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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Rheder streng gewissenhaft verfuhren, ihre Versprechungen hielten, Niemand mit Willen übervortheilten und nur tüchtige, seehaltige Schiffe in Fahrt setzten, die von gebildeten, humanen und erfahrenen Capitainen commandirt wurden.

So leitete Bremen frühzeitig den größten Arm des deutschen Auswandererstromes nach dem neu angelegten Bremerhaven. Da es aber vorkam, daß unberechenbare Umstände die Abfahrt selbst bereitliegender Schiffe doch verhinderten, was z. B. anhaltende widrige Winde stets thun, und die Zahl der aus dem Binnenlande Kommenden mit jedem Tage zunehmen konnte, so war man bedacht, diesen zur Zeit eigentlich Heimathslosen ein Asyl zu eröffnen, wo sie ruhig dem Tage ihrer Abreise entgegenharren konnten. Dies Asyl ist das Auswandererhaus.

Jeder Fremde, den Geschäfte oder der Wunsch, sich zu unterrichten, nach Bremerhaven führen, sollte dies imposante, in jeder Hinsicht vortrefflich eingerichtete Gebäude, das schon durch seine Architektur in die Augen fällt, besuchen. Es ist ein Hospiz für Jedermann; man fragt hier nicht nach Rang und Namen der Ankömmlinge, die Bezeichnung „Auswanderer“ genügt, um dem Anklopfenden die gastliche Thür desselben zu eröffnen.

Das Auswandererhaus liegt nahe am Strome, unfern dem Landungsplatze der Weserdampfschiffe. Aus seinen Fenstern übersieht man den Hafen und die mit Segeln belebte Weser. Erbaut wurde dies Gebäude im Jahre 1850, und zwar überließ der Staat dazu für billigen Preis ein Terrain von 30,000 Quadratfuß. Es enthält in seiner gegenwärtigen Einrichtung zehn geräumige, hohe und luftige Säle, die zusammen 2500 Personen fassen können. Jeder einzelne Saal ist so eingerichtet, daß er mit einem ihm eigens zugehörigen Wasch- und Badezimmer zusammenhängt, das stets mit frisch zulaufendem Wasser gespeist werden kann. Die Schlafstätten erinnern an das Schiffsleben und bereiten die im Auswandererhause Einkehrenden zweckmäßig auf diese den Meisten noch unbekannte Lebensweise vor. Dieselben bestehen nämlich aus Kojen, und es ist den Auswanderern gestattet, sich während ihres Aufenthaltes in Bremerhaven so darin zu vertheilen, wie es ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Es befördert dies nicht allein das gesellige Zusammenleben Gleichgesinnter und Gleichgearteter, sondern es gewährt auch außerdem noch die nicht gering anzuschlagende Vergünstigung, daß nach dem Wunsche der Auswanderer die Nummern der Kojen des Hauses mit Leichtigkeit auf die im Schiff zu beziehenden Kojen übertragen werden können.

Den Tag über können die hier Logirenden an geräumigen Tischen Platz nehmen und sich mit Unterhaltung etc. die Zeit verkürzen. Hier wird auch gemeinschaftlich gespeist. Die gereichten Speisen sind reinlich, nahrhaft und reichlich und werden in der Küche des Hauses zubereitet. Auch dabei wird auf die bevorstehende Seereise bereits Rücksicht genommen, indem die Speisen des Auswandererhauses ungefähr der auf den Auswandererschiffen gereichten Schiffskost entsprechen. Jeder Saal hat ferner einen besonders abgegrenzten Raum, wo die Bewohner ihre zu täglichem Gebrauche unentbehrlichen Effecten und Utensilien aufbewahren. Für Beleuchtung und Ventilation dieser Säle ist hinreichend gesorgt, eben so für deren Reinigung, die unter Aufsicht besonders dafür angestellter Wärter vorgenommen wird. Diese Wärter sind außerdem verpflichtet, über die Aufrechthaltung der Ordnung zu wachen. Kranke finden ein gut eingerichtetes Lazareth, das von den Wohnsälen entfernt liegt, damit das aus denselben dringende Geräusch die Leidenden nicht störe. Auch einen Betsaal einzurichten hat man nicht vergessen. Derselbe führt den Namen Capelle, liegt im unteren Raume des Gebäudes und es wird darin regelmäßig Gottesdienst nach lutherischem Ritus gehalten. Damit jedoch auch Katholiken ihr religiöses Bedürfniß befriedigen können, lebt in Bremerhaven ein katholischer Missionär, an welchen katholische Auswanderer sich zu wenden haben.

Einen schlagenden Beweis für den starken Besuch dieses Auswandererhauses liefern die statistischen Angaben. Diese weisen nach, daß – um nur ein Beispiel, statt vieler, anzuführen – von 58,551 Auswanderern, welche im Jahre 1852 in Bremerhaven sich einschifften, deren 37,429 in diesem großen Hospiz wohnten und daselbst gespeist wurden. An einem einzigen Tage des Jahres 1853 vertheilte die Kochanstalt 4085 Portionen Essen.

An sonstigen Baulichkeiten Bremerhavens sind ferner noch als sehenswerth zu nennen: das Hafenhaus, welches dem Amtmanne und dem Hafenmeister zur Amtswohnung dient, und die Kirche, deren Thurm noch nicht ganz beendigt ist. Auch ein Theater fehlt Bremerhaven nicht, obwohl es ein eigenes Schauspielhaus noch nicht besitzt. Die bescheidene Muse Thalia behalf sich vorläufig bis auf bessere Zeiten, wo man ihr größere Aufmerksamkeit wird zuwenden können, mit dem Saale eines Gasthauses, den man indeß recht geschmackvoll zu einem heiteren Musentempel eingerichtet hat.

Diejenigen, welche sich unterrichten wollen, dürfen Bremerhaven nicht verlassen, ohne eine der Schiffswerften besucht zu haben, auf welchen Bremer Rheder ihre Seeschiffe bauen lassen. Einige dieser Werften besitzen auch Docks. Es sind dies hinter der Stadt an der Geeste gelegene Bassins, die mit dem Flusse in Verbindung stehen und in welche zur Zeit des Hochwassers, worunter man die höchste Anschwellung der Fluth versteht, Schiffe, die einer Reparatur bedürfen, einlaufen. Sobald das Wasser wieder fällt (ebbt), leeren sich diese Behälter von selbst und das zu reparirende Schiff kommt auf’s Trockene zu liegen, so daß es bequem untersucht, die schadhaften Stellen ausgebessert, der Kiel mit neuem Kupferboden versehen und, was sonst etwa nöthig ist, damit vorgenommen werden kann.

Obwohl Bremerhaven eine wirkliche Seestadt ist, lernt man doch durch einen Aufenthalt in dem vielfach anziehenden Orte die eigentliche See immer noch nicht kennen. Wir sehen freilich das Ebben und Fluthen des Meeres, das regelmäßig zwei Mal innerhalb vierundzwanzig Stunden die Wogen der Weser höher aufrauschen und dann wieder stiller in seichterem Bette dem Meere zurollen macht. Das Meer mit seinen Wundern und Schrecken aber ahnt nur das in die Ferne schweifende Auge, das auf dem immer breiter werdenden Wasserspiegel ruht und wie aus der Tiefe emporsteigend die Segel der stromaufwärts ziehenden Schiffe langsam näher und näher schweben sieht. Es sollte aber kein Binnenländer unterlassen, ist er einmal bis Bremerhaven gekommen, auch das Meer in seiner ganzen Herrlichkeit zu überschauen. Hier am Quai der behäbigen Hafenstadt sieht er das Anschwellen der Fluth, einige Meilen weiter stromabwärts vernimmt er den Gruß des heiligen Meeres selbst, den donnernden Wogenschlag, die Brandung, die nie ruhend, bald nur surrend und murmelnd, bald wie Sturmgeheul rasend und zischend ihre weißen Häupter über die grünen Borde der Erde hebt.

Sieben Meilen unterhalb Bremen liegt Bremerhaven, drei Meilen weiter abwärts vermischen sich die Gewässer der Weser mit den Wogen der Nordsee, der man mit so vielem Rechte den Beinamen „die Stürmische“ gibt.

Für den Seefahrer ist die Nordsee eines der gefährlichsten Meere, besonders in der Nähe der großen Strommündungen, welche an den Küsten Flanderns, Hollands und Deutschlands ihre gewaltigen Wassermassen derselben zuführen. An flachen Gestaden befinden sich regelmäßig beträchtliche von der See bedeckte Flächen von nur sehr geringer Tiefe. Die Ströme führen eine unglaubliche Menge von Sand und Schlamm mit sich, der sich hüben und drüben an den flachen Küsten ansetzt und so theils feste, theils bewegliche Bänke und Watten bildet. Tiefe Bänke nehmen oft große Flächen ein und sind zur Zeit der Ebbe theils nur wenige Fuß tief mit Wasser bedeckt, theils treten sie dann auch ganz zu Tage. Nur die Fluthwoge spült über sie hin und macht sie geeignet zur Befahrung mit wenig tiefgehenden Schiffen, den sogenannten Küstenfahrzeugen. Zwischen diesen oft Stunden, ja Meilen langen und breiten Sandbänken, denen die Seefahrer bestimmte Namen beigelegt haben, bilden Fluth und Ebbe jene tiefen und breiten Fahrrinnen, in denen auch die größten Seeschiffe stets eine hinreichende Tiefe finden, um sicher darauf segeln und dem Hafen zusteuern zu können.

Zu leichterer Auffindung des Fahrwassers an solchen schwer zugänglichen Küsten hat der menschliche Erfindungsgeist verschiedenartige Hülfsmittel ersonnen, welche den von hoher See kommenden Schiffern schon aus weiter Ferne anzeigen, wie sie steuern müssen, um nicht auf Untiefen zu gerathen. Wie mannigfaltig aber derartige Vorkehrungen auch sind, dennoch vermögen sie Strandungen und Schiffbrüche nicht jederzeit zu verhindern. Dicke Nebelluft, heftiges Schneegestöber, vornehmlich aber wildes Sturmwetter sind Feinde der Schifffahrt, die der menschliche Scharfsinn mit all’ seinen sinnreichen Erfindungen nie ganz abzuwehren im Stande ist.

Die Wegweiser für den Seemann an den Küsten zerfallen in Tage- und Nachtzeichen. Jene bestehen vorzugsweise aus charakteristisch gestalteten, thurmartigen Holzgerüsten, die auf niedrigen Sandbänken errichtet sind und oft schon mehrere Meilen weit vom Lande entfernt in See erkannt werden können. Diese Zeichen nennt man Baaken, und jede solche einzelne Baake führt einen besonderen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_231.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)