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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

gestaltete sich das Schicksal der Reisenden ganz gleich, denn weder im Lagerbiersalon, wo man angab, jeden Deutschen in der Straße zu kennen, noch in der Victualienhandlung, wo man nicht minder mit der Statistik der Straße vertraut war, wollte man etwas von einer Familie Müller wissen.

Da indeß die Reisenden mit unzerstörbarer Festigkeit darauf bestanden, daß eine Familie Müller in dieser Straße wohnen müsse, so wurden sie in die benachbarten Wohnungen gewiesen, wo sie vielleicht über die unbekannte Familie etwas Näheres erfahren dürften.

Diese Erkundigungen führten zwar nicht zu dem gewünschten Resultate, allein dadurch wurde die Angelegenheit bald unter den Deutschen der Straße bekannt, und da es sich endlich herausstellte, daß zwei Reisende nach einer und derselben Familie fragten, die ihres Wissens in der Straße gar nicht existirte, so wurden dadurch die Reisenden selbst wieder zusammen- und eine Gruppe von Müßiggängern herbeigeführt.

Nun wurde über den Gegenstand unter freiem Himmel hin und her debattirt, und zwischen der disputirenden Menge nahmen sich die gegeneinander halb noch erbitterten, halb durch ihre mißliche Lage ausgesöhnten Reisenden aus, wie zwei Proceßführende, die von ihrem Advocaten so ausgesogen werden, daß sie schon gerne ihren Streit aufgeben möchten und nur durch die Ermuthigungen ihrer „Rechtsfreunde“ daran verhindert werden.

Das hätte noch lange so währen mögen, wäre nicht ein junger Mann, der Sohn eines in der Stadt wohlbekannten deutschen Kaufmanns, durch die Straße gekommen und Zeuge der improvisirten Volksversammlung geworden, nach deren Ursache er sich angelegentlich erkundigte.

Der junge Mann sah bald ein, daß sich aus diesem Gewirr kein klarer Begriff über das Vorgehende herauslösen ließ; er lud daher die Reisenden ein, ihm auf sein Zimmer zu folgen.

Nachdem ihm dort beide eine und dieselbe Geschichte erzählt hatten, fragte der junge Mann, ob sie nicht etwa Briefe bei sich hätten, in welchen ihre Bräute die Adresse ihrer Aufenthaltsorte angegeben, worauf er zur Antwort erhielt, daß sie zwar solche Briefe hätten, doch wären dieselben in den Koffern, welche sie bei dem Magazinbeamten an der Dampfschifflandung zurückgelassen, weil sie es für zweckmäßiger hielten, erst die Wohnung ihrer Angehörigen aufzusuchen, und dann ihr Gepäck nach dem genauer bezeichneten Orte holen zu lassen.

„Also,“ meinte der junge Mann, „müssen Sie vor Allem Ihre Koffer holen lassen; damit wir die Briefe sehen können. Seien Sie nur ganz ungenirt, und lassen Sie dieselben hierher auf mein Zimmer tragen.“

Alle Grünhörner haben eine Eigenschaft gemein, nämlich gegen Jedermann ohne Unterschied des Glaubens, Alters, Geschlechts oder der gesellschaftlichen Stellung mißtrauisch zu sein. Bevor man Europa verließ, hat man so viel von Betrug, Schwindel, Raub und Diebstahl gehört, die auf den Ankömmling ist Amerika lauern; der Herr Onkel, der sehr viel Zeitung liest, und der Herr Nachbar, der selbst einen Pathen in Amerika hat (der ihm aber nie einen Brief geschrieben), haben so eindringlich vor den „amerikanischen Yankee’s“ (als wenn es auch europäische Yankee’s gäbe) gewarnt, daß der Ankömmling in jedem zweibeinigen Thier einen Yankee, in jedem Yankee einen Strauchdieb und Halsabschneider sieht. Auf den Antrag, ihre Koffer in ein unbekanntes Haus bringen zu lassen, standen daher unsere Grünhörner etwas verblüfft da und wechselten fragende Blicke mit einander. Der Deutsch-Amerikaner, der diese Blicke zu deuten wußte, kam ihren Besorgnissen entgegen, und indem er ihnen eine Karte hinhielt, deutete er durch das Fenster auf ein gegenüber liegendes Haus, und sagte:

„Sehen Sie jenen Laden, meine Herren! Es ist eine deutsche Apotheke, in welcher Sie nach dieser Karte Erkundigung einziehen können.“

Die Fremden brachten hierauf stotternd einige Entschuldigungen hervor, worauf sie sich entfernten und nicht lange darauf mit ihren Koffern und Reisetaschen in der Wohnung des freundlichen Jünglings eintrafen. Hier wurden sogleich die Koffer geöffnet und die Briefe von Amalie Müller aus der Washington Street in Richmond hervorgeholt; aber kaum hatte der Deutsch-Amerikaner einen Blick in dieselben geworfen, als er in ein nicht enden wollendes Gelächter ausbrach, und erst nach einiger Zeit konnte er sich beherrschen und den verblüfften Fremdlingen zurufen:

„Aber, meine Herrn, haben Sie denn nicht bemerkt, daß Ihre diversen Bräute zu dem Ortsnamen Richmond noch zwei verschiedene Buchstaben hinzugefügt hatten? Die eine schreibt: „Washington Street, Richmond La.“, die andere: „Washington Street, Richmond Mo.“, Sie aber, meine Herrn, sind weder in „Richmond La.“ noch in „Richmond Mo.“, sondern in Richmond Va.

Die Fremden standen noch immer da mit dem Ausdruck der Verblüfftheit im Gesichte. Der freundliche Jüngling fuhr fort:

„Ich will Ihnen das gleich zurecht legen, meine Herren! In den Vereinigten Staaten gibt es Ortsnamen, die, weil sie von gewissen politischen oder sonstigen Berühmtheiten herkommen, oft zu Dutzenden anzutreffen sind; so gibt es eine Unzahl von Franklins, Jeffersons, Jacksons, Monroes, Livingstons, Richmonds u. s. w. Um nun diese Orte näher zu bezeichnen, so stellt man den Staat oder gar die County (Grafschaft) hinzu, in der sich die sobenannten Städte oder Dörfer befinden, die Namen der Staaten aber werden gewöhnlich nur in einer bereits conventionellen Abkürzung gegeben. So heißt La. = Louisiana, Mo. = Missouri, und Va. = Virginia. Sie, meine Herren, hätten sollen der Eine nach Richmond in Louisiana, der Andere nach Richmond in Missouri reisen; wahrscheinlich haben Sie sich aber in New-York blos nach Richmond erkundigt, und da versteht man immer die große und blühende Hauptstadt des Staates Virginien darunter. Daß Ihre Bräute beide Müller heißen, kann keinen Deutschen verwundern, und eine Washington Street fehlt nur in wenigen Städten und Dörfern der Union. Ich lade Sie nun ein, sich bei mir einige Tage auszuruhen, und ich will Sie dann selbst mit Reisegelegenheiten versorgen, die den Einen nach Nordwesten, den Andern nach Südwesten bringen sollen. Freilich werden Sie jeder einige Hundert Meilen zurückzulegen haben, bis Sie in den Armen ihrer liebenswürdigen Bräute den Lohn für Ihre Mühsale finden, aber seien Sie beide sicher, daß Sie keine Nebenbuhler, sondern nur „Grünhörner“ sind.“




Dresden’s Wintergarten.
Von Ferd. Stolle.

Noch ruhte der Frühjahrswinter des Jahres 1858 graukalt; eintönig, mit seinen öden Wolken, gefrornen Erdschollen und streiflichternden Schneelaunen über dem erstarrten Elbthale; noch wehete der verschrieene Ostwind in nervöser Beharrlichkeit aus den Felsen der sächsischen Schweiz – als in den letzten Tagen des Februar die Bewohner der Haupt- und Residenzstadt Dresden in ihrem Anzeigeblatte die Nachricht und Einladung erhielten, daß auf dem bekannten, schön am linken Elbufer gelegenen Gartengrundstücke, „Elisens Ruhe“ genannt, ein Herr Hermann Lüdicke einen Wintergarten in’s Leben gerufen und dem Publicum geöffnet hatte.

Wintergarten –?! Der Name war nicht ganz unbekannt; man entsann sich, von dergleichen Etablissements in England, Frankreich, Rußland, selbst in einigen Städten Deutschlands in den Zeitungen gelesen zu haben. Aber Dresden, wozu hier ein Wintergarten, wo Frühling und Sommer in so reichem Maße ihr Blumenfüllhorn über das glückliche Elbthal ausschütten? Dresden, wo die Kunstgärtnerei und Blumenzucht bereits eine solche Höhe erreicht; wo kein Mangel an zahlreichen Gewächshäusern, Blumenausstellnugen; wo Hunderte von Gärten kunstreich angelegt, sauber gepflegt, blumenreich leuchten und duften in den schönen Zeiten des Jahres – wozu hier noch ein Wintergarten? Ist hierzu ein Bedürfniß vorhanden? – So fragte wohl Mancher und hielt es nicht der Mühe werth, von der Einladung im Anzeiger Gebrauch zu machen, zumal dieselbe von einem für den Dresdner Familienvater bedenklichen Entree von fünf Silbergroschen begleitet war. – Wozu bezahlen, was wir im Sommer umsonst haben? So fragte wohl Mancher und ließ den angekündigten Wintergarten mit derselben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_066.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)