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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

vor einem Schlaganfall zur Ader, verbot alle aufregenden politischen Gespräche und jede Zeitungslecture, verordnete kühlende Getränke nebst einer Abkochung von Pflaumen und Sennesblättern, einem drastischen Mittel gegen heftige Anfälle von Ehrgeiz oder Volksvertretungssucht, und rieth, Stroh auf der Straße vor der Thür zu streuen, wenn das angestammte Stroh im Kopfe des Patienten Müller nicht sein Recht behaupten und die närrischen Phantasieen ersticken sollte.

Das gefürchtete Unheil stellte sich nicht ein, die politische Schwärmerei endete nicht mit einem apoplektischen Streiche; der Patient stand vielmehr nach einigen Tagen stillschweigend auf, verzehrte dreiviertel Pfund russischen Caviar, trank dazu einen Schoppen Ungarwein und kleidete sich an. Seine Gemahlin ließ ihn gewähren; sie wußte, daß ihr Müller kein schnöder Gewaltmensch, sondern nur eine sanfte lyrische Natur war.

Der gedemüthigte Politiker begab sich in sein Gemach, zog die bewußte schwarze Mappe hervor und betrachtete sie mit schwermüthigen Blicken. Hierauf füllte er sie mit allerlei auf die Wahl bezüglichen Papieren und Broschüren und verschloß sie sorgfältig. Dann betrug er sich ruhiger, denn sonst, sprach niemals über Politik und rauchte seine Cigarre mit der stillen Würde eines in die Genüsse seines Tschibuks versunkenen Orientalen.

So kam allmählich der Eröffnungstag der Kammern und die Vorlesung der Thronrede heran. An diesem hochpolitischen Tage entwickelte der verunglückte Deputirte schon am frühen Morgen eine schauerliche Thätigkeit. Er forderte seinen besten schwarzen Anzug, einen französischen Hut à ressort, weiße Handschuhe und eine Gallacravatte. Dann schmückte er sich, nahm die schwarze Mappe unter den Arm und begab sich nach dem Schlosse. Viele der stets auf den Straßen umherbummelnden Berliner wichen ihm ehrerbietig aus, und so gelangte er, unter großer innerer Genugthuung, bis in die Nähe des Einganges, wo er in Ermangelung einer Einlaßkarte sich begnügen mußte, unter dem umherstehenden Volke einen Platz einzunehmen.

Am nächsten Tage war er aber schon glücklicher. Gemeinhin ist es leichter, ein Billet zur Kammer, als zur Oper zu erhalten, und es gelang dem falschen Deputirten sehr bald, sich einen Platz auf einer guten Tribüne zu allen Sitzungen zu sichern. Hier erblickt man ihn seitdem mit seiner schwarzen Mappe, wie er höchst aufmerksam auf die glänzenden Reden lauscht, die in der laufenden Saison in so ungewöhnlicher Menge gehalten werden, wie er die pikanten Witze des constitutionellen Grazioso genießt und selbst bei den schwächendsten Debatten der sterblichen Natur nicht nachgibt und einschläft. Gleichzeitig mit den Abgeordneten verläßt er das Haus und schließt sich dem Hauptzuge dieser Herren durch die Leipziger Straße nach den besuchtesten Gasthäusern an. Er läßt sich nie ohne seine schwarze Mappe blicken und es verursacht ihm eine ganz unglaubliche Befriedigung, wenn die kleinen Schulbuben ihn für einen Landboten halten und als Beweis ihrer Anerkennung dieser hohen Würde gewaltsam gegen ihn rennen und nachträglich die Zunge hinter ihm ausstrecken. Natürlich speist er nur mit Deputirten, die ihn für einen Berichterstatter auswärtiger Zeitungen halten und den Mitgenuß des Sectes, den Herr Müller auftischen läßt, nicht verschmähen. Auch mit wirklichen Reporters hat er, gleich manchen wirklichen Landboten, Bekanntschaften angeknüpft und gefällt sich darin, mit ihnen auf dem Trottoir stehen zu bleiben und sehr laut über die letzte Sitzung zu sprechen. Am rührendsten ist aber seine Zärtlichkeit gegen die schwarze Mappe. Er trennt sich so wenig von ihr, wie ein echter Abgeordneter, der endlich nach zehnjährigen fruchtlosen Anstrengungen diese Würde in Berlin errungen hat und nun mit jenem Symbol Wochen lang durch alle Straßen der Stadt, wenn der Verkehr am lebhaftesten ist, patrouillirt.

Nur in der deutschen Ballade gibt es ähnliche Beispiele von Beharrlichkeit, stillem Wahnsinn und Komik, wie in der wahren Geschichte des constitutionellen Schwärmers Müller.




Die Lauben-Pflanzen.[1]
Von H. Jäger.

Die Auswahl der zu Lauben geeigneten Pflanzen ist so groß, daß der Liebhaber wirklich in Verlegenheit kommen kann, welche er anwenden soll. Gleichwohl kommt ungemein viel auf die rechte Wahl an, indem die verschiedenen Lauben nicht nur zum Theil verschiedene Pflanzen verlangen, sondern auch so eingerichtet sein müssen, daß sie gedeihen und auf eine ihrer Natur angemessene Art befestigt und gezogen werden können. Man wählt also entweder die Pflanzen darnach, wie sie die Laube verlangt, oder man richtet die Laube nach gewissen Lieblingspflanzen ein. Zur besseren Uebersicht werde ich die Laubenpflanzen in zwei Hauptabtheilungen bringen, nämlich erstens solche, die im freien Garten aushalten und ohne besondere Hülfsmittel angezogen werden können, zweitens solche, die zur Ueberwinterung und Anzucht ein Gewächshaus oder anderes Ueberwinterungslocal bedürfen.

I. Laubenpflanzen, welche im Winter im Freien bleiben können.

1. Eigentliche Schlingpflanzen. Unter allen holzartigen Schlingpflanzen verdient die cultivirte Weinrebe, wo sie an Lauben gedeiht und reife Trauben bringt, den Vorzug, denn in ihr vereinigt sich das Nützliche mit dem Schönen auf eine seltene Weise. Man muß Italien und Südtyrol gesehen haben, um einen Begriff von der Herrlichkeit der Rebenlauben zu bekommen. In Tyrol, besonders bei Meran, führen die Landstraßen und Wege oft große Strecken unter Lauben hin, und welch herrlichen Anblick gewähren die herabhängenden schwarzblauen, rothen oder gelbbraunen Trauben zur Zeit der Reife! Nicht minder schön sind die von einem Rebendache beschatteten Landungsplätze in Italien, die sogar noch an den Schweizerseen angetroffen werden. Auch in den Rheingegenden, besonders in Baden, sind große Rebenlauben häufig. Leider gedeiht und reift der Wein an Lauben in vielen Gegenden Deutschlands nicht oder unvollkommen, wenigstens die bessern Sorten nicht. Es gibt jedoch einige, die in nicht ganz schlechten Lagen noch nördlich bis Hamburg an Lauben reif werden, nämlich der sogenannte frühe Leipziger, die Berliner Seidentraube und die Jakobstraube. Nicht alle Sorten sind gleich gut zu Lauben, und es eignen sich nur solche dazu, die lang geschnitten werden können und schnell und in großer Ausdehnung wachsen. Hierzu gehören besonders die Malvasier-Sorten, wozu auch die beiden ersteren genannten gehören. Am stärksten wächst der sogenannte Gänsefüßer, welcher so groß wird, daß in Handschuhsheim bei Heidelberg ein Stock über 100 Fuß lang ist und 4 bis 5 Ohm leichten rothen Wein gibt. Für wärmere Lagen ist der blaue Trollinger vor vielen andern zu empfehlen. Die schönste Belaubung hat die nordamerikanische Isabellentraube (Vitis Isabella) mit einen Fuß im Durchmesser haltenden Blättern und sehr raschem Wuchs. Doch schmecken die Trauben eigenthümlich und reifen sehr spät. Der Weinstock eignet sich nur zu größeren Lauben, vorzüglich zu Laubengängen nach Art der Veranda und Pergola.

Wo die edlen Weinreben nicht gedeihen, können die wilden Reben aus Nordamerika, deren es mehrere Arten gibt, eine ähnliche Wirkung hervorbringen, jedoch ohne die schönen nützlichen Trauben. Am verbreitetsten sind Vitis Labrusca, vulpena (aestivalis), cordifolia, sinuata, rotundifolia. Sie kommen auch im Schatten fort, und lassen sich daher auch gut an Laubenbäumen ziehen. – Der bekannte wilde Wein, Ampelopsis oder Hedera quinquefolia, dessen im Herbst rothe Blätter von so ausgezeichneter Wirkung sind, bedarf wohl keiner besonderen Empfehlung. Außer seiner großen Schönheit hat er noch das Gute, daß er in jedem Boden, in jeder Lage gedeiht und außerordentlich schnell wächst. Es gibt noch schöne Arten, unter denen besonders A. cordata zu empfehlen ist. – Eine der schönsten und beliebtesten Laubenpflanzen ist die großblättrige Aristolochia, Aristolochia Sipho, mit einen Fuß großen, herrlich grünen Blättern, die sich glatt an das Geländer auflegen und ein so dichtes geschlossenes Dach bilden, daß ein leichter Regen nicht durchdringt. Leider belaubt sie sich etwas spät im Frühjahre.

  1. Man vergleiche den Artikel „Die Gartenlaube“ in Nr. 20, des Jahrganges 1856 der Gartenlaube.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_234.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2023)