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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Mamsell Justine aber rief wüthend: „Wird Er bald Beine bekommen, Er fauler Schlingel! Im Augenblicke folge Er mir, den beiden Menschen nachzusetzen. Himmel, Himmel! Beide Koffer weg! Mit den besten Sachen der Herrschaft! Das ist mein Tod! Diese Berliner Diebe! Diese Berliner Diebe!“

Sie rannte in das Haus, die Treppe hinauf. Und auch der träge Monsieur Joachim hatte Beine bekommen; er folgte ihr. Um die Sachen, die noch vor dem Hause lagen, bekümmerten sie sich in Wuth, Schreck und Eile nicht. Aber die Berliner „Mädchen für Alles“ haben auch für Alles ein gefühlvolles Herz.

„Ich muß ihnen doch wohl die Sachen hier verwahren, bis sie wiederkommen,“ sagte das Dienstmädchen für sich, „sonst werden die ihnen auch noch gestohlen.“ Und sie setzte sich zu den übrig gebliebenen Kisten und Schachteln des Herrn Baron und der Frau Baronin von Goddentov und hütete sie.




Ein Parvenu des vorigen Jahrhunderts.

Von Ludwig Storch.
(Schluß.)

Der Scharfblick des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preußen begriff leicht, daß Gotter, so weit dessen Lebensweise auch von der Einfachheit und Frugalität entfernt schien, welche dieser Monarch zur Grundlage seines Lebens gemacht hatte, nichts destoweniger ein sehr geschickter und brauchbarer Mann sei, ein Mann, welchen die größten Fürsten aufsuchen und in ihr Interesse zu ziehen sich angelegen sein lassen müßten. Der König fing damit an, unsern Gotter mit dem Orden der Großmuth zu schmücken, dann, im Frühling 1726, ließ er eine schmeichelhafte Einladung an den Hof von Berlin an ihn ergehen. Zu gleicher Zeit eröffnete der König dem Herzoge von Gotha den Wunsch, den Baron von Gotter bei sich zu sehen, und dieser erhielt von seinem Hofe die Erlaubniß zur Reise nach der königlich preußischen Residenzstadt. Hier gefiel der feine Weltmann dem einfachen Monarchen so ungemein wohl, daß er kurze Zeit nach seiner Ankunft durch Cabinetsordre zum Staatsrath mit Sitz und Stimme und mit einem Gehalte von tausend Thalern (für damalige Zeit eine hohe Summe) ohne eine bestimmte Verpflichtung ernannt wurde. Damit noch nicht genug, erhielt er auch die Anwartschaft auf das erste erledigte Canonicat in Halberstadt, und wurde im folgenden Jahre von dem ihm so gnädig gesinnten Könige mit dem schwarzen Adlerorden decorirt. Nichts liefert einen schlagenderen Beweis von dem eigenthümlichen, alle Herzen gewinnenden Zauber in Gotter’s Wesen, als diese überschwengliche Gnade des sittenstrengen und leichtfüßigen Hofleuten nichts weniger als wohlgesinnten Königs. Welch ein ausgezeichneter und liebenswürdiger Mensch mußte dieser Parvenu sein, daß er einen so ernsten und eigensinnigen Charakter, wie Friedrich Wilhelm I., in so hohem Grade und so leicht und schnell für sich zu gewinnen vermochte!

Diese neuen glänzenden Bande lösten aber merkwürdiger Weise die alten nicht sogleich, mit welchen Gotter’s dankbares Herz an seinen gnädigen Landesherrn gefesselt war; denn nach Wien zurückgekehrt, blieb er auch als preußischer Staatsbeamter in seiner zeitherigen Stellung zum gothaischen Hofe, ja er wurde 1731 sogar zum Comitalgesandten des Herzogs beim Reichstage ernannt, ohne daß er genöthigt gewesen wäre, seinen Aufenthalt in Wien aufzugeben.

Die durch den Tod des Herzogs Friedrich II. am gothaischen Hofe verursachten Veränderungen bestimmten Gotter, auf die ihn dort bindenden Aemter Verzicht zu leisten, um endlich den ihm so schmeichelhaften Avancen des Königs von Preußen ungetheilt zu entsprechen. Aber indem er den Herren wechselte, wechselte er seine Function nicht; er blieb königl. preuß. Gesandter am kaiserl. Hofe und erhielt die Erlaubniß, auch die Angelegenheiten des Herzogs von Würtemberg am kaiserl. Hofe besorgen zu dürfen, wie er früher die des Markgrafen von Bayreuth besorgt hatte. In dieser Eigenschaft empfing Gotter die kaiserliche Investitur des Herzogthums Stettin für den König, seinen Herrn, und die der Reichslehen des Herzogs von Würtemberg.

In dieser glänzenden Stellung blieb der Baron Gotter bis zu Ende des Jahres 1736.

Ueber zwanzig Jahre hatte der verwöhnte Sohn des Glückes alle Freuden und Seligkeiten des fröhlichen Wiens durchgeschwelgt, hatten die Götter des Olymp in der Kaiserburg alle ihre heitern Gaben aus dem Füllhorn der Gunst und der Gnade über sein Haupt ausgeschüttet; auch ihm schlug die Stunde, wo er ihrer überdrüssig wurde und sich mit Gleichgültigkeit von ihnen abwandte. Viel Schönes hatten ihm seine Göttinnen geschenkt und gewährt: ewige Jugend hatten sie ihm nicht geben können, sich selbst nicht; auch sie waren alt geworden. Er sehnte sich fort vom Schauplatz seiner Siege und wünschte nichts mehr, als seinen zurückgeschobenen Triumphwagen zur Reisekutsche umzuwandeln, die ihn in die Einsamkeit des Landlebens führen sollte. Er war satt der glücklichen Erfolge, müde der an ihn verschwendeten Gunst, und er hegte mit dem von ihm so hochverehrten Horaz nur noch den Wunsch, „daß er ein Landgut hätte, wo ein Garten und dem Wohnhaus nah eine Quelle und ein Gehölz darüber.“ Und er kaufte in der Nähe seiner Vaterstadt Gotha das an der Gera, wenn sie von Arnstadt herabkommt, gelegene freundliche Gut Molsdorf, wo einer seiner Väter einst Pfarrer gewesen war.

Von diesem Tage an lag er dem Könige, seinem Herrn, mit so inständigen Bitten ob, ihm die ersehnte Ruhe auf diesem Landsitze zu vergönnen, daß der Monarch, durch seine Dienste zu sehr zufrieden gestellt, um sie nicht auf freundliche Weise zu vergelten, ihm die erbetene Abberufung und Erlaubniß, in Molsdorf zu leben, mit einer anständigen Pension bewilligte und ihm den Charakter eines bevollmächtigten Gesandten des obersächsischen Kreises verlieh. Seit drei Jahren schon gehörte ihm das durch ihn so berühmt gewordene Landgut im Herzogthum Gotha, als er, dem geräuschvollen Wien entronnen, in die Stille desselben trat, um sich ganz den Süßigkeiten der Ruhe hinzugeben, und er betrieb nun das bereits begonnene Werk mit begeistertem Eifer, Molsdorf in den reizenden Musensitz eines modernen Epikureers umzuschaffen.

Nichts legt ein schöneres Zeugniß von Gotters im Grunde doch edler Natur ab, die von dem geistlosen, des sittlichen Gehalts entbehrenden bunten Schaumleben am Wiener Hofe zuletzt angeekelt, ihre Sehnsucht nach bessern Genüssen zum unabweisbaren Bedürfniß wachsen sah, als daß er sich in Molsdorf den stillen Freuden der Natur und einer geregelten nützlichen Thätigkeit hingab. Aber es gab noch einen dritten Grund, der ihn veranlaßt hatte, das Landgut in seinem thüringischen Vaterlande zu erwerben, und der ihn nun dorthin zog, und vielleicht war dieser der stärkste. Er, der in der Dame der höhern Gesellschaft eben nur – das Weib kennen gelernt hatte, wurde in seiner Vaterstadt von der höchsten Ehrfurcht und sittlichen Ergebenheit für ein hochgestelltes Frauenpaar von der reinsten Tugend, von der höchsten Intelligenz, vom tiefsten Gefühl und vom feinsten Lebensverständniß so mächtig ergriffen, daß ihn sein bewunderndes und anbetendes Herz in den Zauberkreis jener erhabenen Huldinnen stellte. Und in der That hat er erst hier sein reinstes und schönstes Glück gefunden. So wahr ist es und wird es ewig bleiben, daß in edlen Menschennaturen, wenn sie auch vom bunten süßduftenden Tand der Sinnlichkeit überschüttet sind, von den Strahlen der Geistessonne getroffen, das Verlangen nach übersinnlichen Genüssen geweckt wird, steigt und sie endlich dem reinen, die höchsten Wonnen gewährenden Cultus des Geistes zuführt. Dieses kleine Schloß in Molsdorf sollte durch den üppigen Zögling des üppigen Kaiserhofes ein Tempel dieses Cultus werden.

Wahrlich, Gotter gab sich in Molsdorf nicht der trägen Ruhe eines Sybariten hin! Aber ebenso wenig fiel ihm ein, den Stoiker zu spielen; er lebte nur den echten und wahren Grundsätzen seines Meisters Epikur treuer: er suchte das höchste Lebensgut in jener geistigen Genugthuung, welche aus der Freiheit der Seele von Unruhe und Schmerz entspringt, und die sie allein aus den reinen Genüssen des Geistes durch Natur, Schönheit, Kunst und Wissenschaft erringt. Das von ihm umgebaute Schloß, der von ihm angelegte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_112.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2023)