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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


No. 2.   1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vielteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Er betet.
Erzählung von J. D. H. Temme, Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder“.
(Fortsetzung.)

„Auch in Ihrer letzten Stunde?“ rief der Präsident.

Der Rath Rohner sah ihn verwundert an.

„Meine letzte Stunde ist eben meine letzte Stunde.“

„Sie treten vor Gott, mein Herr!“

Der Präsident sprach es wohl eifriger, als die steife amtliche Stellung es mit sich gebracht hätte.

Der Rath Rohner antwortete nur mit einem Hohne, der um seine Mundwinkel lächelte. Selbst der Rath, der eine glänzende Carriere machen wollte, konnte ihn ohne ein inneres Grauen nicht ansehen.

„Er hat noch nie gebetet!“ flüsterte der fromme Rath seinem Nachbar zu, und dieser fromme Rath war wahrhaftig ein braver Mensch.

Dem Rath Rohner war seine Ueberzeugung nicht zu nehmen. Auch dem frommen Rath nicht. Die beiden andern Vertreter für die Todesstrafe hatten vielleicht eben keine Ueberzeugung gehabt.

Das Todesurtheil blieb beschlossen. Das neunzehnjährige Mädchen sollte als Vatermörderin gerädert werden. Die Richter verließen doch den Gerichtssaal gebeugten Hauptes. Nur der Rath Rohner trug das Haupt hoch, stolz, fest, hart. –

Meine geneigten Leserinnen – ich wende mich nur an die von Ihnen, denen bei Hellem Geiste in der Brust ein für das Gute warmes Herz schlägt, Sie sind dann auch meine schönen Leserinnen –

Meine schönen geneigten Leserinnen, sollten Sie beim Lesen dieses Capitels sich haben langweilen können, dann bitte ich Sie, lesen Sie es – noch einmal, und machen Sie sich dabei klar, wie viel Gutes eine geistvolle und edle Frau über den Mann vermag und auch vermögen soll.

Und wozu soll Ihnen das hier klar werden?

Die Männer werden mich närrisch, die deutschen Gelehrten werden mich geradezu einen Idioten nennen. Aber ich wollte doch, in jedem Criminalgerichte säße auch eine edle, geistvolle Frau mit an dem grünen Tische. Wäre es auch nur eine einzige, hätte sie auch nur eine berathende Stimme, dürfte sie diese selbst nur durch ihre Mienen laut werden lassen, es sähe doch besser um die Strafrechtspflege in der Welt aus.

Daß es so wird, damit wird es noch lange Weile haben. Aber zum Guten auch auf ein richterliches Gemüth wirken, das können, das sollen edle Frauen zu allen Zeiten.



II.
Der Sohn des Richters.

Es war zwei Uhr Nachmittags. Der Rath Rohner war noch nicht wieder zu Hause. Die Sitzung hatte lange gedauert. Es war die Sitzung, in welcher durch den Ausschlag der Stimme des Raths das Todesurtheil gegen die Vatermörderin beschlossen war.

Aus dem Arbeitscabinet des Raths trat ein Polizeibeamter.

„Also bis drei Uhr!“ sprach er in das Zimmer zurück, indem er es verließ.

„Auch etwas später,“ bat eine Stimme im Cabinet. „Ich bitte darum. Sie wissen.“

„Ich weiß.“

Der Polizeibeamte machte die Thür hinter sich zu, und nahm den Weg zum Hause hinaus.

Es war ein ältlicher Mann, der mit ihm in dem Cabinete gesprochen hatte; eine kleine, etwas runde Gestalt, ein außerordentlich gutmüthiges, wohlwollendes Gesicht. Aber in diesem Augenblicke sah es verstört aus. Ein heftiger Schreck, Angst, Schmerz zeichnete sich darin ab. So blickte er dem Polizeibeamten nach.

„Auch das noch!“ sagte er schmerzlich für sich. „Aber konnte es anders kommen? Doch so, doch so! Ein gemeiner Betrüger! Ein Fälscher!“

Die Thür des Zimmers ging auf.

Ein junger Mann trat ein. Ein hübscher Mann im Anfange der zwanziger Jahre, etwas verlebt, etwas frivol. Er sah mit einer gewissen leisen Unruhe im Zimmer umher, dann auf den ältlichen Mann. Der alte Mann erschrak im ersten Momente, als er den jungen Mann sah, noch mehr. Aber er hatte sich schnell gefaßt.

„Wer war hier?“ fragte ihn der junge Mann.

„Hast Du ihn nicht gesehen?“ fragte der Alte zurück.

„Der Polizeicommissarius?“

„Ja.“

„Was wollte er?“

Den alten Mann übernahmen plötzlich Schmerz und Angst.

„Rudolph, Rudolph –“ brach es bittend, warnend, weinend aus ihm heraus.

Aber der junge Mann unterbrach ihn höhnisch, verächtlich, cynisch.

„Bist Du einmal wieder ein altes Weib, alter Narr? – Antworte, was wollte der Beamte?“

Der Hohn hatte den alten Mann nicht aus seinem Schmerze, aus seiner Liebe herausbringen können.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_017.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2017)