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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 21. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Die schönste Nase.
Von F. J. – (Schluß.)


„Sie haben vergessen, was ich Ihnen zuvor sagte,“ tröstete Günther. „Bedenken Sie doch: Sie bleiben ja Ihr Leben lang der Nutznießer jenes Kleinodes, und selbst nach Ihrem Tode erhebe ich nicht die geringsten Ansprüche auf den wirklichen Besitz desselben. Ich bedarf Ihrer Nase nur auf dem Papier! Ihre Unterschrift genügt zu dem Beweise, daß Ihre Nase durch Kauf die meinige geworden ist. Wir machen einen vollständigen Contract über unser Geschäft und ich gestatte Ihnen, sich so viel zu verclausuliren, als es Ihnen irgend wünschenswerth erscheint. Herr Lissauer, das ist doch ein anständiges Anerbieten!“

In die geängstigte Seele des armen Jakob Eli drängte sich ein neuer Hoffnungsstrahl. Wiederholt schnellte er von seinem Sitze auf und rief:

„Auf dem Papier? Auf dem Papier nur? Und Sie wollen ihr nichts thun, wollen sie nicht verletzen, nicht verstümmeln? Sie wollen ihr mit Ihren Händen nicht einmal ankommen und nicht dulden, daß ein Anderer es thut?“

„Davor haben Sie sich selbst zu schützen, Herr Lissauer! Aber ich verspreche Ihnen, daß ich Ihre Nase nicht berühren will, daß ich auch Niemand damit beauftragen werde. – Ist Ihnen das genug? Bedenken Sie: hundert Friedrichsd’or sind doch keine Kleinigkeit!“

„Nein, keine Kleinigkeit! Helf’ mir Gott, ein recht hübsches Capitälchen! Wissen Sie was, Herr Baron, wenn Sie mir Alles schriftlich geben … wo ist das Papier?“

„Ich will den Contract erst aufsetzen. Bis morgen früh haben Sie Zeit, sich die Sache zu überlegen. Um acht Uhr erwarte ich Sie, und dann wollen wir zum Notar gehen, um es gerichtlich zu machen.“

„Was? Zum Notar … wegen der Nase? … Aber, Herr Baron, Sie nehmen es doch auf in Ihrem Schein wegen des Anrührens und Beschädigens und daß ich sie weiter darf tragen, wie ich sie immer hab’ getragen?“

„Ei freilich, freilich! Es liegt ja in meinem Interesse, ein solches mir gehöriges Cabinetsstück nach besten Kräften zu behüten und zu beschützen. Also morgen früh acht Uhr erwarte ich Sie! Das Geld liegt bereit und wird Ihnen, nach Ihrer Unterschrift, sofort ausgezahlt.“

Damit erhob sich Günther und schickte sich zum Fortgehen an. Lissauer begleitete ihn unter vielen Verbeugungen bis unter die Ladenthüre. Hier aber kam ihm plötzlich noch ein Gedanke.

„Herr Baron,“ flüsterte er, „noch Eins! Ich vergaß, wenn Sie die Sache vor den Notar bringen, so entstehen Kosten. Wer muß die bezahlen?“

„Ich … Ich bezahle Alles. Sie haben gar keine Unkosten!“ rief Günther, halb ärgerlich, halb belustigt über die Vorsicht des Kaufmanns, und entfernte sich eilenden Schrittes.

Lissauer aber kehrte sinnend in seinen Laden zurück und blieb den ganzen Abend hindurch ein nicht zu lösendes Räthsel für seine kleinen Lehrlinge, da er, was noch nie vorgekommen, die Schürze wieder vorzubinden vergaß und – sogar zum eigenen Nachtheile! – die unerhörtesten Mißgriffe beim Abwiegen und Messen beging.

Sobald die Stunde zum Feierabend geschlagen hatte, ließ er den Laden schließen, schickte die kleinen Lehrlinge nach Hause, ehe sie noch aufgeräumt hatten, und eilte spornstreichs zum alten Meyer Liepmann. Dort blieb er mehrere Stunden und kehrte dann entschlossen und beruhigt in seine einsame Wohnung zurück.

Noch vor der festgesetzten Stunde fand er sich am nächsten Morgen bei Günther ein und erklärte, daß er bereit sei, den Willen des Herrn Barons zu erfüllen. Als er das Gemach wieder verließ, strahlte sein Gesicht vor Freude. In der Hand hielt er ein Beutelchen mit Gold.



Am Abend desselben Tages versammelte sich die uns bereits bekannte Gesellschaft abermals im Hotel zur goldenen Gans. Auch die drei zu Schiedsrichtern erwählten Herren stellten sich pünktlich ein. Zur festgesetzten Stunde nahm das Souper seinen Anfang, doch zeigte sich in dem kleinen Kreise heute eine gewisse Gezwungenheit. Günther allein war ganz der Alte: unbefangen, ruhig und bei jedem Worte mit einem Witze schlagbereit. Er schien es gar nicht zu bemerken, daß die Stimmung seiner Freunde heute von der seinigen abwich. Mit unvergleichlichem Humor erzählte er den drei Schiedsrichtern kleine Scenen aus seinem Studentenleben in Bonn und gedachte mit keinem Worte der Wette, deren Entscheidung heute erfolgen sollte, während dieselbe die Gemüther der übrigen Anwesenden fast ausschließlich beschäftigte.

„Wenn wir nur wenigstens die Geldwette rückgängig machen könnten.“ sagte Graf Mellin leise zu seinem Tischnachbar, dem Baron Leitmersdorf. „Ich habe vollständige Gewissensbisse, seit ich weiß, daß er die parirten hundert Friedrichsd’or gar nicht liegen hat, und daß er schon bei Lissauer war, um sich diese Summe zu verschaffen.“

„Wie?“ sagte Posen, ebenfalls mit halber Stimme. „Bei Lissauer ist er gewesen?“

„Ja wohl,“ nahm Graf Neurode das Wort, „gestern Abend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_293.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)