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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

freundlichen Leser, der sie mit angesehen, nur noch um Geduld für ein paar Worte. Ich möchte diejenigen, welche gern Schlitten fahren und – vielleicht als Ersatz für eine ihnen Versagte Schlitten-Partie – wenigstens in der Phantasie an interessanten Schlittenreisen Theil nehmen wollen, an drei Männer erinnern, welche wohl von allen Gebildeten die größten Reisen zu Schlitten gemacht und dieselben am anziehendsten erzählt haben.

Der älteste ist der deutsch-russische Erdumsegler Wrangell, der während seiner sibirischen Fotschungsreisen auf den Schneeflächen des unwirthbaren Landes und auf der Eisdecke des ödesten Meeres viele gefährliche Schlittenfahrten mitgemacht hat. Seine Reisebeschreibung ist eine für Winterabende sehr geeignete Unterhaltung.

Wenn man Wrangell’s Reisebeschreibung als das Heldengedicht der Schlittenfahrer bezeichnet, so muß man die des Amerikaners Kane das Drama derselben nennen. Die von ihm erzählten Schlittenfahrten sind keineswegs lustig zu lesen; im Gegentheil wird das Herz des Lesers öfters zu innigem Mitleiden gerührt oder zu beklemmender Bangigkeit gepreßt. Es waren die schwersten Entbehrungen und schrecklichsten Leiden zu erdulden; Schneeblindheit, Frost, Hunger, Ermattung, Körper- und Geisteskrankheiten rieben einige seiner Genossen auf; verfielen doch selbst einige neufundländer Hunde, welche die Schlitten zogen, in Zufälle, welche Starrkrämpfen und Delirien glichen. Aber aber alle diese Schrecken erhebt uns die Bewunderung, die wir für den einzigen Mann fühlen, der in menschenfreundlichem und wissenschaftlichem Eifer so Großes wagte und so ausdauernd und genial durchsetzte. Ueberdies war er nicht ein starrer, kalter Held, wie Feldherren und Capitaine oft sein mögen, sondern ein gemüthlicher, heiterer Mann, ein so liebenswürdiger Charakter, daß ihn die Reisebeschreibungen lesende Jugend lieb gewinnen wird, wie ihren Robinson.

Der dritte Schlittenfahrer, der Amerikaner Bayard Taylor, der seine Reisen auf Pferde- und Rennthierschlitten in seinem vor Kurzem erschienenen kleinen Buche: „meine Winterreise durch Lappland“ erzählt, hatte auch mancherlei Ungemach zu erdulden, das einem nicht besonders Muthigen eine solche Reise verleiden würde. Er muß viel durch Frost leiden, erfriert die Nase, wird vielfach umgeworfen und geschleift erkrankt unterwegs und muß dennoch Tage lang Vorwärts fahren, um eine passende Ruhestatt zu finden. Er erträgt alle Beschwerden und Leiden zwar mit männlichster Tapferkeit und setzt seinen Plan, im Winter Lappland zu bereisen, was ihm die Stockholmer als Unmöglichkeit geschildert hatten, glücklich durch. Aber dennoch würde man ihn nicht neben jene erstgenannten Schlittenhelden stellen dürfen, welche viel gefährlichere Abenteuer bestehen mußten, wenn er nicht durch eine Eigenschaft jene überträfe, die ihn uns ganz besonders lieb und werth macht. Das ist sein prächtiger Humor. Er erzählt seine oft über den Spaß gehenden Abenteuer mit einer solchen jovialen Laune, wie wir etwa aber ein Nachtlager in einer Sennhütte scherzen, und die Schlichtheit seiner Erzählung läßt uns sogleich die Ueberzeugung gewinnen, daß er diese gute Laune ebenso gut bei der Reise selbst bewahrt habe. Er ist der vorzüglichste Humorist unter den Schlittenreisenden, und wer sich an einem Winterabende ergötzlich unterhalten und zu wohlgemuthem Ertragen der Beschwerden des Winters und des Lebens überhaupt anregen will, der wird an Bayard Taylor den rechten Gesellschafter finden.


Grünhörner.


„Was ist ein Grünhorn?“ höre ich von allen Seiten ausrufen.

Diese Neugierde ist eine wohlberechtigte, und ich will sie ohne Umschweife befriedigen, obwohl ich befürchten muß, der obligaten deutschen Gründlichkeit kaum Genüge leisten zu können.

Das „Grünhorn“ ist kein vierfüßiges, von der Natur gehörntes, sondern ein zweibeiniges Thier, welches schon den Gelehrten des Alterthums bekannt war und von einem derselben als ein Vogel ohne Federn bezeichnet wurde, welches aber erst den europäischen Boden verlassen und nach Amerika auswandern muß, um sich dort Hörner aufsetzen zu lassen und trotz seiner Federlosigkeit oft weidlich gerupft zu werden.

Die Amerikaner, welche eine solche Vorliebe für Spitznamen haben, daß sie sich selbst bald „Brother Jonathan“, bald „Uncle Sam“ nennen, haben auch für den Europäer in der ersten Zeit seines Aufenthaltes in der neuen Welt, wo er sich wenig oder gar nicht in die Verhältnisse zu schicken weiß und, als hätte er wirklich Hörner, überall anstößt, den Namen „Grünhorn“ erfunden. Jeder Einwanderer, er mag den Bogen des Herkules gespannt oder das Perpetuum Mobile zu Stande gebracht haben, muß sich diesen Namen gefallen lassen, und er wird nach einigen Jahren selbst gestehen müssen, daß er ihn mit vollem Rechte getragen habe.

In dem Folgenden will ich dem deutschen Publicum einige Bilder aus dem Grünhornleben vorführen. Meine Mühe wird reichlich belohnt sein, wenn es mir gelingen sollte, durch diese sachliche Erläuterung das zu ersetzen, was in der wörtlichen mangelhaft ist.

Bevor ich zu der Zeichnung des Grünhorns in seinen verschiedenen Gestalten schreite, will ich im Interesse des besseren Verständnisses einige Haupteigenschaften desselben erwähnen. Das Grünhorn ist vor Allem hoffnungsreich, das heißt, es langt in Amerika mit der zuversichtlichsten Erwartung an, in Kurzem ein schönes Haus, ein blühendes Geschäft, eine ansehnliche Fabrik oder doch wenigstens eine niedliche Farm zu besitzen. Diese Eigenschaft verliert sich in sehr kurzer Zeit und macht einer kolossalen Hoffnungslosigkeit Platz, und wir könnten wohl sagen: das Grünhornthum hört dann auf, wenn der Einwanderer nichts mehr zu hoffen und zu fürchten hat.

Ferner ist das Grünhorn fest überzeugt, daß es die Verhältnisse in Amerika sehr wohl kenne, vielleicht besser als die vernagelten Yankee’s, die nie ein „Handbuch für Auswanderer“ und all’ die übrigen schönen Reisebeschreibungen gelesen haben. Mit andern Worten: Jedes Grünhorn lebt in der vollen Ueberzeugung, daß es kein Grünhorn sei, und nimmt diese Benennung sehr übel auf. Trotz dem aber bringt es Tage lang zu, um sich bei Freunden, Bekannten und Landsleuten Raths zu erholen, und sagt man ihm, daß man einem Grünen nicht rathen könne, weil er gewöhnlich einem wohlgemeinten Rathe keine Folge leistet, so wird man als verknöcherter Yankee und herzloser Egoist verschrieen.

Endlich mögen wir noch als eine Cardinaltugend des Grünhorns sein unbegrenztes Mißtrauen erwähnen. Das Grünhorn traut in Amerika Niemandem, und es würde sich seine eigene Nase abschneiden, wenn es wüßte, daß sie die „Pläne“ verraten könnte, die sein Kopf mit außerordentlicher Fruchtbarkeit hervorbringt. Indessen hat dieses Mißtrauen wieder eine besondere Eigenthümlichkeit, nämlich die, sich blos gegen ehrliche Leute geltend zu machen, während die abgefeimtesten Betrüger, die stets nur die „Pläne“ des Grünhorns „ausarbeiten“ und „erweitern,“ mit einem Unmaß von Zutrauen bedacht werden.


I.
Va. La. Mo.

Auf einem jener prachtvoll ausgestatteten Dampfschiffe, welche zwischen New-York und den Küstenstädten des Südens fahren, befanden sich zwei junge Deutsche in einer blos aus Amerikanern bestehenden Reisegesellschaft.

An ihrer Kleidung, Haltung und Manier konnte man schon auf den ersten Blick schließen, daß sie Deutsche, und zwar „grüne“, das heißt erst kürzlich eingewanderte Deutsche seien, die mit den Landessitten theils noch unbekannt, theils noch nicht befreundet sind.

Wie es gewöhnlich „Grüne“, und besonders deutsche Grüne zu thun pflegen, brachten unsere Neophyten den größten Theil der Reise auf der äußeren Plattform und Ergehungsgallerie des Schiffes zu, wo ihre Blicke die schönen Küstenpunkte aufzufangen suchten, an welchen das Schiff in seinem Laufe vorüberkam. Erst als die matte Novembersonne sich hinter schwarze Wolken zurückzog, und diese zum Ueberfluß ihr Bischen Naß dem Ocean zuträufelten, suchten die Neugierigen die schützenden Räume des reich decorirten und mit allem möglichen Comfort eingerichteten Salons auf, wo sie, der englischen Sprache unkundig, an der Unterhaltung der Gesellschaft keinen Antheil nehmen konnten, sich in eine Ecke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_064.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)