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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

oder wie die thüringer Frauen in langen Kiepen, oder aber wie die Frauen in Kurhessen in ihren plumpen Kötzen, oder in der Dresdener Gegend mit ihren kurzen, weiten, fern abstehenden Tragkörben? – wie Figuren zeigen.

Eins muß doch das Richtige sein, nachdem der Arzt die Sanitätsrücksicht festgestellt hat.

Man kann in unserer Zeit als zuverlässig annehmen, daß Einrichtungen für den Militairstand als das Zweckmäßigste, Wohlfeilste und der Gesundheit am wenigsten Schädliche zur allgemeinen Geltung gekommen sind, und darum auch für das bürgerliche Leben manche Nachahmung verdienen. Denn bei der Masse der Heere hat der Kriegsherr das größte Interesse, daß seine Soldaten so wenig als möglich Last tragen, daß sie dabei gesund und kräftig bleiben, um stets mobil und kriegstüchtig zu sein. Er hat daher das Bestmögliche für die Soldaten herausgefunden. Dahin gehört denn auch, daß die alten, dicken, schweren, vom Rücken weit abstehenden Tornister, wie sie vor 1806 bei allen Heeren in Gebrauch waren, abgeschafft und durch andere längere und leichtere, platt und dicht an den Rücken sich anschließende Tornister ersetzt wurden, wie sie noch jetzt überall beim Militair gebräuchlich sind, dem sie eine mehr gerade Haltung und Mobilität verschaffen.

Dasselbe ist bei den Tragkörben der Dresdner Frauen der Fall. Auch jene sind ganz ähnlich den alten Soldatentornistern. Sie concentriren die Last auf einen Seitenpunkt des Körpers, schließen sich diesem nur insofern an, als sie auf dem Rücken weniger hängen als liegen, diesen nach vorwärts beugen, um den Schwerpunkt und dessen Unterstützung zu suchen. Solche Träger gehen daher stets gebeugt, und keuchen unter der Last. Ihr Körper beschreibt eine um so größere Curve, je schwerer die Last ist. Die Gesetze der Physik zeigen, daß, sobald der Schwerpunkt eines Körpers unterstützt ist, derselbe nicht fallen kann, und daß er um so fester steht, je mehr er in der Nähe der Grundfläche liegt. Thiere und Menschen, deren Theile sich bewegen, ändern dadurch jeden Augenblick die Lage ihres Schwerpunkts, und suchen diesen durch ihre Stellung. Der schwer tragende Körper (die Kraft) muß sich so lange krümmen, bis der Schwerpunkt in die Grundfläche fällt. Bei den rheinischen Mädchen, die ihre Last auf dem Kopfe tragen, fällt der Schwerpunkt in gerader Linie zwischen ihre beiden Füße. Nicht so bei den Soldaten alten Styls, noch weniger bei den hessischen und Dresdner Frauen, die stets eine Ausgleichung suchen und von der natürlichen Stellung sich entfernen müssen. Wie diese armen Geschöpfe unter ihrer Last keuchen, ist ersichtlich, aber wie das Rückgrat und die Muskeln der Brust und des Unterleibes mehr als nöthig gedrückt werden – das wird nur gefühlt, nicht gesehen.

Es ist zu wünschen, daß die Aerzte des Landes sich dieser und ähnlicher Fragen des socialen Lebens bemächtigen und mit den Regierungen zu Rathe gehen möchten, wie so manche schädliche Gewohnheit des Landvolks abzustellen und in ein Besseres zu verkehren sei. Denn das eben ist das nobile officium des Arztes, daß er durch Rath und That Krankheiten, Körpermißhandlungen und weit verbreiteten Uebelständen vorbeuge, daß er überall in socialen Verhältnissen aufspüre, wo etwas durch seine Hülfe gebessert, Gemeinwohl gefördert werden könne. Der Arzt soll sein wie der Blitzableiter, nicht blos wie die Feuerspritze. Warnt doch schon der Hahn seine Hühner, wenn der Raubvogel sich in der Luft zeigt, warum nicht auch ein verständiger Mensch die Unverständigen? – Keine Gesetzgebung, keine das Gemeinwesen betreffende Verordnung, die Leben und Gesundheit möglicherweise gefährden könnte, wie z. B. im Zollwesen, sollte ohne ärztlichen Beirath zu Stande kommen. Aber alle Staatsweisheit ist Monopol anderer Classen, die das Leben des Menschen wie ein Schemen ansehen, die auf das Naturwissen und die Erfahrung des Arztes, an den das sociale Leben so nahe herantritt, tief herabblicken.

Die Frage, wie solchen Mißständen abzuhelfen sei, wenn sie einmal erkannt sind, ist leichter zu beantworten, als durchzuführen. Gewohnheiten, die seit vielen Menschenaltern in verjährter Uebung sind, die durch Ansicht und Oertlichkeit eine besondere Beschönigung finden, werden schwer, sehr schwer abgeschafft. Das Sicherste ist wohl, eine andere Gewohnheit an die Stelle zu setzen, durch Beispiel zu wirken und so nach und nach auf die Ueberzeugung hinzuarbeiten, daß das Neue doch Vorzüge habe und darum nachzuahmen sei. Ist dann einmal aus einflußreichen Kreisen Bresche geschossen, dann wird auch der gemeine Troß, der nicht nachdenkt, nur nachzuahmen pflegt, nachfolgen.

Man wähne doch nicht, daß diese und ähnliche Volksgewohnheiten als unbedeutend anzusehen sind. Wenn von jeder Haushaltung in einem Staate nur einige Pfund Kraft in verschiedener Weise täglich erspart werden, welche Ziffer macht das nicht bei den Millionen, die von so viel Lasten befreit werden! Und ein Pfund Kraftersparung wiegt mehr als ein Pfund Last auf.

Werden diese Worte günstig aufgenommen, so findet sich wohl Gelegenheit, einen andern Gegenstand des socialen Lebens herauszugreifen und zu besprechen.




Berliner Polizei.

(Fortsetzung.)
IV.

Es war beinahe Mitternacht. An der Ecke der Weinbergsgasse trafen sich zwei Personen. Es waren, so viel man in dem halben Scheine der in jener Gegend von Berlin schlecht genug brennenden Straßenlaternen unterscheiden konnte, ein paar junge Menschen, schlecht gekleidet, übrigens nicht ungewandt, und von leidlich hübschem Aussehen. Sie blieben, als sie zusammentrafen, bei einander stehen.

„Bist Du es, Fritz?“

„Ja. Hast Du Alles beisammen?“

„Ja.“

„Gehen wir.“

Sie schlugen den Weg nach dem Monbijouplatze ein, überschritten diesen, passirten dann die Herkulesbrücke, darauf die Friedrichsbrücke, gingen an dem neuen Museum vorbei, über die Schloßbrücke, über den Opernplatz, nach dem Gensd’armenmarkte zu. Sie hielten sich so viel als möglich außer dem Lichte der Gaslaternen. Wenn sie hörten, daß ihnen Jemand entgegenkam, so trennten sie sich, der Eine ging auf die eine, der Andere auf die andere Seite der Straße. War der Entgegenkommende vorüber, und wußten sie sich wieder unbemerkt, so vereinigten sie sich wieder, um in Gesellschaft ihren Weg fortzusetzen. Wenn sie beisammen gingen, sprachen sie leise mit einander. Der Eine von ihnen hatte offenbar das Uebergewicht über den Andern. Er blieb meist auf derselben Seite der Straße, und der Andere mußte auf seinen Wink nach der andern Seite springen und sich dann wieder mit ihm zusammenfinden. Nach seinem Schritte mußte dieser Andere den seinigen einrichten. Er sprach weniger, kürzer, mehrfach befehlend. Es war der, den der Andere Fritz genannt hatte.

„Ich hatte schon auf Dich gewartet, Fritz,“ sagte der Andere.

„So?“

„Wir werden heute Nacht ein gutes Geschäft machen.“

„Lobe es nachher.“

„O, es kann nicht fehlen. Dreitausend Thaler hat der Alte noch vorgestern Abend eingenommen. Die Nachschlüssel habe ich zu allen Thüren. Es hat mir Mühe genug gekostet, die Wachsabdrücke zu nehmen. Ich habe drei Tage lang darnach schleichen und laufen müssen. Sie müssen aber auch passen, wie das Werk einer Dampfmaschine.“

„Du bist sicher, daß der Alte nicht zu Hause sein wird?“

„Er ist auf einem großen Souper. Eine sehr fromme Missionsgesellschaft gibt es. Morgen früh mit dem ersten Zuge geht ein Transport Missionäre ab. Die Gesellschaft will die Nacht mit ihnen beisammen bleiben – im Gebet, sagen sie.“

„Und in der Wohnung ist nur seine Magd?“

„Nur seine alte Magd. Sie schläft hinten nach dem Hofe zu. Das Geld hat er in seinem Secrctair in der Wohnstube.“

„Diese liegt nach vorn?“

„Sie geht auf den Gensd’armenmarkt.“

„Im zweiten Stockwerke?“

„Ja.“

„Wer bewohnt die andern?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_130.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2023)