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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 24. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Der alte Schmuggler.
Novelle von Ludwig Rosen, Verfasser des „Buchenhofes“.
(Fortsetzung.)


III.

Nach der Rückkehr in den Wolfsgrund wurde die Absenkung von vier Leuten unter Winrich’s Befehl zum Waldhofe besorgt und zugleich die sorgfältigste Rücksicht für die Dame eingeschärft. Marx erwies sich jetzt freundlicher gegen seinen Gast, theilte das Abendessen mit ihm und besprach bei einem Glase ganz trinkbaren Weines die geeignetsten Maßregeln, um die Zwecke der Expedition zu fördern. Gesprächsweise äußerte Schellenberg: „Wo die Schmuggelei so ausgedehnt betrieben wird, wie hier, da besitzt sie gewöhnlich eine mehr oder weniger geordnete Organisation, daher auch in der Regel ein anordnendes und lenkendes Haupt. Hat man nun Niemand in der Gegend im Verdacht, an der Spitze der Schmugglerbande zu stehen?“

„Hm, der meiste Verdacht ruht wohl auf Feibes Itzig in Eversburg,“ sagte Marx.

„Also ein Jude – was ist’s für eine Art von Mann?“

„Er ist ein durchtriebener Geselle, mehr weiß ich nicht von ihm zu sagen. Aber was ich fragen wollte: haben Sie denn Fräulein von Schöneberg auf dem Waldhofe selbst gesprochen?“

„Ich wurde nicht zugelassen und sprach nur mit der Dienerin, die aber ein ganz verständiges Frauenzimmer zu sein schien.“

„Ja, die Henriette ist eine gewandte Person, sie ist die Tochter des verstorbenen Schulmeisters in Walbröl und könnte es viel besser haben, wenn sie nicht am Fräulein hinge, wie eine Klette.“

„Sagen Sie mir nur, Herr Marx, wie in aller Welt kommt das Fräulein in diesen halb verbrannten, halb verfallenen Schutthaufen?“

Marx zögerte einige Augenblicke und schien sich nur ungern auf folgende Auskunft einzulassen.

„Die adelige Familie, welcher das Gut gehörte, war ausgestorben, da fanden denn die Gerichte noch dieses Fräulein als eine Verwandte von der letzten Gutsherrin heraus. Weil die Person sonst nirgends zu bleiben wußte und auch keinen Käufer für den Plunder fand, so zog sie mit ihrer Dienerin hierher.“

„Wovon lebt sie denn?“

„Von dem Pachtgelde der Mühle und einigen geringen Gefällen solcher Waldbauern, die zu arm zur Ablösung waren. Es ist zu wenig, um ordentlich zu leben, und doch zu viel, um eigentlich zu verhungern.“

„Sie sollten das Anwesen kaufen, Herr Marx.“

„Der Himmel soll mich behüten! Doch was ich sagen[WS 1] wollte: ich pflege so vor dem Schlafengehen noch ein Glas Punsch zu nehmen, das gibt eine geruhige Nacht. Machen Sie meine Gewohnheit mit, Herr Lieutenant?“

„Warum nicht?“

Marx ließ heißes Wasser kommen und mischte dann im Nebenzimmer zwei Gläser des dampfenden Getränkes. Schellenberg würde auf eigene Gedanken gekommen sein, wenn er gesehen hatte, wie der Alte in eins der Gläser ein feines Pulver schüttete, aber er merkte nichts davon und trank arglos das dargebotene Glas aus, das ihm, wenn es ihm auch recht stark vorkam, doch ganz gut schmeckte. Er begab sich nun auf sein Zimmer, verschloß es sorgfältig von innen und suchte baldmöglichst das Lager auf.

Obschon der ermüdete Jüngling fast augenblicklich in einen anscheinend tiefen Schlummer fiel, so blieb doch sonderbarer Weise ein Theil seines Seelenlebens wach, aber ganz nach innen gekehrt mit gänzlicher Verzichtleistung auf die Thätigkeiten der äußeren Sinne, dieselben gleichsam durch ein unmittelbares geistiges Schauen ersetzend, aus diese Weise Eindrücke rasch und stark aufnehmend, ohne aber sich ihrer vollkommen klar bewußt zu werden. So schien es ihm, während er mit festgeschlossenen Augen dalag und kein Glied zu rühren vermochte, als öffnete sich ein Theil der Wand beim Ofen, eine Hand mit einer Blendlaterne streckte sich hervor, dann schob sich gekrümmt eine ganze Gestalt durch, dann richtete sich die Gestalt in ihrer vollen Höhe auf – es war Marx, der Besitzer des Hauses, aber noch viel grimmiger aussehend, wie am Tage, ja wahrhaft unheimlich durch den zornig zusammengepreßten Mund und die tief herabgezogenen Brauen. Schellenberg wollte aufspringen und den Eindringling zur Rede stellen, aber er vermochte nicht einmal das kleinste Glied zu regen, er konnte blos wahrnehmen, was der unheimliche Besuch begann. Leise schlich dieser zum Bett, ließ das volle Licht der Laterne auf den Schlafenden fallen und nickte dabei gleichgültig mit dem Kopfe, als sei die Untersuchung eigentlich überflüssig gewesen. Dann beleuchtete er den Tisch und fiel mit gieriger Eile über die starkgefüllte Brieftasche her; er setzte die Laterne hin und begann den Inhalt der Brieftasche auszupacken. Das Papiergeld, welches ihm zuerst in die Hände fiel, legte er ohne die geringste Berücksichtigung bei Seite, aber die Dienst-Instruction, auf die er nun stieß, schlug er mit hastiger Eile auseinander und las den Eingang, indem er murmelte: „Schellenberg – wirklich Lieutenant Schellenberg – er kann’s also nicht sein!“ – Mit mehr Ruhe las er nun das ganze Schriftstück durch, wobei zuweilen ein boshaftes Grinsen über sein Gesicht zog. Dann öffnete er ein zweites

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sage
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_337.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)