Seite:Die Gartenlaube (1859) 215.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)


Griechen ein wenig in Anwendung zu bringen, ist mir unbekannt. Salzmann übertrug mir bald die Leitung dieses ersten Anfanges der Uebungen. Ihre Bedeutung kannte ich. Was ich aus dem uralten Schutte, aus den geschichtlichen Resten des früheren oder späteren Alterthumes herausgrub, war das Nachsinnen und bisweilen der Zufall an die Hand gaben, wurde hier nach und nach zu Tage gefördert zum heiteren Versuche. So mehrten sich die Hauptübungen, spalteten sich bald so, bald so in neue Gestaltungen und Aufgaben, und traten unter die oft nicht leicht auszumittelnden Regeln. So entstand nach sieben Jahren in der ersten Ausgabe meiner Gymnastik die erste neue Bearbeitung eines sehr vergessenen, nur noch in geschichtlichen Andeutungen vorhandenen Gegenstandes.“

„Das ist herrlich!“ rief Otto mit leuchtenden Augen, „und um so mehr, da es mir neu und im Allgemeinen gewiß wenig bekannt ist. O, sei gesegnet, stiller Platz am Rande des Eichenwäldchens, wo die Sonne neuen deutschen Lebens und frischer Kraft zuerst aufgegangen ist! Was ist doch Alles Großes, Gutes und Schönes von diesem Thüringen, dem Herzen Deutschlands, ausgegangen! Einst werden Deutschlands frei kräftige Söhne zu dieser Stelle in langen Zügen wallfahrten, singend im brausenden Chor, hier werden sie Salzmann und Guts Muths ein würdiges Denkmal errichten, hier werden sie ihre Festspiele feiern, wie die Griechen auf der Landenge von Korinth.“

„Damit wird’s freilich noch lange Zeit haben,“ sagte Bernhard, schmerzlich lächelnd, „und noch Viele werden für ihr ehrliches, der großen Zukunft Deutschlands zugewendetes Streben Noth und Pein, Kummer und Jammer erdulden müssen, wie Du und ich. Um Dich aber geistig und seelisch zu erheben und Dich zu überzeugen, daß auch in Schnepfenthal nicht jede Erhabenheit poetischer Anschauung des Erziehungswesens fehlte, so lies des verdienstvollen würdigen Guts Muths „Gymnastik für die Jugend“ in der zweiten 1804 erschienenen Auflage. Darin wirst Du so viel Treffliches, echt Deutsches in idealer Auffassung finden, daß Du, davon entzückt, mit mir den Wunsch hegen wirst, dieses Buch möchte in einer neuen wohlfeilen Ausgabe dem jetzigen deutschen Volke zugänglich gemacht werden.“

„Ich werde es in den nächsten Tagen lesen. Aber was sagt Guts Muths, Salzmann’s irdisches Theil ruhe nur wenige Schritte von diesem Plätzchen?“

„So komm denn, mein Freund, diese wenigen Schritte in den stillen, schönen, schattigen Wald herein zu der heiligen Ruhestätte dieser treuen Arbeiter im Weinberge des Herrn und siehe zu, ob die Poesie, die Du an ihrem praktischen Wirken und in ihren Schriften vermissest, nicht in ernster und stiller Majestät über ihren Gräbern schwebe. Ja, frage Dich, ob diesen Priestern des deutschen Geistes, die sich so begraben ließen, wirklich der heilige Hauch der Poesie abgehen konnte.“

Und sie wandelten Arm in Arm eine kleine Strecke am lieblichen Waldrande hin, links die alten hohen Bäume mit ihren weit gewölbten prächtigen Kronen, die, ineinandergreifend, ein grünes Dach bildeten, rechts der kleine grüne Platz und weiter ein paar Giebel von Dorfhäusern. Plötzlich zog Bernhard den Freund in den Wald hinein. Ein paar Schritte, und sie standen mitten unter einfachen, am Boden über den Wurzeln der Bäume liegenden Grabsteinen, auf welchen Otto überrascht die bekannten werthen Namen Salzmann, Ausfeld, Lenz, Guts Muths las.

„Wir stehen auf der Ruhestätte der trefflichen Männer,“ sagte Bernhard, nicht ohne sichtbare innere Bewegung. „Wie sie das helle Haus drüben an der entgegengesetzten Thalwand in treuem Wirken und Schaffen an der Geistesarbeit unseres Jahrhunderts und im engen Verwandtschaftsbande vereinte, so hier wieder der stille Wald ihre Asche. Da liegen sie, ausruhend von der Tagesarbeit, unter den Bäumen und keine Mauer, kein Zaun schließt diesen in seiner Art einzigen Friedhof ein. Im freien offenen grünen Walde schlafen die nach Geistesfreiheit strebenden, Geistes- und Körperbildung fördernden Männer mit ihren keuschen, tugendhaften Hausfrauen, und diese schlichten Steine nennen nur ihre Namen, ihre Geburts- und Sterbetage, keine wohlfeile Lobpreisung, keine sentimentale Phrase. Wohnt unter diesen Stämmen, auf diesen Gräbern nicht die erhabene Schwermuth der Poesie, wie sie der hier modernden Menschenreste würdig ist und die unseren gewöhnlichen, mit kostbaren Denkmälern voll pomphafter Inschriften überladenen Gottesäckern so gänzlich fehlt?“

„Wahrlich!“ rief Otto tief ergriffen, während es feucht in seinen Augen schimmerte, „die wahre Lebenspoesie, die da sittlich erhebt und stärkt, hat ihren vollen Glanz über diesen heiligen Todten hain gegossen und die Grabsteine dieser ehrenwerthen Familie bekränzt. Mochte der poetische Aufschwung ihres Lebens und Wirkens nicht ganz meinen Wünschen entsprechen, die Poesie ihrer Gräber übertrifft sie. Durch die Wipfel dieser Bäume streut ein Abendroth sein Gold auf diese Hügel herab, das selbst das Wirken ihrer Insassen noch rückwärts verklärt. Nie sah ich einen Friedhof, der mich seelisch mehr befriedigt hätte. Ja, hier wohnt Gottes wahrer Frieden.“

„Und keinen gibt es wohl,“ setzte Bernhard hinzu, „der geeigneter wäre, uns aufzurufen zu männlicher That und Arbeit zu des Vaterlandes geistiger und leiblicher Weiterförderung. Die hier ruhenden Männer sollen uns Muster sein, nicht, daß wir in ihre Fußtapfen treten, sondern auf ihre Schultern. Das Salzmann’sche Erziehungsinstitut hatte und hat den Fehler, daß es nur für die Söhne reicher und vornehmer Eltern bestimmt ist. Der talentvolle Sohn des Volkes, für den Niemand bezahlt, ist davon ausgeschlossen. So lange die höheren Stände für Jean Jacques und Jean Paul schwärmten, mochte man diesen Mangel übersehen. Heutiges Tages tritt er grell hervor. Auch den seltsamen Widerspruch in Salzmann’s Wirken bemerken wir heute, daß das Publicum, welches er erzog und bildete, von dem Publicum, für welches er schrieb, wesentlich verschieden war; jenes war das Publicum unserer Classiker, die dieses nie in die Hand nahm. Friedrich Fröbel, auch unser thüringischer Landsmann, auch ein ebenso ehrenwerth strebender Lehrer und Kinderfreund, that schon einen tieferen Griff in der Schöpfung der Kindergärten, die er eigentlich für alles Volk bestimmt hatte. Aber auch er war, gleich Salzmann, nur ein schwacher Träger einer großen Idee. Der Messias der deutschen Volkserziehung muß noch kommen, und er wird kommen. Rousseau, Pestalozzi, Salzmann, Guts Muths, Fröbel, Diesterweg waren nur seine Propheten und Vorläufer.“

„So ist’s!“ rief Otto begeistert. „Wir stehen auf heiligen Prophetengräbern, die geistig weit in die Zukunft hineinragen. O, mein Thüringen, möchtest Du auch den Messias gebären!“

„Laß uns von diesem Orte noch eine schöne Ermuthigung mit hinwegnehmen!“ sagte Bernhard. „Dieser Hain führt den alten deutschen Namen die Hard, auch Hart und richtiger Harth geschrieben, der in Deutschland an manchen Wäldern und Waldgebirgen hängen geblieben ist, wie am Harz (Harths) und am Spessart (Specktsharth). Es ist das alte Wort für Wald. Sei also unser Streben echt deutsch, wie der Name der Ruhestätte dieser, „erzdeutschen“ Männer, und erwarten wir nichts von Franzosen und Russen, von Engländern und Amerikanern. Sodann lehre uns der an diesen Friedhof grenzende Turnplatz, daß die Erziehung und Bildung des deutschen Volkes nicht allein eine geistige, sondern auch eine körperliche sei. Nur im gesunden kraftgewandten Körper entwickelt sich ein gesunder, kräftiger, gewandter Geist, eine edle schöne Seele. Dem körperlichen Aufschwunge entspricht der geistige. Wir müssen ein starkes Volk werden, vor dessen Waffenkraft die übrigen Völker des Erdbodens eben solche Ehrfurcht haben, wie vor unserer hohen Geistesbildung.“

„Amen!“ rief Otto. „Der erste Wurf in die große Zukunft hinein ist hier geschehen. Alea jacta es! Ich danke Dir für diese schöne Stunde!“

L. St.




Wanderungen im südlichen Rußland.
Von Dr. Wilhelm Hamm.
3. Jagdfahrten. – (Schluß.)

Die Wachtelbeize mit dem Habicht ist eine Hauptlust der Tataren und mehrere Male war ich später so glücklich, diesem interessanten Schauspiele beizuwohnen, welches um so mehr in die alten Zeiten des höfischen Ritterthums zurückversetzen konnte, als die kleidsame Tracht dieser Steppensöhne dem idealen Jagdgewande der Edelknaben mit dem Falken auf der Faust, die uns die Maler schon in allen möglichen Stellungen gezeigt haben, ziemlich ähnlich ist. Die Jagd geschieht zu Pferde, gerade wie die Falkenjagd.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_215.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)