Hier entzückte uns Emanuel Geibel durch sein wundervolles Talent des Improvisirens –

„Neben ihm contrastirte der kluge, das Maß nie vergessende Carl Beyschlag –, auch Alexander Kaufmann. – Wie könnte ich bei allen Namen verweilen, an deren jeden sich Erinnerungen der anmuthigsten Stunden knüpfen, die unser Haus genoß, indem sie unserm Kreise die feinste Blüthe ihres Talentes darbrachten. Einen sehr bedeutenden Antheil an dem Glanz unseres Festes hatten auch die weiblichen Gäste, Emilie von Binzer, die Novellistin, Marie, die Anmuthreiche, Mela, die fast von überirdischer Schönheit Strahlende, Mathilde, die still Sinnende, ach und unsere vortreffliche Freundin Auguste!

„Es war der Tag Peter und Pauli, an dem Kinkel verwundet und gefangen worden. An diesem Tage feierten wir ehedem das Stiftungsfest unseres rheinischen Patrioten-Vereins. –

„So stand die rosengeschmückte Festeshalle jetzt wieder vor meinen Augen, ich sah ihn, den ich, die Liebende, als den belebenden Geist dieser klassischen Geselligkeit empfand, in meinen Träumen noch einmal, wie damals, inmitten des epheuumrankten Bogens hoch emporgerichtet auf der Rednerbühne stehen, wie er vor vier Jahren zum ersten Male den in der Nacht vorher vollendeten „Quintin Messys von Antwerpen“ dem erwählten Kreise vortrug. Und an diesem Jahrestage, der so oft sein Haupt von Lorbeerzweigen, die verehrender Freunde Hand ihm flocht, beschattet grüßte, um dieselbe Stunde vielleicht sank er mit blutender Stirn zu Boden, fern von Allen, die so heiß ihn liebten!“ –

„Eine andere Erinnerung ward in mir lebendig,“ erzählt sie weiter, „als ich am andern Morgen das Boot in Coblenz bestieg. Hier hatten wir uns vor sechs Jahren zu Schiffe auf die Brautreise begeben, um unsern Freund Freiligrath in St. Goar zu besuchen. Eben waren Fr. v. Sallet’s Gedichte neu erschienen. Kinkel hatte sie mit auf die Reise genommen, und zeigte mir die „Romanze von einem deutschen Weibe“, zu welcher der Verfasser die Worte „nicht erfunden“ angemerkt hatte. Die Romanze erzählt, wie am Tage, „wo das Volk die Schranken verhaßten Druckes bricht,“ ein Mann zögert, von dem geliebten Weibe zu scheiden. Die Frau steht endlich auf und, die Hand auf seinem Arm, spricht sie zum Manne: „Jetzt geh!“ Der Dichter schließt mit den Worten:

„Und der dies Lied gesungen,
Hat auch ein liebes Weib.
Wenn ihm der Ruf erklungen,
Sie wird nicht sagen: „Bleib!“

„Kinkel stellte mich damals, die vor wenig Tagen ihm Vermählte, auf die Probe und fragte: „Nicht wahr, Johanna, auch Du würdest nicht sagen: „Bleib!“?“ –

„Furchtbare Macht, die auf die Lippe des Sängers gelegt ist.“ –

Diese Worte trennten das Paar am 10. Mai 1849, und zerstörten eine schöne Welt in der poetischen Hoffnung, daß für die ganze Menschheit eine schönere zu erkämpfen sei.

„Er wiederholte am 10. Mai Sallet’s Vers und setzte hinzu: „Halte mich nicht, Du Starke!“ – –

„Muß er scheiden, dachte ich, so mag er mindestens mit Freudigkeit scheiden; sein Weib soll ihm nicht den Wermuthbecher, sondern in ihrem Abschiedswort den stärkenden Wein kredenzen. Und so habe ich gethan.

„Er trat an die Bettchen unserer vier Kinder, die schon alle schlummernd lagen, ahnungslos, welch ein schreckliches Schicksal sich jetzt ihnen bereite. Als er auf die reinen Stirnen seiner holden Engelein den letzten Vaterkuß drückte, durchschütterte es meine Seele wie ein Angstschrei der Verzweiflung: „Gott, wie ist es möglich, daß ein Vater solche Kinder verlassen kann!“

  1. „Gedichte von Gottfried Kinkel. Vierte Auflage. Seite 229. Seine „Elegieen im Norden an Johanna“ werden jetzt mit mehr Verständniß und Genuß gelesen werden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_010.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)