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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Babeli nickte. Dann schlug sie die Augen nieder und fragte leise: „Wollt Ihr mit zu ihm gehen, Herr Doctor?“

Da nickte still auch der Doctor. Er führte sein Pferd am Zügel und ging mit Babeli in das Dorf.

„Er ist brav,“ sprach leise Babeli, indem sie an der Seite ihres künftigen Herrn schritt, „er besitzt auch etliche Jucharten Land und ein Häusli, aber daß er ein gut Herz in sich hat, gilt noch höher; dort, dort!“ rief sie plötzlich laut, „dort am Zaune!“

Am Zaune seines Häusels stand Gotthard in Hemdärmeln. Babeli grüßte, gab ihm die Hand und erzählte. Nach wenigen Minuten wußte Gotthard Alles.

„Wenn es so steht,“ meinte er, „dann hast Du meine Zustimme, Babeli. Zum Glück ist’s nicht allzu weit nach Zürich, und ich komm’ jede Woch’ ein Mal, wenn’s der Herr Doctor permittiren will,“ wendete er sich an diesen.

„Ihr kommet ja in Ehren,“ antwortete Pestalozzi lächelnd.

„Du bist kein Hudel,“ sprach leise Babeli, „das weiß ich wohl, Gottard. Aber das ist nicht genug. Du mußt nun auch bedenken, wo ich bin. Wenn die Kinder da sind, darfst Du mir keinen Kuß geben, mußt Deine Kapp’ vom Kopfe nehmen, mußt nicht zärtlich thun, nicht ein Gered’ machen von Liebe, auch sonst nicht schwätzen, was unschön ist oder anstößig. Weißt Du, wie ich’s meine, Gotthard?“ –

„Weiß es,“ erklärte dieser.

„Und willst es thun?“ fragte so leise wie vorher Babeli.

„Will es, liebe Babeli,“ versprach Gotthard.

„So ist’s abgemacht, Herr Doctor, und nach acht Tagen ziehe ich in Euer Haus, und will Eure treue Magd sein,“ erklärte Babeli.

Der Arzt drückte Beiden die Hand. Bald trug der alle Rappe den glücklichen Vater nach Zürich.


Babeli ist eingezogen in das Haus des Arztes Pestalozzi. Die Truhe mit Wäsche und Kleidern hat Gotthard ihr hereingefahren auf dem Schubkarren. Wöchentlich einmal verläßt er Höngg, um seine Babeli zu sehen. Und wenn er sie sieht und spricht und die Kinder in ihrer Nähe sind, da nimmt er die Kappe vom Kopfe, gibt keinen Kuß, thut nicht zärtlich, schwatzt nicht, macht kein Gered’ von Liebe, sagt nicht etwas, das unschön wäre oder anstößig. Steht er aber ja einmal in Gefahr, sich zu vergessen, so weiß Babeli durch einen Blick, durch ein Wort ihn wirksam zu erinnern. Nur wenn er Abschied nimmt, und von der langen Woche spricht, die nun vergehen muß, ehe die Stunde des Wiedersehens schlägt, sucht sie ihm verstohlen die Hand zu drücken. Ist’s möglich, so schleicht sie ihm nach, und sieht es Niemand, so fällt sie ihm um den Hals, herzt und küßt ihn und spricht:

„Behüti Gott und werd’ kein Hudel!“

Dann eilt sie zurück in die Wirtschaft oder zu den Kindern. Zu den letzteren fast immer, und immer auch am liebsten. Mit ihnen spricht sie, mit ihnen singt und betet sie, mit ihnen springt sie im Grase herum, oder baut im Sande, oder geht weit hinaus mit ihnen in den Wald, auf die Wiesen, an den See. Des kleinen, schwächlichen Heinrich nimmt sie ganz besonders sich an. Klagt er unterwegs über Hunger und Durst, so erzählt sie ihm von einem Knaben, der im Walde sich verirrte, und einen ganzen Tag lang muthig Hunger und Durst ertrug. Wird Heinrich müde, dann nimmt sie ihn auf ihren Rücken, trägt ihn aber nicht länger, als dies nöthig erscheint und sie sich sagen darf, daß er wieder laufen könne. Haben die kleinen Wanderer ein weiteres Ziel erreicht, dann theilt Babeli Obst aus oder sie schafft Milch herbei. Sie erzählt von den Kühen im Stalle, von den Thieren im Walde, von den Vögeln in der Luft, von guten und garstigen Kindern in der Wohnstube und in der Schule. Vor allen gefällt das besonders dem kleinen Heinrich. Er sitzt an Babeli’s Seite oder auf ihrem Schooße, und blickt still in ihre Augen. Babeli bemerkt, wie trotz seines stillen Verhaltens der Dank in ihm doch weit wärmer sich regt, als in seinen beiden Geschwistern, und wie trotz seines linkischen, unpraktischen Wesens ein reicher, verheißungsvoller Kern in ihm liegen möge, welcher einst wohl treiben und sich entwickeln werde. – Das spricht Babeli auch daheim öfters gegen die Eltern aus. Diese geben ihr darin Recht, und freuen sich des Mädchens und seiner Art und Weise gar sehr.

So hatte sich für Eltern und Kinder durch Babeli ein kleiner Himmel erbaut. Mit stillen Sternen spannte er sich aus über die Wohnstube, über die Schlafkammer, über Küche, Pferdestall und Spielplätze. Ueberall waltete das sinnige Mädchen mit Herz und Hand für die Herrschaft und für die Kinder in unermüdeter Treue. Von ihrer äußeren Schöne schien Babeli so wenig zu wissen, wie von ihrem innern Werthe. Unbewußt bauete sie den Himmel, unbewußt leuchtete sie an ihm, – da plötzlich aber trübte sich derselbe.


Einige Monate erst befindet sich Babeli in Diensten. Da kommt in sturmvoller Nacht ihr Herr einmal heimgeritten von seiner ärztlichen Praxis. Heute steigt er krank vom Pferde. Babeli hat gewartet. Sie kocht nun Thee, sie wärmt das Bett aus, sie tritt leise auf, damit die Herrin nicht gestört wird im Schlafe. Dabei tröstet sie den krank Heimgekehrten und meint, es werde durch einen guten Schlaf die Natur sich helfen und morgen Alles gut sein.

Aber der Kranke schlief nicht, die ganze lange Nacht hindurch nicht. Babeli kam und sah nach von Viertelstunde zu Viertelstunde. Und nicht nur zu dem Kranken, auch an das Bette der Herrin und an die Betten der Kinder schlich sie jedesmal auf den Zehen. Nichts sollte die Schlafenden stören. Sie allein wollte es erzwingen, daß am Morgen Alles wieder im Gleise sei ohne Beihülfe, ohne Sorge und Bekümmerniß der guten Herrin, ohne Störung der Kinder.

Der Morgen kam – die Krankheit war gewachsen. Sie wuchs fort von Stunde zu Stunde; noch immer, – von Tag zu Tag. Der kranke Arzt erkannte vollkommen seinen Zustand, wenigstens die Gefahr. Auch ein herbeigerufener College erkannte dies Alles.

Noch war der Kranke still. Nach einigen Tagen aber ließ er sein liebes Weib an das Bette treten. Er sprach nun, – dann tröstete er die Weinende.

„Schicke mir die Babeli herein,“ sprach er noch freundlich, nachdem er getröstet hatte.

Und Babeli trat hinein. Sie zog die Schuhe von ihren Füßen, leise ging sie an das Bette. Ob auch ihre Augen feucht glänzten, sie weinte doch nicht. Ein stilles, ergebenes Lächeln leuchtete aus ihrem Angesichte, eine höhere Ruhe umfloß ihre ganze blühende Gestalt. Sie neigte das schöne Haupt, sie legte sanft ihre Hände auf des Kranken Hände.

„Babeli,“ hob der Kranke an, „Babeli, verlasse meine Frau nicht. Wenn ich todt bin, so ist sie verloren, und meine Kinder kommen in harte fremde Hände. Ohne Deinen Beistand vermag sie es nicht, meine Kinder bei einander zu halten. Babeli, o wenn ich auf Dich bauen könnte, wenn ich wüßte, daß Du meine Frau nicht verlassen wolltest!“

Und tiefer noch neigte sich Babeli. Lächelnd blickte sie in seine Augen, und mit leiser Stimme, aber feierlich sprach sie:

„Ich verlasse Euer Frauli nicht, wenn Ihr sterbet! Ich bleibe bei der Wittwe bis in den Tod, wenn sie mich nöthig hat!“

Diese wenigen Worte nur sprach sie. Schnell erhob sie sich dann, rief die Frau und die Kinder herbei, wiederholte vor Allen ihr voriges Versprechen und blickte dabei still zum Himmel empor.

Es entstand unter Frau und Kindern ein leises Weinen.

„Nicht doch, nicht doch,“ mahnte lächelnd Babeli, „er braucht Freude.“

„Du hast sie mir gegeben, Babeli,“ antwortete der Kranke, „ich sterbe ruhig, sterbe in dieser Freude.“

Und empor hob Babeli den kleinen Heinrich mit den Worten:

„Die Freude muß sich verdoppeln. Eure Kinder sind all’ gut, werden all’ Euch Ehr’ bringen. Aber ich denk’, dieser hier am meisten! Er ist nicht schön von Gesicht, aber schön von Gemüth. Ich will’s ihm mit dem Frauli schon erhalten!“

Der Vater lächelte nach Frauli und den Kindern hin. Durch einen Blick dankte er noch der Babeli – dann wendete er sich, und schlief ruhig ein, um nicht wieder zu erwachen.

Babeli hat treu gehalten, was sie versprach.


So oft späterhin der große Erzieher und Menschenfreund Heinrich Pestalozzi von seinem Vater sprach, so oft er seiner Mutter gedachte und der Entbehrungen, unter welchen letztere mit aufopfernder Liebe ihn und seine Geschwister erzog, erwähnt er auch die Treue der Babeli. Sein ganzes Leben blieb ihm das Andenken an sie unvergeßlich.

Was ist aus ihr geworden? Hat sie sich noch verbunden mit Gotthard? Wo lebte sie, wie erging es ihr, war ihr das Schicksal günstig oder ungünstig? Wir wissen es nicht. Nirgends findet man Weiteres über ihr Leben, und Niemand wohl kennt das Grab der treuen sinnigen Magd.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_179.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)